Flüchtlingspolitik

Unions-Rebellen kritisieren "Systemausfall"

Armin Schuster ist Bundestagsabgeordneter und Innenexperte der CDU
Armin Schuster ist Bundestagsabgeordneter und Innenexperte der CDU © dpa / picture alliance / Paul Zinken
Armin Schuster im Gespräch mit Thomas Jaedicke · 16.01.2016
Mehr als 50 Abgeordnete der Union wollen den Brandbrief gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin unterschreiben, sagt der Innenexperte und Mitautor Armin Schuster. Die Rebellen verlangen Grenzkontrollen und Zurückweisungen – sollte dann Griechenland ein Problem bekommen, würde die EU schneller helfen, prophezeit Schuster.
Thomas Jaedicke: Armin Schuster ist CDU-Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Lörrach-Müllheim in Baden-Württemberg. Der 59-Jährige sitzt seit 2009 im Bundestag, war vorher unter anderem in leitender Funktion bei der Bundespolizei – und Armin Schuster ist einer der Autoren des Brandbriefs, der die Kanzlerin jetzt dazu bewegen soll, ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik zu ändern. Herr Schuster, warum gerade jetzt dieser Brief?
Armin Schuster: Naja, weil wir aus meiner Sicht nicht mehr viel Zeit haben, den Flüchtlingszustrom spürbar zu verringern. Das ist ein Beschluss des Bundesparteitags im Dezember vergangenen Jahres, und wenn Sie sehen, 50.000 schon in den ersten 14 Tagen, dann haben wir letztendlich im Moment wieder die Million in 2016 im Visier. Und das glauben wir nicht, dass das noch mal zu schaffen ist.
Jaedicke: Wie viele Abgeordnete aus der Union unterstützen Sie in dieser Initiative?
Schuster: Wir suchen jetzt gerade noch die ganzen Unterschriften zusammen, das sind einige. Der Brief wird dann am Montag, spätestens Dienstagvormittag rausgehen. Ich kann noch keine konkrete Zahl sagen, ich weiß aber, das wird mit Sicherheit über 50 sein, eher noch mehr.
Jaedicke: Sie gehen damit ja auf Konfrontationskurs zur Kanzlerin, Ihrer Parteichefin. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten Ihrer Kampagne ein?
Schuster: Ich denke gar nicht, dass das ein echter Konfrontationskurs ist, weil ich insgeheim sicher bin, dass das Thema "vollständige Grenzkontrolle mit Zurückweisungen" auch zum Repertoire der Kanzlerin gehört. Ich glaube, dass wir uns nicht einig sind über den Zeitpunkt, wann man diese Maßnahme ergreifen muss. Aber ich bin ziemlich sicher, dass die Bundeskanzlerin das als letztes Mittel auch im Gepäck hat, aber ihre diplomatischen Initiativen eben noch höher gewichtet, den Erfolg, als wir das sehen. Ich glaube ehrlich gesagt eben nicht, dass die europäischen Partner, auf die wir angewiesen sind, uns kurzfristig helfen, und deswegen habe ich weniger Geduld.
Jaedicke: Sie sprechen es an, es ist eine Frage der Zeit. Sie rechnen nicht damit, dass die europäischen Partner entlastend eingreifen. Wie viel Zeit geben Sie der Sache noch?
Schuster: Ich bin davon überzeugt, dass wir über Wochen reden und nicht über Monate. Ich muss allerdings auch sagen – deswegen war ich ja gegen eine konfrontative Abstimmung in der Fraktion –, es ist ja nicht einfach nur damit getan, die Grenzkontrollen wieder einzuführen und zurückzuweisen. Es ist ja eine Lösung, die vielfältig sein muss. Da müssen die Westbalkan-Staaten mitmachen, da muss Österreich mitmachen, und dann muss im Prinzip im gleichen Atemzug Griechenland geholfen werden, weil dort sich ja das Problem dann aufstauen würde. Meine Überlegung ist, dass die Europäische Union Griechenland und Italien, wenn die ein Problem kriegen, wesentlich schneller und bereitwilliger helfen, als wenn wir Deutschen darum bitten. Deswegen glaube ich, dass kurzfristig Grenzkontrollen und Zurückweisungen ein griechisches Problem auslösen, und damit hat die Europäische Union Erfahrung – dann wird schnell geholfen.
"Schengen wird liederlich bis gar nicht umgesetzt"
Jaedicke: Grenzkontrollen, das Stichwort sprechen Sie an, das bedeutet: Weg von Europa, zurück zu den Nationalstaaten. In der Europäische Union leben knapp 510 Millionen Menschen, Brüssel rechnet nach Schätzungen bis 2017 mit etwa drei Millionen weiteren Flüchtlingen. Zerbricht also jetzt die große europäische Idee an den Herausforderungen dieser Flüchtlingskrise?
Schuster: Nein. Ich bin schon seit Jahren jemand, der scharf mahnt, dass der Schengener Grenzkodex liederlich bis gar nicht mehr umgesetzt wird. Und wenn man einen solchen Systemausfall hat, dann muss man sich rückbesinnen, muss noch mal alles von vorne machen und zwar richtig. Und deshalb glaube ich, wenn wir jetzt Grenzkontrollen konsequent fahren, wenn wir darüber endlich die Flüchtlingskontingente erzwingen, die man dann in Griechenland braucht, die Hotspots, werden wir gerade über das Wiedereinführen strikter Grenzkontrollen in kürzester Zeit wieder dahin kommen, wo ich hin will. Ich will nirgendwo anders hin als wieder zu offenen Grenzen mit einem funktionierenden Schengen-System. Machen wir so weiter, verlieren die Bürger völlig das Vertrauen in diese Methode, und das darf nicht passieren. Ich glaube, wir müssen jetzt Vertrauen gewinnen und dann langsam wieder in den Zustand zurückleiten – und das, denke ich, ist in mehreren Monaten möglich. Ich möchte auch offene Grenzen, aber es muss auch Sicherheit herrschen.
Jaedicke: Sind Sie denn überzeugt, dass die Bundesregierung in der jetzigen Lage noch Herr des Verfahrens ist?
Schuster: Ja. Ich sage es mal ganz offen: Ich kann mir im Moment überhaupt kein anderes Land auf der Welt vorstellen, das in der Lage wäre, so eine Leistung zu stemmen. Das ist ja eine humanitäre Leistung, die einfach großartig ist. Das können wir nicht jedes Jahr, aber wir konnten es 2015, und wir werden es noch auf einem guten Niveau fortsetzen. Und ich kenne übrigens auch kein anderes Bundesland im Moment, was in der Lage wäre, eine solche Großleistung zu vollbringen wie Bayern mit jeden Tag zwischen 3000 und 10.000 Flüchtlingen. Wenn Sie das sehen, wie wir das können, die Kommunen, die Ehrenamtler, die Länder, der Bund, dann darf man nicht davon sprechen, dass wir die Lage nicht beherrschten. Was wir zunehmend kriegen, ist eine Überforderung, und zwar aller Institutionen.
Mehr zum Thema