Flüchtlingsunterkunft in Bamberg

"Ihr müsst dieses Lager schließen!"

Aufnahmeeinrichtung Oberfranken
Hinter Stacheldraht: die Aufnahmeeinrichtung in Bamberg © Deutschlandradio / Heiner Kiesel
Von Heiner Kiesel · 08.05.2018
Für Innenminister Seehofer sieht so die Zukunft des Flüchtlingsmanagements aus. Bewohner hingegen klagen über den zermürbenden Alltag, schlechte Verpflegung und vergleichen die Einrichtung einem Gefängnis: das Aufnahmelager Oberfranken in Bamberg.
Hier im Osten, kurz vor der Stadtgrenze, ist Bamberg nicht mehr so lieblich romantisch, wie man es gemeinhin als Besucher kennt. Am Rande eines Wohnviertels, erbaut im Stil der 50er- und 60er-Jahre, befindet sich ein großes, von Stacheldraht umzäuntes Gelände. Die Aufnahmeeinrichtung Oberfranken - AEO - hier wird die Zukunft des deutschen Flüchtlingsmanagements erprobt. Bayerns Vorzeigeunterkunft für Asylbewerber.
Zwischen den Wachleuten am Checkpoint empfängt mich Adama Diallo. Er ist schlank und so um die 40, wohnt im Flüchtlingslager und ist bereit, über das Leben drinnen zu sprechen.
Während einer von der Security meinen Personalausweis checkt, durchsucht ein anderer in einem Containerhäuschen rechts meinen Rucksack. Mikrofone, Aufnahmegeräte, Kamera. Kein Problem. Dass das so einfach geht, damit habe ich erstmal nicht gerechnet. Bei offiziellen Besucheranfragen von Journalisten heißt es sonst: Nein. Ich aber komme als Diallos Gast und erhalte einen Besucherausweis.
Und dann geht es an der Seite Diallos die Straße hoch zu den Wohnhäusern. Es sind langgestreckte, sandfarbene Blocks. Zwei Stockwerke, Satteldach.

"Das ist nicht Deutschland"

Adama Diallo: "Das ist ein anderes Land hier, das ist nicht Deutschland, das ist ein Gefängnis hier."
In einigen Gebäuden sind alle wichtigen Behörden und Institutionen untergebracht. Das Sozialamt und eine Sozialberatungsstelle. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, prüft und bearbeitet hier Menschen und Anträge mit modernster IT. Alles an einem Ort, für eine schnelle Bearbeitung der Asylanträge.
Vor den Verwaltungsgebäuden ist eine Bushaltestelle. Stündlich fährt ein Shuttlebus direkt in die malerische Innenstadt. Ein Service* für die Menschen in der Aufnahmeeinrichtung. Für Leute wie meinen Gastgeber.
Diallo kommt aus Dakar, im Senegal. Er ist schon eine Weile in Deutschland und lebt seit vier Monaten in Bamberg. Auf Französisch ist es für ihn einfacher, über das Camp zu sprechen, sagt er. Zu emotional, da gehen ihm auf Deutsch die Worte aus. Wenn es darum geht, zu beschreiben wie es ist, wenn man nicht zu den Fällen gehört, die von den Behörden schnell abgearbeitet werden können. Er glaubt nicht, dass die Leute draußen wissen, was wirklich hier abgeht. Dabei gibt es regelmäßig Presseführungen. Ich war schließlich auch bei einer dabei. Rückblick:
Stefan Krug: "Sind jetzt alle beieinander, da müssen wir schauen, dass wir alle Pressevertreter mit dabei haben."
Stefan Krug ist bei der Regierung von Oberfranken der zuständige Mann für alle Fragen zum Thema Asyl. Er hat eine Aktenmappe unter dem Arm und seine Statur überragt die meisten seiner Zuhörer. Etwa 30 Pressevertreter mit Kameras, Mikros und Fotoapparaten. Krug macht mit seinem freien Arm eine weite Bewegung:
Stefan Krug: "Für diejenigen, die heute das erste Mal mit dabei sind: Das ist ja eine frühere amerikanische Kaserne. Insgesamt sind hier ca. 14.000 Menschen untergebracht gewesen. Die letzten Amerikaner haben 2014 das Gelände hier verlassen."

