Flüchtlingspolitik

Salzgitter nach dem Zuzugsstopp

In der Fußgängerzone von Salzgitter-Lebenstedt ein Mann an einer großen Steinkugel vorbei, welche die Erdkugel darstellt. Damit soll an die internationalen Verbindungen der niedersächsischen Industriestadt hingewiesen werden.
In der Fußgängerzone von Salzgitter-Lebenstedt, einem Bezirk, wo der Migrantenanteil sehr hoch ist, geht ein Mann an einer großen Steinkugel vorbei, welche die Erdkugel darstellt. © dpa / Wolfgang Weihs
Von Dietrich Mohaupt · 15.02.2018
Die Stimmung habe gedroht zu kippen, der soziale Frieden sei in Gefahr gewesen. Im September 2017 hat die Landesregierung für Salzgitter einen Zuzugsstopp für Flüchtlinge verhängt. Die Stadt wollte sich eine Atempause gönnen. Wie ging es weiter?
Christa Frenzel runzelt die Stirn – die Stellvertreterin des Oberbürgermeisters hält offenbar nicht allzu viel von den aus ihrer Sicht sehr plakativen Medienberichten über Salzgitter und die Flüchtlinge.
"Der soziale Frieden in Salzgitter war meines Erachtens nicht in Gefahr! Salzgitter hat eine hohe Integrationskraft, und es gibt wenig Vorbehalte denen gegenüber, die neu in die Stadt kommen!"
Aber … auch die SPD-Politikerin muss zugeben: Die Stadt sei damals an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gestoßen.
"Es ist schon ein Problem, wenn in den Schulen in einem Monat 20 bis 30 Schülerinnen und Schüler neu anfangen, die teilweise gar kein Deutsch sprechen. Es zeigte sich, dass bestimmte Straßenzüge fast ausschließlich von Flüchtlingen bewohnt sind, und wir haben uns gesagt: Das ist keine Integration, sondern es besteht die Gefahr, dass sich Parallelgesellschaften bilden."

Zuzugsstopp als Atempause

Deshalb der Zuzugsstopp. Man habe einfach eine Atempause gebraucht, um sinnvolle und nachhaltige Integration wirklich organisieren zu können, betont Christa Frenzel.
Die Vorsitzende der AfD-Fraktion im niedersächsischen Landtag dagegen, Dana Guth, bevorzugt bei dem Thema eine etwas andere Wortwahl.
"Ich glaube ganz einfach, dass ein Punkt erreicht wird, an dem man einfach eine deutsche Stadt als solche nicht mehr erkennt, in dem man nicht mehr leisten kann, zu sagen, das sind unsere Gepflogenheiten, unsere Bräuche, unsere Gesetze, und dass sich dann auch relativ schnell auch rechtsfreie Räume ergeben, dass die Kriminalität explodiert, und in Salzgitter ist eben der Punkt erreicht, dass die Notbremse gezogen wurde."
Sonst wäre die Stimmung wohl gekippt – ist sich Dana Guth sicher. Als Beleg verweist sie auf das Ergebnis der Landtagswahl in Niedersachsen Mitte Oktober. Landesweit kam die AfD auf nur gut sechs Prozent – mit knapp vierzehn Prozent holte sie aber im Wahlkreis Salzgitter ihr bestes Ergebnis.
"Salzgitter hat katastrophale Zustände inzwischen auf Grund der völlig verfehlten Politik unserer Bundesregierung, und wenn dann solche Wahlergebnisse zustande kommen – das sollte viel über das Denken der Bürger sagen. Ganz einfach, wenn der Bogen so überspannt wird wie in Salzgitter, dann haben die Menschen nämlich irgendwann die Nase voll!"

