Flüchtlinge

Kirchen sollen mehr Engagement zeigen

Ein Mann sitzt mit dem Rücken zur Kamera unten in einem zweistöckigen Bett.
Wohin mit den Menschen, die Hilfe in Deutschland suchen? Ein Flüchtling in einem Unterkunftszelt in München. © dpa / Tobias Hase
CDU-Politiker Klaus Bouillon im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 26.02.2015
Die Bundesländer erwarten in diesem Jahr mehr als 200.000 Flüchtlinge, die untergebracht und versorgt werden wollen. Saarlands Innenminister Klaus Bouillon fordert dafür ein Bundessonderprogramm, sieht jedoch auch die Kirche in der Pflicht.
Der saarländische Innenminister Klaus Bouillon hat die Kirchengemeinden aufgefordert, sich mehr als bislang für Flüchtlinge und deren Unterbringung in Deutschland zu engagieren.Im Deutschlandradio Kultur sagte der CDU-Politiker:
„Die Kirchen spielen eine wichtige Rolle, aber nach meiner Einschätzung könnten sie eine noch wichtigere Rolle spielen. Ich denke, die Schaffung von Wohnraum sollte auch aktiv durch die Kirche betrieben werden."
Es sei kein Geheimnis, das viele Diözesen über relativ viel Geld verfügten. Deshalb wünschten die Kommunen sich von ihnen mehr Unterstützung.
Als problematisch wertete Bouillon dagegen das Thema „Kirchenasyl". Viele Kirchengemeinden gewährten Flüchtlingen diese Zuflucht, „aber man muss genauso deutlich sagen: Wir leben in einem Rechtsstaat, wir haben eine Trennung von Kirche und Staat, und das staatliche Gesetz, alle Gesetze gelten auch für die Kirchen." Das Kirchenasyl müsse nicht eingeschränkt werden, jedoch müssten sich Gemeinden, die Kirchenasyl gewährten, nach dem Grundgesetz verhalten und dürften nur solchen Menschen Asyl gewähren, die als Flüchtlinge anerkannt seien.
Die Kommunen brauchen Bundeshilfe
Bouillon sagte weiter, im Übrigen sei der Bund in der Pflicht – denn der Wohnraum sei nicht mehr ausreichend:
„Alle Kommunen und Landkreise brauchen dringend ein Bundessonderprogramm – wie nach dem 2. Weltkrieg. Wenn wir davon ausgehen, dass in diesem Jahr noch mehr als 200.000 Menschen zu uns kommen, dann sind die Kapazitäten in einigen Monaten erschöpft."
Dies bereite ihm große Sorge. Die Solidarität unter den Bürgern gegenüber Flüchtlingen werde schwinden, wenn zunehmend in den Dörfern die Gemeinschaftseinrichtungen als Unterkünfte genutzt würden.

Das Interview im Wortlaut:
Moderator: Wer sich nicht ganz den Nachrichten dieser Welt verweigert, der kann sich nicht wundern über die größer werdende Zahl an Menschen, die auch in Deutschland Zuflucht suchen. 200.000 Flüchtlinge sind allein im letzten Jahr hierhergekommen aus Syrien, aus dem Irak, aus Afghanistan und noch immer vom Balkan, so viele wie noch nie. Und entsprechend groß sind die Schwierigkeiten für Städte und Gemeinden, überhaupt genügend Unterkünfte zu finden. Das Saarland, ein Land, das ja bekanntlich nicht gerade zu den reichsten gehört, hat jetzt ein Sonderprogramm aufgelegt, zehn Millionen Euro, die Kommunen, aber auch Privatleuten helfen sollen, Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen. Am Telefon ist jetzt der Innenminister des Saarlandes Klaus Bouillon. Guten Morgen!
Klaus Bouillon: Guten Morgen!
Moderator: Ist Ihr Programm der Beweis: Wer helfen kann, der kann immer helfen, selbst wenn er klamm ist?