Platz für bis zu 3400 Menschen

Danach wurden die Liegenschaften umgebaut - zunächst in ein Abschiebezentrum für Migranten aus den Balkanländern und dann in ein Lager für alle Flüchtlinge, die frisch ankommen. Seit Mitte 2017 ist alles hergerichtet für bis zu 3400 Menschen. Derzeit leben nur rund 1400 hier. Sie kommen aus 14 Nationen. Damit es harmonischer zugeht, achtet die Verwaltung darauf, dass Landsleute miteinander wohnen. Und sie leben, das demonstriert Abteilungsleiter Stefan Krug gleich, eigentlich ganz schön.
Stefan Krug: "Und das die Wohnungen wirklich gut geworden sind, das wollen wir ihnen jetzt zeigen. Gehen wir weiter!"
Die Stimmung ist entspannt. Wir gehen in eine Wohnung im ersten Stock. Hier wohnt niemand. Eine Musterwohnung - den Presseansturm könne man ja niemandem zumuten, meint Krug.
Stefan Krug beim Pressetermin in der Flüchtlingsunterkunft in Bamberg
Stefan Krug beim Pressetermin in der Flüchtlingsunterkunft in Bamberg© Deutschlandradio / Heiner Kiesel
Ein hochwertiger Parkettboden - französisches Fischgrät. Kleiner Balkon, Empfangsraum, Küchennische mit Durchreiche. In den vier Schlafzimmern stehen Stockbetten. Die Wohnung ist für 14 Leute ausgelegt. Zwei Toiletten. Der Raumbedarf pro Bewohner richtet sich nach einer alten Richtlinie des Sozialministeriums. Die gilt zwar nicht mehr, aber nach irgendetwas musst man sich richten.
Stefan Krug: "In dieser Richtlinie wird von sieben Quadratmetern gesprochen."
Kameraleute machen ihre Schnittbilder. Die Wohnung ist in einem super Zustand. Sauber und hell. Krug nickt:
Stefan Krug: "Also ich denke, wir bringen die Menschen hier menschenwürdig und vernünftig unter. Die Unterbringungssituation ist vernünftig und sehr gut."

"Den Leuten hier geht es schlecht"

Zurück zu Adama Diallo. Der findet die Pressetermine einigermaßen verlogen.
Adama Diallo: "Die Security ist korrekt angezogen, in der Kantine gibt es was Leckeres zu essen, sie machen alles, damit es so aussieht, als ob es hier okay sei. Aber das stimmt nicht, den Leuten geht es schlecht hier, es gibt hier wirklich viele Probleme, wenn es hier normal läuft. Wir gehen in den Salon meines Appartements, da können wir in Ruhe sprechen, wenn das okay ist."
In diesem Bereich des Lagers wohnen vor allem Flüchtlinge aus Afrika. Es ist mehr los auf den Straßen als beim Pressetermin. Es gibt weniger Wachleute. Jetzt geht es rein in ein Haus. Diesmal ist es eines, das von Flüchtlingen bewohnt wird. Es ähnelt dem anderen - nur so, als ob es 30 Jahre lang ohne Renovierung belegt gewesen wäre.

Adama Diallo zeigt mir sein Zimmer. Eines von dreien in dem Appartement.

Adama Diallo: "Hier in meinem Zimmer schlafen vier Leute, aber es gibt auch welche, da sind viel mehr drin."
Überall Zeug, Kleider, die Wände fleckig, vor dem Fenster hängt schräg eine improvisierte Gardinenstange mit einem Stofffetzen dran. Ein Gefühl der Enge. Wenn Adamas drei Zimmergenossen auch noch da wären … schräg gegenüber ein Klo, eine Duschkabine für alle zwölf Männer in der Wohnung. Ein WG-Alptraum. Reinigungsmittel müssen sich die Flüchtlinge selber besorgen. Adama deutet auf ein graufleckiges Handtuch neben den Klos, es dient als Putzlappen. Der Putzdienst kommt nicht mehr.
Adama Diallo: "Nein, das machen wir selber sauber, mir machen alles selbst."
Zurück im Salon, dem Empfangsraum, setzt sich Adama Diallo auf einen Stuhl an dem angeschlagenen Tisch mit rissiger Resopalplatte. Ein weiterer Mitbewohner setzt sich dazu. Ein junger Senegalese mit Spitzbart und schwarzem Hipsterhütchen.
Ein Raum mit Stockbetten innerhalb eines Wohnblocks der Aufnahmeeinrichtung Oberfranken in Bamberg
Frisch renoviert sind offenbar nicht alle Unterkünfte. Das Zimmer von Adama Diallo sieht so aus, als ob die letzte Renovierung 30 Jahre zurückliegt.© picture alliance / Nicolas Armer

