Flüchtlinge in Halberstadt

Ab 19 Uhr bin ich "Willkommens-Engel"

Flüchtlinge in der Halberstadt
Indische Kinder spielen in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Sachsen-Anhalt in Halberstadt; Aufnahme vom Januar 2015 © picture alliance / dpa / Foto: Jens Wolf
Von Christoph Richter · 30.03.2015
Im Wald vor den Toren von Halberstadt liegt die zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt. Dort werden sie medizinisch betreut und bekommen Hilfe beim Asylantrag. Weil immer mehr Menschen erst am Abend eintreffen, bringen ehrenamtliche Helfer sie dorthin.
"I‘m Thomas. Welcome!"
Thomas Gierscher ist 35, selbständiger Versicherungskaufmann. Er trägt eine Art blaue Polizei-Jacke. Auf der Brusttasche steht groß "Willkommen". Zusammen mit dem pensionierten Anwalt Norbert Kleist nimmt er Flüchtlinge in Empfang, trägt die schweren Taschen, hilft ihnen, sich zu orientieren, hat ein Ohr für die Sorgen übrig. Wer besonders schwach ist, bekommt von ihm eine Tasse Tee oder etwas zu essen.
"We help you to bring you to the asyl. You don’t have to walk, you can drive with Taxi. We bring you to the Taxi-station."
21:00 Uhr, es ist dunkel und einsam in Halberstadt im Harzvorland. Gerade ist eine syrische Flüchtlingsfamilie mit ihren zwei Kindern im Teenager-Alter direkt von der bayrischen Grenze nach einer Tagesreise in Halberstadt angekommen. Flüchtlinge dürfen keinen ICE, sondern nur Regionalzüge benutzen, weshalb die Reise von der Grenze bis zur Erstaufnahmestelle manchmal ganze Tage in Anspruch nimmt. Da in Halberstadt aber ab 19:00 Uhr abends keine reguläre Straßenbahn oder Bus mehr fährt, werden sie mit Taxis, bezahlt vom Innenministerium, zur sechs Kilometer entfernten ZAST gebracht, der im Wald befindlichen Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt.
"Hier kann man zwar nicht viel tun, aber so an der ersten Stelle so ein Zeichen zu geben, dass man willkommen ist und nicht gleich angepöbelt wird, das ist schon wichtig."
Sie lächeln und machen den Flüchtlingen Mut
Das habe nicht nur Auswirkungen für den Moment, sondern für das gesamte Deutschland-Bild, meint Norbert Kleist. 73. Mit randloser Brille und grauen Oberlippenbart, ist er sowas wie ein Oberstudienrat . Thomas Gierscher dagegen ist eher der Typ bester Schwiegersohn. Zwei von etwa 30 ehrenamtlichen Helfern, die allabendlich in Halberstadt Flüchtlinge empfangen. Sie lächeln, machen den Flüchtlingen Mut, geben ihnen Vertrauen. Ihr Engagement nennen sie ganz nüchtern und ohne jeden Pathos gelebte Willkommenskultur.
"Gibt ja immer die normalen Spenden. War immer so ein bisschen die Beruhigung des Gewissens. Ich fand aber so gut, was die Flüchtlingshilfe hier macht, da habe ich mir gesagt, da kann ich auch mitmachen. Das ist was einfaches, was ich auch leisten kann, was ich zeitlich leisten kann. Und da habe ich mich gemeldet."
Da die Mitarbeiter der Ökumenischen Bahnhofsmission in Halberstadt nur tagsüber arbeiten, aber seit einem halben Jahr immer mehr Flüchtlinge auch abends kommen, war man in der Bredouille. Bis die evangelisch reformierte Liebfrauen-Gemeinde anklopfte und anbot, für die Abend- und frühe Nachtzeit die Flüchtlingshilfe zu übernehmen. Das machen sie ehrenamtlich. Von 19:00 Uhr bis kurz vor Mitternacht. Einsatz, immer zu zweit und von montags bis freitags.
"Na, das ist die Rettung für die Bahnhofsmission. Wir schaffen es nicht bis nachts hier zu sein. Und wissen ganz genau, dass jeden Abend 15 bis 30 Flüchtlinge ankommen, um die wir uns nicht mehr kümmern können. Und die ehrenamtlichen Helfer von der Liebfrauengemeinde, die machen das für uns. Und das ist natürlich toll."
Leiter Constantin Schnee erzählt, dass letztes Jahr im Monatsdurchschnitt etwa 180 Flüchtlinge bei der Bahnhofsmission in Halberstadt gestrandet sind, jetzt sind es rund 500, das dreieinhalbfache.
Die Flüchtlingshelfe sind Menschen, die anpacken
Die Halberstädter Flüchtlingshelfer sind keine sanftmütigen Seelsorger. Eher Menschen, die anpacken und tatkräftig helfen. Aber erst jetzt wisse man, wie gut es einem gehe, sagt Thomas Gierscher. Die Flucht- und Kriegsgeschichten berühren den zweifachen Familienvater. Denn auf einmal sind Flüchtlinge nicht mehr nur eine Schlagzeile, sondern bekommen ein ganz konkretes Gesicht.
"Bewegt mich sehr, muss ich sagen. Ich fahr auch jedes Mal weg hier mit einem sehr guten Gefühl, dass ich dazu beitragen kann, diesen Menschen zu helfen."
Während die Willkommensengel von der Halberstädter Liebfrauengemeinde den Flüchtlingen ein warmes Willkommen entgegenschmettern, sieht es bei anderen Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz völlig anders aus. Insbesondere am Taxi-Stand. Manche Taxi-Fahrer werden richtig fuchtig. Und wehren sich mit Händen und Füßen, Flüchtlinge, Beförderungspflicht hin oder her, zur Erstaufnahmestelle zu fahren. Norbert Kleist ist genervt und wütend. Und jedes Mal erstaunt, über die abweisende Art der Taxifahrer.
"Also das ist oft ein Problem. Man muss mal mit den Taxi-Unternehmen reden, warum das so ist. Ich denke, man muss es öffentlich machen, sonst geht gar nichts."
Der Umgangston der Taxifahrer ist den Flüchtlingshelfern derart peinlich, weshalb sie schnell ihre eigenen Autos holen. Um die in Halberstadt gestrandeten Menschen aus Nordafrika, Syrien oder Afghanistan schnell und sicher zu ihrer sechs Kilometer entfernten Asyl-Unterkunft zu bringen.
"Mir macht das jetzt nichts aus. Kann ich mich mit den Leuten noch unterhalten. Ist doch interessant."
Was für Flüchtlingshelfer Thomas Gierscher nur eine Kleinigkeit ist, ist für die Flüchtlinge, wie die vierköpfige syrische Familie, die vor dem Krieg geflohen ist, eine Riesen-Hilfe.
"Dankeschön, Dankeschön, Dankeschön."
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