Bouillon: Ich denke, das Programm ist der Beweis, dass man tatsächlich helfen kann. Am Anfang waren viele Leute skeptisch, aber wir haben in relativ kurzer Zeit aus unserer Sicht viel erreicht. Wir konnten mit zehn Millionen staatlicherseits dafür Sorge tragen, dass unsere 52 Kommunen alle mitmachen. Alle Bürgermeister machen mit, die Hauptamtsleiter. Wir haben die Leute geschult, das hat dazu geführt, dass wir innerhalb von zwei Monaten rund 30.000 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung haben. Das reicht zur Unterbringung in den nächsten Monaten von rund 2.000 Menschen. Und wir haben erreicht mit diesem Programm einen zweiten Vorteil: Viele Private sanieren ihre Häuser. Wir sind ja im Saarland, wir leben in einer ländlichen Region, es gibt viele Leerstände. Und mit einem Zuschuss von 50 Prozent für die Umbaumaßnahmen kann man einiges erreichen.
Die Bereitschaft der Bevölkerung ist da
Moderator: Wie müssen Flüchtlinge untergebracht sein, wo am besten?
Bouillon: Es gibt für mich nur eine Lösung: dezentral. Die Landesaufnahmelager, die wir überall brauchen für die Erstversorgung, bis die Menschen wissen, in welchem Kulturkreis sie sich bewegen, die braucht man. Aber danach ist sicherlich der Optimalfall, wenn man sie möglichst schnell in kleinen Einheiten, in die Familien, in die Dörfer, in die Vereine integrieren kann. Und das versuchen wir, das klappt auch im Saarland bisher sehr, sehr gut. Die Bereitschaft der Bevölkerung ist da.
Moderator: Sie sind ja selbst recht frisch im Amt des Innenministers, 100 Tage, waren zuvor 30 Jahre lang Bürgermeister einer Kreisstadt im Saarland. Insofern kennen Sie die Sorgen der Kommunen aus eigener Anschauung. Können die Kommunen das, was da seit Monaten auf sie zukommt, was auch noch zukommen wird auf sie, können sie das noch stemmen?
Bouillon: Auf die Dauer wird das nicht mehr gehen. Ich nenne ein paar Zahlen aus dem Saarland: Wir kriegen ja nur 1,4, 1,5 Prozent nach dem sogenannten Königsberger Schlüssel der Flüchtlinge. Aber wenn man mal ... Das sind bei uns ungefähr 2.500 Leute pro Jahr. Wenn man aber nach Nordrhein-Westfalen oder nach Bayern schaut, wo Zehntausende kommen, an einem Wochenende 1.000, 1.500, da stellen wir fest, dass der Wohnraum in absehbarer Zeit nicht mehr ausreichen wird. Schon jetzt müssen ja viele mit Zeltstädten oder Containerdörfern arbeiten. Das bedeutet: Derjenige, der gefordert ist, der die Hauptverantwortung hat, das ist der Bund.
Alle Kommunen und die Landkreise brauchen dringend ein Bundessonderprogramm, so wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Wenn wir davon ausgehen, dass in diesem Jahr ja noch mehr als 200.000 Menschen zu uns kommen, dann sind die Kapazitäten in einigen Monaten erschöpft. Und das ist meine Sorge. Weil ich fürchte, wenn in den Städten die Dorfgemeinschaftshäuser, die Hallen, die Gemeinschaftseinrichtungen belegt werden, dann ist es mit der Freundlichkeit gegenüber Menschen, die zu uns kommen, fürchte ich, schnell vorbei.
Termin mit dem Kanzleramtschef
Moderator: Haben Sie den Eindruck, dass man in Berlin diese Dringlichkeit sieht?
Bouillon: Ich denke, ja. Ich hatte vor einigen Monaten, zwei Tage nach Amtsantritt, ein Gespräch mit dem Kanzleramtsminister Herrn Peter Altmeier. Ich habe ihm die Problematik geschildert, ich bin übrigens wieder dort in 14 Tagen. Daraufhin hat ja der Bund sehr schnell reagiert und ein Sonderprogramm von fünf Milliarden aufgelegt, davon bekommt das Saarland zehn Millionen entsprechend der Einwohnerzahl. Aber wir brauchen noch mehr, weil der Zustrom offensichtlich immer größer wird.