Bislang ist alles ruhig geblieben

In Salzgitter schlägt die AfD noch schärfere Töne an. So war auf der Facebook-Seite des Kreisverbands kurzfristig ein Posting zu lesen, in dem von der nächsten "Phase im Krieg gegen dieses widerwärtigste System das je auf deutschem Boden existierte" die Rede war. Den gesamten Kreisverband, vor allem den Vorsitzenden Michael Gröger, müsse man als "stramm rechts" einordnen, betont David Janzen vom "Bündnis gegen Rechts" in Braunschweig.
"Es gibt ganz eindeutig rechtsextreme Postings bei Facebook von AfD-Mitgliedern, wo das Horst-Wessel-Lied, also ein Lied der Nazis, gespielt wird. Herr Gröger selbst hat sich im Wahlkampf Unterstützung von Neonazis, Jungen hier aus dem Ort geholt, die mit plakatiert haben, die bekannt waren – also, da ist eigentlich sehr deutlich, das ist keine bürgerliche Alternative, das sind rechte Neo-Faschisten, die hier teilweise das Sagen haben, und auch Herr Gröger ist da eindeutig zu verorten."
Und dennoch – in Salzgitter ist bislang alles ruhig geblieben. Dort gibt es keine schrillen öffentlichen Kampagnen, keine Gewaltausbrüche, keine Kundgebungen von AfD, Pegida oder ähnlichen Gruppierungen wie zum Beispiel in Cottbus, meint David Janzen.
"Dort ist es normal, sich zur AfD zu bekennen, als Rechter zu zeigen – das ist für die nichts Besonderes. Hier ist man damit deutlich in der Minderheit und man kriegt Gegenwehr von vielen gesellschaftlichen Gruppen bis hin zu den Gewerkschaften, und da sind die Leute dann natürlich viel zurückhaltender, sozusagen 'Gesicht für Rechts' zu zeigen. Ich glaube, das ist ein Unterschied, und diese Massenmobilisierung, die wir im Osten haben, die haben wir hier überhaupt nicht."
Die Berliner Straße im Ortsteil Salzgitter-Lebenstedt – hier hat Ulrich Hagedorn sein Büro bei der Arbeiterwohlfahrt. Die AWO bietet in Salzgitter Sprachkurse und Berufsberatung für Flüchtlinge, organisiert Übersetzer, koordiniert Hilfsprogramme verschiedener Organisationen. Wenn Ulrich Hagedorn sein Büro verlässt und die Berliner Straße entlang schlendert, dann sind die Veränderungen der vergangenen Jahre unübersehbar.
"Es ist schon zu sehen, dass alte einheimische Geschäfte aufgeben und dafür – wie wir das gerade hier sehen, das Kebab-Haus und türkische Reisebüro und der Gemüseladen einziehen … gut, wenn ich jetzt hier ein Jägerschnitzel essen möchte, habe ich schon Schwierigkeiten – Döner geht einfacher!"

Fremde sind nichts Neues

Fremde Kulturen – eigentlich nichts Neues für die Menschen in Salzgitter. Seit Jahrzehnten leben sie damit. Eigentlich verdanke die erst 1942 gegründete Stadt ihre Existenz der Zuwanderung.
"Nach der Gründung sind Arbeiter aus dem ganzen Reich damals nach Salzgitter gekommen, um hier in den Stahlwerken zu arbeiten – dann gab es nach dem Krieg die Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten, dann gab es die Gastarbeiter, es gab die Spätaussiedler aus der Sowjetunion … und jetzt gibt es eben Menschen, die aus dem arabischen Bereich kommen. Das sind Wellen, die immer so eine nach der anderen hier durchgehen – das sind wir gewöhnt, das ist einfach so!"
Ulrich Hagedorn zögert kurz … und vollendet seinen Gedanken mit einem "aber":
"Naja, dieses 'aber' ist, dass eben in den letzten zwei, drei Jahren sehr, sehr viele Menschen auf einmal gekommen sind – und wir erleben alltäglich, dass alle sozialen Systeme an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gelangen und dass man auch mal Zeit braucht, um jetzt mal wieder ein bisschen hinterher zu kommen."
Diese Zeit hat Salzgitter jetzt – seit Ende September durften "nur noch" 88 Flüchtlinge nach Salzgitter ziehen. Das sei die erhoffte Atempause, betont SPD Stadträtin Christa Frenzel – jetzt müsse man die gewonnene Zeit nutzen und die versprochenen Finanzhilfen in Höhe von rund elf Millionen Euro schnell und nachhaltig in den Ausbau von Schulen und Kindergärten, in zusätzliches Personal für Sprachkurse und in viele andere Integrationsprojekte investieren.
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