Flüchtlingspolitik

Erdogan ist kein Partner für Merkel

Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Ankara.
Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Ankara. © TURKISH PRESIDENT PRESS OFFICE/dpa
Von Memet Kilic · 09.03.2016
In der Flüchtlingspolitik drohe Angela Merkel von Recep Tayyip Erdogan erpresst zu werden, befürchtet Memet Kilic. Weshalb es besser wäre, sie würde sich auf die Kritiker türkischer Politik stützen, anstatt sich auf Ankara einzulassen.
Unsere Bundeskanzlerin durchlebt im wahrsten Sinne des Wortes ein griechisches Drama. Homer hat es erzählt. Eine Herkulesaufgabe hat Angela Merkel zu bewältigen. Sie muss geflüchteten Menschen helfen und zugleich die Stimmung in Deutschland wie die EU als Gemeinschaft retten, da außer ihr keine andere politische Gestalt dazu in der Lage zu sein scheint.
Dabei ähnelt sie aber nicht Herkules, sondern Odysseus. Fährt sie doch durch eine Meerenge, an deren Seiten Charybdis und Skylla hausen: die AfD auf der einen, Recep Tayyip Erdogan auf der anderen.
Als ich vor dem "breitbeinigen Islamisten" in Ankara gewarnt habe, meinten andere noch, die Türkei sei durch ihn "demokratischer" geworden. Als ich gefordert habe, die Bundeskanzlerin müsse sich gegen seine regelmäßigen Wutausbrüche wehren, leistete sie ihm Wahlhilfe. Denn sie ist eine Geisel der Realpolitik geworden.

Türkei ist für die Flucht der Syrer mitverantwortlich

Seither frage ich mich, warum vergessen wurde, dass die Türkei gemeinsam mit Saudi-Arabien und Katar Dschihadisten gefördert und aufgerüstet hat. Alle drei sind verantwortlich dafür, dass Syrer zu Flüchtlingen wurden, und auch dafür, dass sie durch arabische Scheichs keinen Schutz erhalten.
Deutschland wird kritisiert, nicht genügend Hilfe für die Flüchtlingslager in der Türkei geleistet zu haben. Doch bis vor ein paar Jahren durfte nicht einmal der UNHCR Lager an der syrischen Grenze besuchen. Niemand durfte sehen, wer tatsächlich dort beherbergt und trainiert wurde. Damals bat Ankara in Berlin um Feldlazarette, nicht aber um deutsches Personal. Niemand sollte wissen, wer dort medizinisch behandelt wurde.
Angeblich versorgt die Türkei 2,5 Millionen syrische Flüchtlinge. Im besten Falle leben nur 250.000 davon in Flüchtlingslagern. Mindestens 1,5 Millionen befinden sich mittlerweile in Europa. Der Rest wird auf der Straße ausgebeutet. Warum also kauen unsere Medien alte Zahlen wieder?

Erdogan weiß Europa zu erpressen

Jeder, der Erdogan rudimentär kennt, weiß, dass er seine Verhandlungspartner einlullt, auf Zeit spielt und Vereinbarungen bricht, wenn er diese nicht mehr braucht. Er hat vor kurzem öffentlich damit gedroht, Flüchtlinge in Busse zu setzen und nach Norden zu schicken, weil er bemerkt hat, dass Europa erpressbar ist.
So ist es nur eine Frage der Zeit, bis er seine Drohung wahr macht, diesmal allerdings finanziert durch europäische Hilfsgelder. Inzwischen bereitet er sich auf den Oktober vor. Dann wird die türkische Öffentlichkeit merken, dass Visa für Europa doch nicht so frei zu haben sein werden, wie es Ankara heute verspricht.
Recep Tayyip Erdogan kann dann die stärkste Keule eines jeden Islamisten in die Hand nehmen: eine äußerst ausgeprägte Kränkungsbereitschaft. Er wird sich als betrogener gutmütiger und edler Muslim darstellen, dessen Vertrauen missbraucht wurde.

Merkel darf Kritik an Ankara nicht ignorieren

Wie Odysseus muss sich Angela Merkel an einen Feigenbaum festklammern, bis die Bedrohung durch das Seeungeheuer – dort Erdogan, hier AfD – vorüber ist. Dieser Feigenbaum müsste idealerweise die EU sein. Sie ist es aber nicht. Deswegen bleibt der Bundeskanzlerin auf ihrer Odyssee nur die demokratische Öffentlichkeit in der Türkei und in Europa als politische Stütze.
Es wäre falsch, nicht auf jene zu hören, die den islamistischen Kurs des türkischen Präsidenten anprangern. Es wäre falsch zu ignorieren, dass er Dschihadisten mit Waffen beliefern und kritische Journalisten inhaftieren lässt, dass er Opposition und Minderheiten bekämpfen und instrumentalisieren lässt, allein um seine Macht auszuspielen.
Dem hat er alles andere untergeordnet: innere Sicherheit und gute Nachbarschaft, Demokratie, Islam und Moderne.

Memet Kilic, 49 Jahre alt, kam 1990 nach Deutschland und arbeitet als Rechtsanwalt in Heidelberg. Er ist Mitglied der Anwaltskammern Ankara und Karlsruhe und Vorsitzender des Bundesintegrationsrates.

Zuvor war er Bundestagsabgeordneter – mit Sitz im Innenausschusses sowie Integrationspolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion (2009-2013), ferner Mitglied des Rundfunkrates des Südwestrundfunks (1998-2008) sowie des "Beirates für Fragen der Inneren Führung der Bundeswehr" (2002-2010).
Er ist Verfasser zahlreicher juristischer und politischer Veröffentlichungen.

© Quelle: privat
Mehr zum Thema