Flüchtlinge in Hamburg

Warten bis der Arzt kommt

Rettungskräfte vor einer Hamburger Flüchtlingsunterkunft
Rettungskräfte in Hamburg vor einem Flüchtlingszelt am Hauptbahnhof. Dort hatte es im November einen Einsatz gegeben. Laut eines Notarztes hätten Kinder Fieber und Durchfall gehabt und wurden ins Krankenhaus gebracht. © picture alliance / dpa / Foto: Daniel Bockwoldt
Von Ernst-Ludwig Aster · 04.01.2016
Die Unterbringung von Flüchtlingen ist nach wie vor eine logistische Herausforderung. Und es geht nicht nur um ein Dach über dem Kopf. Die Menschen, die bei uns Asyl suchen, müssen auch medizinisch versorgt werden. Ein Arzt schildert seine Erfahrungen in Hamburg.
Oben, auf der A 7 rollt der Berufsverkehr. Unten, am Fuße des Fahrdammes, hinter mobilen Metallzäunen, flattern weiße Zeltbahnen im kalten Wind. Fünf junge Männer kommen einen schmalen Asphaltweg entlang. Sie tragen dicke Jacken, Mützen, Handschuhe. "Wir kommen aus Syrien", sagen sie.

"We are living in Schnackenburgallee… ich bin hier seit vier Monate, ja."
Seit vier Monaten leben sie im Erstaufnahmelager, in der Schnackenburgallee in Hamburg. Neben dem Volkspark, unweit des Fußballstadions. Dahinter ragen einige Container empor.
"Ich wohne in Container. Kalt, mischmisch…"

Dr. Paul Brandenburg kennt die Hamburger Erstaufnahmelager. Er hat dort als Arzt gearbeitet. Jetzt sitzt er in einem Berliner Cafe, beugt sich über seinen tragbaren Computer, zeigt Fotos. Wochenlang war Brandenburg in Hamburg als Honorar-Arzt im Einsatz. Behandelte zusammen mit Kollegen Flüchtlinge, sollte eine Erstversorgung sicherstellen.
"Das Ganze erinnert so ein bisschen an Dr. Livingston oder irgendwelche Albert-Schweitzer Situationen. Und das im Jahr 2015 in einem der reichsten Städte dieses Landes. Das muss einfach nicht sein."
Während die Willkommenskultur in Deutschland international gelobt und gefeiert wurde, versuchten die Mediziner in den Erstaufnahmelagern so gut es geht Hilfe zu leisten. Gut ging es selten.
"Schauen sie sich sowas an, wie unkoordiniert der Andrang da ist: Die Menschen sind ja auch noch nicht mal aufgenommen in Anführungsstrichen, das heißt, sie sind noch nicht mal registriert, wir wissen noch nicht mal, wie heißt denn dieser Mensch, wann ist der geboren. Das heißt, bei jedem Patienten, den wir sehen, müssen erstmal ne Akte anlegen, damit wir wissen, was hat der denn gestern für Medikamente von uns bekommen."

Der Arzt klickt weiter durch seine digitale Bildersammlung. Dutzende Flüchtlinge drängen sich vor dem Arzt-Zelt. Enttäuschte, wütende Gesichter. Ordner versuchen die Menschen zu beruhigen.
"Wenn es regnet stehen die Menschen eben draußen im Regen, Wartesaal gibt es nicht. Und die stehen da drei, vier Stunden bis sie rankommen. Sie können sich vorstellen, dass so jemand aggressiv wird. Wir konnten am Ende nicht mehr arbeiten, ohne dass mehrere Personen vom Sicherheitsdienst dastanden, weil die Menschen natürlich einfach reindrängten und sagten: Ich will jetzt behandelt werden."
Fehlende Dolmetscher und Missverständnisse
Die Ärzte behandeln bis zu 250 Menschen pro Tag. Oft fehlen Dolmetscher. Es gibt Missverständnisse. Immer wieder wenden sich Brandenburg und seine Kollegen an die zuständigen Behörden. Warnen vor allem vor hygienischen Missständen.
"Lassen sie da mal einen Noro-Virus dazwischenkommen, ohne jegliche Quarantänemöglichkeit, da droht uns die Katastrophe. Und genau das haben wir auch der Stadtverwaltung und dem Bürgermeister schriftlich mitgeteilt. Und wir haben tatsächlich von der Gesundheitssenatorin, vom Innensenator der sich gemeldet hat und vom Referenten des Bürgermeisters nur ein Schulterzucken bekommen. Ja, ja man wisse ja, man müsse was tun."
Es handele sich um einen kurzfristigen Katastropheneinsatz bekommen die Mediziner immer wieder zu hören. Doch die Kurzfristigkeit zieht sich über Monate hin.

"Also eine derartige Mischung aus Arroganz, Opportunismus und Unfähigkeit, wie dort, habe ich selten erlebt bisher. Sie verlieren nicht nur den Glauben an Artikel 1 des Grundgesetzes, sondern auch an den Willen unserer Behörden so was auch nur durchzusetzen."
Irgendwann zogenPaul Brandenburg und einige seiner Kollegen die Konsequenzen – sie kündigten. "Ich konnte meine Arbeit nicht mehr verantworten", sagt der Arzt.
"Man hat versucht, den Spieß umzudrehen, ganz perfide, und hat gesagt: Ihr wollt euch aus der Verantwortung stehlen. Aber wir mussten irgendwann für uns die Entscheidung treffen, machen wir das weiter. Man kann so etwas nicht unterstützen, wenn man sieht, dass der Zug gegen die Wand fährt. Und mehrfach gewarnt hat aber ein Wille da ist zu handeln. Dann macht man sich mitschuldig, wenn man das weiter unterstützt. Und dann haben wir uns irgendwann rausgezogen."
Kurz vor Weihnachten kündigte die Hamburger Gesundheitssenatorin an, dass pro 1.000 Flüchtlinge in den Erstaufnahmen jetzt ein Hausarzt zur Verfügung stehe, der eine einfache Basis-Versorgung garantiere. Paul Brandenburg schüttelt den Kopf, klappt den Computer zu. Das reicht niemals aus, sagt er. Auch einer seiner Hamburger Ärzte-Kollegen hat vor kurzem öffentlich gewarnt.

"Wir haben mit diesen Flüchtlingslagern einen Dauerzustand. Der über Monate bleiben wird, der eher noch schlimmer werden wird. Und die Politik gesteht weder sich noch den Menschen ein, dass man auch entsprechende Strukturen schaffen muss. Man möchte nichts schaffen, was nach außen sichtbar macht: Jawohl, wir müssen uns auf absehbare Zeit damit einrichten. Und auszubaden haben das eben die armen Teufel, die in diesen Lagern wohnen."
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