Moderator: Herr Bouillon, wie wichtig sind die Kirchen, welche Rolle spielen sie, wenn es um Flüchtlinge geht?
Bouillon: Die Kirchen spielen eine wichtige Rolle, aber nach meiner Einschätzung könnten sie eine noch wichtigere Rolle spielen.
Moderator: In welcher Form?
Bouillon: Ich denke, die Schaffung von Wohnraum soll auch aktiv, proaktiv durch die Kirchen betrieben werden. Es ist ja kein Geheimnis, dass viele Diözesen über Gott sei Dank, wenn man den Medien glauben darf, sehr viel Geld verfügen. Und wir wünschen uns natürlich, dass die Kirche uns hier etwas aktiver als bisher bekleidet, weil, die Finanzlage der Kommunen ist äußerst prekär.
Moderator: Wenn ich die Kirchen richtig verstehe, würden sie gerne sogar noch aktiver sein, nämlich in Form des Kirchenasyls zum Beispiel. Aber da gibt es ja gerade aus Ihrer Partei ganz scharfe Kritik des Bundesinnenministers Thomas de Maizière, ich habe es am Anfang erwähnt.
Bouillon: Ja.
Moderator: Das Kirchenasyl, er sagt, das darf so nicht weitergehen. Sagen Sie das auch?
Bouillon: Ich glaube, das sagt jeder Jurist. Bei allem Verständnis für Menschlichkeit, und wir wissen ja, es sind ja Menschen, die sich unheimlich engagieren – sind oft einzelne Pfarrgemeinden, gleich welcher Konfession –, aber man muss genauso deutlich sagen: Wir leben in einem Rechtsstaat. Wir haben eine Trennung von Kirche und Staat und das staatliche Gesetz, alle Gesetze gelten auch für die Kirchen. Aber man hat hier eine Lösung gefunden in der Vergangenheit mit dem Kirchenasyl.
Erst fragen, dann handeln
Da war zum Beispiel vereinbart, dass man sich, wenn rechtskräftig feststeht auf dem Boden des Grundgesetzes, wenn die deutschen Gerichte urteilen, diese Person A muss Deutschland verlassen, dann ist das die Rechtsprechung auf dem Boden des Grundgesetzes. Wenn dann jemand Kirchenasyl gewährt, haben wir gesagt, dann muss man sich bitte vorher mit den entsprechenden Behörden darüber unterhalten. Und leider Gottes sind in den letzten Jahren Fälle eingetreten, in denen aus guter Absicht einige Pastöre überhaupt nicht mehr nachgefragt haben, und das sorgt dann natürlich für Unmut. Allerdings ist die Zahl ja eh klein.
Moderator: Das heißt, in diesem Sinne braucht es eine Einschränkung des Kirchenasyls?
Bouillon: Meines Erachtens muss man nur das Kirchenasyl so wie vereinbart anwenden. Zum Beispiel die Dublin-Fälle, die es ja seit einigen Jahren gibt, waren nie Gegenstand des Kirchenasyls. Grund war ja, dass Menschen vor zehn, zwölf Jahren teilweise in Länder zurückgeschoben werden sollten, in denen es immer noch gewisse Unruhen gab. Dublin-Abkommen bedeutet: Menschen, die Deutschland verlassen sollen nach Frankreich, nach Belgien, also innerhalb der EU, das war nie Gegenstand des sogenannten Kirchenasyls. Und das ist auch aus der Sicht vieler Innenminister, vieler Menschen nicht einzusehen. Weil, wer in Europa lebt, wer in Europa leben soll, hat ja nirgendwo was zu befürchten.
Moderator: Die Position des Innenministers des Saarlandes Klaus Bouillon von der CDU. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Bouillon: Gerne, tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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