Das Lager macht mürbe

Adama Diallo kramt nach seinem Tabaksbeutel und dreht sich eine Zigarette. Er zieht, lehnt den Kopf zurück, atmet langsam aus. Hinter ihm an der Wand hängt eine Weltkarte. Er hat einen weiten Weg hinter sich.
Adama Diallo: "Das sind jetzt fünf Jahre, dass ich in Deutschland bin. Ich habe davon drei Jahre bei einem Metzger gearbeitet. Irgendwann haben sie mir gesagt, dass der Senegal ein sicheres Herkunftsland ist. Deswegen habe ich keinen Anspruch auf Asyl. Also habe ich meine Arbeit verloren. Mein Vertrag wäre noch bis 2019 gelaufen. Ich spreche ganz gut deutsch, ich denke ich war gut integriert. Und jetzt ist es halt so. Ich bin seit vier Monaten hier im Lager."
Er hatte ein normales Leben in Deutschland mit Kreditkarte, eigener Wohnung und Freunden. Gut integriert, sagt er, für ihn als Muslim war selbst das Schweinefleisch kein Problem. Jetzt hat er kein Geld mehr und auch keine Gelegenheit mehr, welches zu verdienen. Selbst die Hilfsjobs im Lager für 80 Cent die Stunde - kriegt er mit seinem Negativbescheid nicht. Er muss in sein Heimatland zurück. Das findet er nicht okay.
Adama Diallo: "Ich persönlich habe nicht den Wunsch zurückzukehren. Ich habe fünf Jahre hier verbracht und mir nichts zuschulden kommen lassen. Keine Strafe. Ich habe meine Steuern gezahlt. Ich habe meinen Beitrag geleistet. Rente! Wo ist das Geld jetzt? Das ist dieses Gefühl der Ungerechtigkeit, das mich wurmt."

Dass sie ihn abschieben, muss er nicht unmittelbar befürchten. Der Senegal gehört zu den Staaten, die keine Bürger zurücknehmen, die nicht freiwillig heim wollen. Dafür steckt er jetzt in Bamberg fest. In einem Lager, das seiner Ansicht nach nur dazu dient, ihn mürbe zu machen. Damit er doch ausreist. Er kennt Leute, die säßen lieber im Knast als hier.
Adama Diallo: "Wir kämpfen jeden Tag darum, dass sich das System ändert und versuchen zu erreichen, dass man unsere Würde als Menschen anerkennt, denn man behandelt uns hier nicht wie Menschen, sondern wie Tiere und das bricht einem das Herz."
Der Kampf gegen das System, das meint Diallo nicht nur im übertragenen Sinn. Er fingert auf seinem Smartphone, dann legt er es auf den Tisch und dreht den Bildschirm zu mir. Ein TV-Beitrag im Regionalprogramm. Er ist im Bild.
Wohnblocks der Aufnahmeeinrichtung Oberfranken in Bamberg
In den Wohnblocks der Aufnahmeeinrichtung Oberfranken in Bamberg war früher US-Militär untergebracht.© picture alliance / Nicolas Armer

Bewohner protestieren gegen die Zustände

150 Bewohner der Unterbringung haben im Januar in der Bamberger Innenstadt demonstriert. Wegen der Enge in den Wohnungen, die ja eigentlich nur für eine kurze Zeit bis zur Bearbeitung des Asylantrags und nicht für einen Daueraufenthalt gedacht sind. Sie protestierten, weil Kinder nicht ausreichend oder gar keinen Unterricht bekommen, wegen gewalttätiger Wachleute im Lager.
Diallo zieht sein Smartphone wieder zu sich. Er macht sich nichts vor. Ein paar Medien haben berichtet. Hier bleibt alles beim Alten. Die Regierung von Oberfranken hat nach der Demo eine Erklärung veröffentlicht. "Das sind die Fakten" heißt es in der Überschrift. Ausführlich wird darin erklärt, dass es für alle Deutschkurse gebe, eine medizinische Versorgung, dass die Unterbringung überdurchschnittlich gut und menschenwürdig sei. Die Mitglieder der Security, heißt es dort, würden auf ihre Verfassungstreue überprüft und verhielten sich deeskalierend bei Konflikten. Arona, der andere Senegalese am Tisch wird unruhig, als wir auf die Wachleute zu sprechen kommen. Er hatte mal einen dieser Billigjobs in der Küche.
Arona: "Da gab es ein Problem in der Küche, ein Senegalese und ein Gambier gerieten aneinander. Die wollte ich trennen. Ich weiß nicht genau, was dann passiert ist, aber die Security kam und die haben Pfefferspray in meine Augen gesprüht, sie haben mir Handschellen angelegt und dann haben sie mich geprügelt und wieder Pfefferspray. Ich kann aber nicht genau sagen, wer das gemacht hat."
Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Bamberg gegen drei Security-Mitarbeiter wegen versuchten Totschlags, ein anderes Ermittlungsverfahren läuft gegen einen vierten wegen des Verdachts auf gefährliche Körperverletzung.
Adama Diallo: "Jetzt sind die Sicherheitsleute viel ruhiger, weil sie haben einige Prozesse am Hals wegen der Gewalt."

