Flüchtlinge

Ungarn schließt das Tor

Flüchtlinge nach ihrem Grenzübertritt in Ungarn
Flüchtlinge nach ihrem Grenzübertritt in Ungarn © picture alliance / dpa / Csaba Krizsan
Von Gudula Geuther · 14.09.2015
Ungarn hat seine Polizeibeamten in Alarmbereitschaft versetzt. Nach Einschätzung von Beobachtern geschieht das in Erwartung einer sehr großen Zahl von Flüchtlingen aus Serbien noch heute. Ab morgen wird illegaler Grenzübertritt in Ungarn als Straftat eingeordnet.
"I come from Afghanistan, I want to go to Germany - inshallah"
"Wir sind jetzt an dem Punkt, wo die Eisenbahnlinie ins Land reinfährt und wo die meisten Flüchtlinge ins Land reinkommen. Hier werden sie nicht kontrolliert, weil sie gehen gleich zu dem Sammelpunkt, wo sie dann aufgenommen werden."
Ein Schlupfloch im neuen Grenzzaun nennt Ungarns Sozialstaatssekretär die Aussparung. Innerhalb weniger Minuten passieren Gruppen von jungen Männern und bärtigen in mittleren Jahren den Übergang zwischen Serbien und Ungarn. Familien, die Frauen mal mit, mal ohne Kopftuch. Einige schreiten aus, andere gehen mit Mühe. Und dann stehen sie zwanzig, dreißig Minuten später auf dem inzwischen berühmten Acker, dem wilden, inoffiziellen Lager Biszke, wo Zelte stehen, die zwischenzeitlich auch als Toiletten benutzt wurden, inzwischen gibt es mehr mobile Anlagen. Hier warten sie auf Busse. Wohin, weiß kaum jemand. Tatsächlich werden die Menschen wenige hundert Meter weiter registriert, im offiziellen Lager Biszke.
Die Zukunft? - In Deutschland
Ich fürchte diese ganze Prozedur, sagt ein Mittzwanziger, dessen Augen anzusehen ist, dass er seit Wochen unterwegs ist. Aber es ist ok - so ist es. Der junge Mann will nach Deutschland, wie er sagt hofft er, dort sein Medizinstudium beenden zu können.
Was dann passiert? Die Leute werden auf Erstaufnahmeeinrichtungen verteilt, wo sie das Asylverfahren durchlaufen, an der Version halten Staatsvertreter fest. Wenn sie nicht in Ungarn bleiben wollen, sagt dagegen ein Kirchenmann, und fast niemand will in Ungarn bleiben, fährt sie der Bus direkt zum Bahnhof Keleti, dem Ostbahnhof in Budapest. Ziel: Die Grenze nach Österreich. Aber wer weiß das schon.
"Wir wollen nicht in einen Bus einsteigen und dann erfahren, dass uns die Fingerabdrücke genommen werden. Wenn uns die Abdrücke genommen werden, kommen wir wieder."
Das sagt eine schmale, resolute Syrerin. Dass das bei der Grenzpolitik Deutschlands, die am Nachmittag noch gilt, keine Rolle spielt, ist ihr egal. Sie ist gut informiert: Ich will nicht nach Deutschland, sagt sie, sie will nach Schweden und dort ist es anders.
Das Kontrollsystem verändert sich täglich
Der Beamte im Beratungszelt vertritt die strikte Linie:
"Ja, man wird ihre Abdrücke nehmen, wie von allen anderen. Denn so ist es Europäisches Recht. Schengen. Ich kann nicht sagen, wie Deutschland oder andere Staaten damit umgehen. Ohne Fingerabdrücke geht es nicht."
Die kleine Frau mit dem hellgelben Tuch will sich nicht zufrieden geben, bis einer aus der Gruppe, mit der sie reist, mit anderen Angaben eines Polizisten zurückkommt:
"Er hat mir gesagt, das System verändert sich täglich. Wir gehen zum Sammelpunkt, und dann zu einem anderen Punkt, und dann zum Zug oder Bus nach Wien in Österreich. Das hat er mir gerade gesagt."
Die Nachricht, dass die deutschen Grenzen vorläufig zu sind, sickert nur langsam durch. Allein die Vorstellung macht einer Afghanin, Mitte zwanzig, sichtbar Sorge. Der Leiter der ungarischen Diakonie, Laszlo Lehel, weiß in dem Moment noch nichts von den offenen Grenzen Österreichs. Er rechnet vor, bis zu dem Tag, an dem Ungarn ohnehin die Grenzen schließen will.
"Also wenn wir täglich mit 4000 rechnen, dann haben wir noch fünf Tage, dann sind wir bei 20.000. Wenn wir dann noch die dazurechnen, die jetzt schon hier sind, dann sind wir leicht bei 30.000. Wir werden unsere Kräfte hier stärken."
Und dann müsste man eben die Lager, die derzeit tatsächlich teilweise leer sind, wieder füllen. Und vielleicht auch mehr.
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