Flüchtlinge in Sumte

Ein Flüchtlingsheim als Wirtschaftsfaktor

Eine Mitarbeiterin des Arbeiter-Samariter-Bundes legt zusammen mit einer Flüchtlingsfrau in Sumte Kleidung in der Wäscherei zusammen.
Eine Mitarbeiterin des Arbeiter-Samariter-Bundes legt zusammen mit einer Flüchtlingsfrau in Sumte Kleidung in der Wäscherei zusammen. © picture alliance / dpa / Philipp Schulze
Von Hartwig Tegeler · 26.04.2016
Rund 160 Flüchtlinge leben im 102-Einwohner-Dorf Sumte in Niedersachsen. Das Flüchtlingsheim ist inzwischen ein wichtiger Arbeitgeber für die Bevölkerung geworden.
"Oh, Alissa."
"Ah, äh, äh."
Die kleine Alisa aus Syrien und ihre Mutter beim Medizincheck.
"Alisa."
"Ey."
"Ey. Hallo. Was hast denn du da?"
Alltag im Flüchtlingsheim. Im Dezember ist die alleinerziehende Mutter aus Göttingen nach Neuhaus gezogen.

"Man muss verrückte Dinge tun"

"Na ja, ich meine, man muss verrückte Dinge im Leben tun. Und deswegen bin ich, glaube ich, jetzt hier."
Daniela Hartwig arbeitete für den Arbeiter-Samariter-Bund in einem kleineren Heim in der Nähe von Göttingen. Doch das Camp Sumte mit doppelt so vielen Flüchtlingsplätzen und entsprechend komplexeren Aufgaben reizten die 33-Jährige, jetzt Leiterin der Sanitätsstation.
"Weiter!"
Jens Meier, Heimleiter, rechnet. Amt Neuhaus, die Gemeinde, in der Sumte liegt: 4500 Einwohner. 44 Neuhauser Bürger haben im Camp seit Herbst einen Job gefunden. Meier:
"Wenn ich das jetzt richtig mathematisch wiedergebe: ein Prozent. Das ist ja schon nicht gerade wenig. Insofern hat dieses Camp auch als Motor unter wirtschaftlichen Aspekten, Menschen in Lohn und Brot bringen, natürlich auch eine gewisse Bedeutung bekommen."

60 befristete Arbeitsverträge

Bis Ende Oktober gibt das Land Niedersachsen Bestandsschutz. Entsprechend befristet sind die 60 Arbeitsverträge derjenigen, die Jens Meier hier eingestellt hat. Und für die er jetzt Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln sucht. Zurzeit etwa machen drei Mitarbeiter eine Ausbildung zum Rettungssanitäter.
"Wenn das Camp zugemacht werden sollte, werden diese Mitarbeiter es einfacher haben, hinterher auch einen Job zu finden."
Für Mandy Thoms, 37 Jahre alt, geht heute ein langer Arbeitstag zu Ende.
"Hat mein Mann seine Sachen hier gelassen. Herr Meier, ich fahre jetzt erst mal los."
Von der Familie Thoms arbeiten im Camp: Mandy Thoms - Heimleitung. Ihr Lebensgefährte - Küche. Schwester eins - ebenda. Mutter und Schwester zwei - Sozialarbeiterinnen.

Weniger mit Formularen herumschlagen

"So gut wie alle Mitarbeiter, die hier arbeiten, sind ja auch aus der Region."
Sagt Mandy Thoms, die in diesem Jahr aus einer anderen Flüchtlingsunterkunft hierher wechselte. In Sumte kann sie mehr Initiative entwickeln, muss sich weniger mit Formularen und bürokratischen Hemmnissen herumschlagen, sagt die Frau, die acht Kilometer entfernt wohnt.
"Dass man den Leuten auch näher kommt, mehr über sie erfährt. Und mit den Leuten auch arbeiten kann."
Mandy Thoms' Motiv, ihr Grundgefühl bei der Flüchtlingsarbeit:
"Zufriedenheit, was Gutes getan zu haben. Das ist wirklich so. Und ich gehe hier abends nie raus und sage 'Oh!'. Also, ich gehe hier eigentlich auch immer mit einem Lächeln raus. Wirklich! Jetzt in der ganzen Zeit, viele Leute waren dann wirklich auch ein halbes Jahr hier, die sind einem auch ans Herz gewachsen."

"Aus der Ehrenamtlichkeit ein Job geworden"

Vorbereitungen für das Frühlingsgrillfest im Camp. Verständlich, dass die Küchen-Chefin keine Zeit für ein Interview hat. Aber gut, dann bitte schnell auf dem Weg zur Küche.
"Ich hatte eigentlich nicht vor, in Deutschland zu bleiben. Ich war eigentlich nur für einen kurzen Urlaub bei meinen Eltern. Und hatte eigentlich jetzt vor, nach Barcelona zu ziehen oder jetzt schon in Barcelona zu sein."
Anja Tewes, 26 Jahre alt. Studium für Internationales Hotel-Management in Holland. Wohnsitz in Barcelona. Ihre Familie wohnt in Neuhaus. Eigentlich wollte die junge Frau während eines Urlaubs zu Hause nur kurz im Flüchtlingsheim aushelfen.
"Und dann ist aus der Ehrenamtlichkeit schnell der Job geworden."

Barcelona? "Erstmal bleibe ich hier!"

Jetzt ist Anja Tewes Leiterin des Sumter Küchenteams und zuständig für den Einkauf:
"Man hat einfach das Gefühl gehabt, man kann richtig was bewegen. Ich glaube, dass dieses Gefühl von, wieder Leuten helfen zu können, die das wirklich nötig haben, einfach auch eine Bereicherung auf für das Leben ist. Ich finde das dann eher bemerkenswert, wie diese Leute, die so viel Leid erlebt haben, dann trotzdem jeden Tag aufstehen können und lächeln können nach dem, was sie alles erlebt haben. Und das schaffen diese Leute irgendwie. Und das finde ich bereichernd. Weil, wer weiß, wie wir damit umgehen würden, wenn wir so was erleben würden."
Und Barcelona?
"Also, erstmal bleibe ich hier, ja!"

Entspannter Blick in die Zukunft

Die Balkanroute ist geschlossen; es kommen kaum noch Flüchtlinge. Ob das Sumter Camp noch über den Herbst hinaus existieren wird? Doch es mag einen erstaunen oder nicht, Daniela Hartwig, Mandy Thoms und Anja Tewes schauen entspannt in die Zukunft. Hartwig:
"Selbst wenn das Camp schließt, ist es ja nicht mit der Flüchtlingsarbeit vorbei. Denn alle Flüchtlinge, die jetzt schon hier sind, müssen ja weiter betreut werden."
Thoms: "Wir können uns verrückt machen, wenn es soweit ist."
Hartwig: "Ich werde jetzt erst mal hierbleiben."
Tewes: "Wenn es weitergehen soll, dann geht es weiter. Und wenn nicht, dann vielleicht an anderer Stelle."
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