Flüchtlingsarbeit in Brandenburg

Mit Otto und Horst zu Eurogida

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Der Bus, der Einkaufsfahrten für Geflüchtete ermöglicht © Deutschlandradio / Thilo Schmidt
Von Thilo Schmidt · 19.06.2018
In ländlichen Regionen ist es für Geflüchtete schwer, ihre gewohnten Lebensmittel zu kaufen. Darum lädt der Willkommenskreis in Neuhardenberg jeden Monat zur Einkaufsfahrt nach Berlin. Doch beinahe wäre es vorbei gewesen mit dem "Otto-Bus".
Geflüchteter: "Wir wollen gerne einkaufen und vielleicht eine kurze Rundfahrt machen!"
Vor der Flüchtlingsunterkunft, einem Plattenbau, wartet ein rot-weißer Bus, Typ Mercedes O-405-N. Das herrschaftliche Schloss Neuhardenberg liegt gleich um die Ecke. Die Flüchtlinge schleppen ihre Einkaufstrolleys in den Bus.
Eine Stunde wird er brauchen bis Berlin-Gesundbrunnen, zum Eurogida, einem türkischen Supermarkt.
Geflüchteter: "In Neuhardenberg gibt es einen Supermarkt, einen REWE. Aber wir gehen immer zum Kaufen nach Berlin."
"Gibt es in Berlin Sachen, die sie in Neuhardenberg gar nicht kriegen würden?"
Geflüchteter: "Wir bekommen kein Halal-Fleisch, Lammfleisch oder Kuhfleisch. Wir kaufen Schafsfleisch."

Für drei Euro hin und zurück

Arabische oder asiatische Lebensmittel, Fleisch, das "halal", also geschächtet ist, gibt es in Neuhardenberg nicht. Drei Euro kostet die Fahrt, hin und zurück, ein Schnäppchen. Horst Nachtsheim von der Willkommensinitiative Neuhardenberg begleitet die Fahrt:
"Wir fahren jetzt in Neuhardenberg los, fahren dann nach Platkow in die Einrichtung, dann nach Gusow, und dann nach Müncheberg."
Nach kurzer Fahrt stoppt der Bus an der Flüchtlingsunterkunft in Platkow. Es sind viele glückliche Umstände, dass der Bus für die Neuhardenberger fährt. "Chance e.V.", ein Jugendhilfeverein aus der Region, kaufte den alten Mercedes-Bus über ein Förderprojekt und nannte ihn "Otto". Und Thomas Winkelkotte, der die Idee zu dem Projekt hatte, hat dazu aus alten Tagen noch einen Busführerschein:
"Da ist noch ne 12-Liter-Maschine drin, der hat jetzt gut 700.000 hinter sich, und der fährt noch mal so viel, wenn man ihn pfleglich behandelt."
Und Otto wird gebraucht – in der Jugend- und Flüchtlingsarbeit in Ostbrandenburg. Dabei war er fast schon tot. Im März fuhr er Jugendliche aus dem Landkreis nach Cottbus, zu einer Demo gegen Rassismus.
Winkelkotte: "Und da ist der Bus dann wahrscheinlich von Neonazis, irgendwie eingeschlagen worden. Und es hat dann eine unheimlich große Welle von Solidarität gegeben, dass dann die Kosten von gut 10.000 Euro wieder zusammengekommen sind, dass wir den Bus wieder herrichten konnten."
Seitdem rollt er wieder. Jetzt gerade weiter, Richtung Müncheberg. Es sind noch Plätze frei im Bus. Gerne hätte Nachtsheim gehabt, dass Bürger aus Neuhardenberg mitfahren.
Nachtsheim: "Das Angebot hier das ist ja offen auch für Neuhardenberger Bürger. Das ist kein reines Flüchtlingsangebot. Sondern, wir haben das dann auch in den Amtsnachrichten geschrieben: Das ist für Flüchtlinge und für Bürgerinnen und Bürger aus Neuhardenberg. Dass man vielleicht ins Gespräch kommt miteinander."
Es ist noch niemand mitgefahren.
Ein Geflüchteter bittet um Rat, er will eine Wohnung. Nachtsheim gibt Tipps, macht ihm aber nicht viel Hoffnung. Weil er weiß, dass geduldete Flüchtlinge diese Chance hier, im Landkreis Märkisch-Oderland, kaum bekommen.
Immer mehr Ehrenamtliche im Landkreis würden sich frustriert zurückziehen, erzählt er, als der Bus die nächste Station in Müncheberg erreicht. Auch er hat die Arbeit in allen politischen Gremien hingeschmissen. Weil Landrat und Verwaltung gegen die Willkommensinitiativen arbeiten würden.

"Wir konzentrieren uns auf das, was realisiert werden kann"

Nachtsheim: "Wenn wir Flüchtlinge begleiten, zum Beispiel auf Ausländerbehörden oder aufs Sozialamt, dann kriegen wir den Frust, den die Flüchtlinge mitkriegen, den kriegen wir ja auch ab. Und wir konzentrieren uns jetzt auf das, was unmittelbar an Möglichkeiten realisiert werden kann, zum Beispiel diese Einkaufsfahrten."
Nachtsheim lächelt, er ist für die Geflüchteten so etwas wie ein väterlicher Freund.
Geflüchteter: "Horst hilft uns, dass wir nach Berlin zum Einkaufen gehen. Verstehst du? Wir sind sehr glücklich!"
Er konzentriert sich jetzt darauf, ihnen Arbeit oder Praktika zu vermitteln. Er organisiert Spielenachmittage mit den Kindern, Feuerfeste am Ramadan. Oder Fahrten mit Bus Otto. Im Sommer will er mit den Flüchtlingen an die Ostsee. Das bringe mehr, als sich mit dem Landrat herumzuärgern.
Nachtsheim: "Ist der belegt?"
Winkelkotte: "Da stehen welche drauf, die nicht draufstehen dürfen. Aber davor ist frei. Ist die Frage ... "
Nachtsheim: "Ob du da reinkommst, gell?"
Am Gesundbrunnen ist der Parkplatz für Busse belegt. Fahrer Thomas Winkelkotte gelingt es trotzdem, Otto in eine Lücke zu bugsieren.
Nachtsheim: "Wir haben jetzt zwei Stunden Zeit. Bis 14 Uhr. Um 14 Uhr treffen wir uns wieder hier ... und ihr solltet pünktlich sein!"
Die Flüchtlinge schwärmen gleich in alle Richtungen aus. Und Otto und sein Fahrer haben zwei Stunden Pause.
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