Keine Aufgabe, kein Geld, keine Perspektive

Das ist ein Problem weniger. Aber das größte für all diejenigen, die ohne Bleibeperspektive im Lager leben, ist dieser Alltag voller Sinnlosigkeit. Keine Aufgabe, keine Arbeit, keinen Cent zum Ausgeben. Die Ausflüge in die Altstadt mit dem Bus haben längst einen schalen Beigeschmack bekommen. Überhaupt: Den Direkt-Bus gebe es vor allem deswegen, damit die einheimischen Nachbarn nicht von den vorbeipilgernden Asylanten gestört werden, glaubt Adama Diallo. Er fühlt sich nicht willkommen.
Adama Diallo: "Man bleibt hier bei seiner Gruppe, unterhält sich ein bisschen über das, was einen umtreibt. Eigentlich passiert nichts. Diejenigen, die in die Stadt gehen, treffen auf wenig Offenheit. Es wird ja auch alles getan, um uns in eine schlechte Ecke zu stellen. Die Leuten denken schlecht über uns."
Eine der wenigen angenehmen Ablenkungen sind die gemeinsamen Mahlzeiten im Appartement. In der Küche stehen eine verkrustete Kochplatte und zwei große Töpfe. Eigentlich ist das von der Verwaltung nicht vorgesehen. Es gibt ja Vollverpflegung in der Aufnahmeeinrichtung.

Adama Diallo: "Das haben wir alles selber organisiert, die Kochplatte und so. Wenn mal etwas Geld da ist, dann kochen wir was und essen zusammen. In der Kantine, naja, das ist nicht so toll. Zwei Scheiben Brot, ein Stück Butter. Da gehen wir nicht jeden Abend hin."
Diesmal greift Arona nach seinem Smartphone. Ein paar Wischbewegungen und auf dem Display erscheint ein Foto von einem Kantinenteller. Darauf drei Scheiben gräuliches Brot und eine saure Gurke.
Dabei hatte bei meinem Pressebesuch auch die Riesenkantine einen guten Eindruck auf mich gemacht. Es gebe sogar Angebote für Vegetarier, hatte der Leiter betont. Anspruch und Wirklichkeit - sie klaffen immer wieder auseinander. Für Arona gibt es da nur eine Lösung.
Zwei Scheiben Brot, ein bisschen Butter: das Abendessen in der Unterkunft - Arona zeigt ein Bild von der Mahlzeit auf seinem Handy.
Zwei Scheiben Brot, ein bisschen Butter: das Abendessen in der Unterkunft - Arona zeigt ein Bild von der Mahlzeit auf seinem Handy.© Deutschlandradio / Heiner Kiesel

"Wir sind einfach zu fertig"

Arona: "Ich sag nur eines. Meine Meinung: Ihr solltet dieses Lager schließen. Ihr müsst dieses Lager schließen!"
Aber danach sieht es nicht aus. Im Gegenteil: Der neue Bundesinnenminister Horst Seehofer findet, das genau den richtigen Weg. Diallo hat auch davon gehört, dass es schon im Herbst fünf neue Lager à la Bamberg in ganz Deutschland geben soll.
Adama Diallo: "Jetzt planen sie, überall in Deutschland dieses Lagersystem einzuführen. Aber das System ist doch nur dazu gemacht, die Menschen psychologisch fertig zu machen, sie dazu zu bringen, irgendwas Schlechtes zu machen. Aber wie kann man das vermeiden. Du kriegst keinen Euro. Du willst dir doch mal eine Schokolade kaufen, oder irgendetwas Nettes. Das will ich doch auch. Wir - die wir hier in Bamberg leben - ehrlich wir sind einfach zu fertig."

*Für den Bus-Shuttle-Service werden den Bewohnern – anders als es zunächst in diesem Beitrag hieß - laut dem Sozialamt Bamberg zwischen 10 und 21 Euro von ihrem Taschengeld gekürzt; ob sie den Bus nutzen oder nicht.

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