Flüchtlinge auf dem Wohnungsmarkt

Die Gefahr von Ghettos

Plattenbauten in Halle-Neustadt
In vielen Städten gibt es nicht genug Wohnungen für Flüchtlinge (hier Plattenbauten in Halle-Neustadt). © imago / Steffen Schellhorn
Stefan Kofner im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 03.11.2015
Der sogenannte Königsteiner Schlüssel darf nicht das einzige Kriterium sein, nach dem Flüchtlinge in Deutschland verteilt werden, mahnt Stefan Kofner, Professor für Immobilienwirtschaft. Man müsse auch den Wohnungsmarkt vor Ort in den Blick nehmen.
Er könne sich nicht vorstellen, wie angespannte Wohnungsmärkte noch zehntausende von Flüchtlingen aufnehmen sollten, sagte der Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschulle Zittau/Görlitz im Deutschlandradio Kultur. "Es kann ja wohl auch nicht die Idee sein, dass wir als Ausnahmen am Stadtrand so eine Art Ghetto oder Billigwohnungsmarkt machen. Wir wollen die Menschen ja auch integrieren." Kofner weiter: "Ich neige im Moment dazu, dass wir die Flüchtlinge auch nach der Ergiebigkeit der Wohnungsmärkte verteilen müssen – also etwas anders als das dieser Königsteiner Schlüssel vorsieht."
Ferner äußerte sich der Wissenschaftler zur feindlichen Übernahme der Deutschen Wohnen Gruppe durch den Konzern Vonovia. Mit Mietererhöhungen sei laut Kofner durchaus zu rechnen: "Man kann eigentlich sagen, dass alle börsennotierten Wohnungsunternehmen oder auch die von Finanzinvestoren gesteuerten Wohnungsunternehmen Mieterhöhungsspielräume, die der Markt und das Mietrecht bieten, auch ausnutzen."
Die Vonovia gebe viel Geld für energetische Gebäudesanierungen aus, so Kofner. "Das Problem ist, dass der Wohnraum dadurch nicht unbedingt attraktiver wird, aber teurer." Die Mieterhöhungen infolge der Sanierungen seien dann massiv: "Wenn man das in Bezug setzt zu den Heizkostenersparnissen, dann ist das oft das Doppelte oder Dreifache – also die Miete steigt zwei, dreimal so hoch wie die Heizkosten sinken."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wundern Sie sich nicht, wenn ich jetzt über Quartalszahlen eines Konzerns spreche, von dem Sie möglicherweise noch nie gehört haben, Vonovia. Vonovia ist der größte deutsche Besitzer von Mietwohnungen, der – und deswegen sind die Zahlen heute wichtig – den zweitgrößten Wohnungskonzern dieses Landes, die Deutsche Wohnen, schlucken möchte, und die wehrt sich ganz gewaltig gegen diese feindliche Übernahme. Man könnte das Ganze als Wirtschaftskrimi à la Volkswagen gegen Porsche belustigt von der Tribüne betrachten, nur es geht immerhin um insgesamt 500.000 Wohnungen, das Zuhause von mehr als einer Millionen Menschen, die sich natürlich bang fragen, bleibt wohnen bezahlbar, wenn die Börsenlogik gilt. Fragen an Stefan Kofner, er ist Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Zittau-Görlitz, mein Gast jetzt in "Studio 9". Guten Morgen, Herr Kofner!
Stefan Kofner: Guten Morgen!
Frenzel: Diese Übernahmeschlacht, die wir da gerade erleben auf dem Wohnungsmarkt, wird die den deutschen Markt umkrempeln?
Kofner: Ein völliges Umkrempeln, also eine solche These würde ich für übertrieben halten. Auf der anderen Seite entsteht nun wirklich eine Art Wohnungskoloss mit über 500.000 Wohnungen, und ich kann es natürlich verstehen, wenn das bei den Menschen Ängste erweckt.
Frenzel: Was sind denn da Ängste, was sind berechtigte Ängste, vor allem mit welchen Folgen rechnen Sie? Wird es durch die Übernahme letztendlich auch Mietsteigerungen geben können?
Kofner: Man kann eigentlich sagen, dass alle börsennotierten Wohnungsunternehmen oder auch die von Finanzinvestoren gesteuerten Wohnungsunternehmen Mieterhöhungsspielräume, die der Markt und das Mietrecht bieten, auch ausnutzen. Ich sehe allerdings, was Mieterhöhungen angeht, einen Kanal speziell bei der Vonovia, weil die nämlich eine ganz intensive Modernisierung betreibt. Die geben mit Abstand, wenn man es auf die Wohnungen bezieht, das meiste Geld für Modernisierungen aus, und die Modernisierungen sind nicht immer unbedingt im Sinne der Mieter.
Frenzel: Also Sie meinen Modernisierungen, die letztendlich dazu führen sollen, dass der Wohnraum attraktiver und damit auch teurer wird, dass möglicherweise Mieter, die sich das nicht leisten können, daraus verdrängt werden.
Kofner: Ja, das Problem ist, dass der Wohnraum nicht unbedingt attraktiver wird, aber teurer, denn Vonovia macht in der Regel sogenannte energetische Hüllensanierungen, das heißt, die Maßnahmen beziehen sich nur auf die Gebäudehülle, und der einzige sichtbare Effekt für die Mieter ist höchstens, dass vielleicht der Balkon bei dieser Maßnahme erweitert wird, aber die Folge sind massive Mieterhöhungen, und wenn man das in Bezug setzt zu den Heizkostenersparnissen, dann ist es oft das doppelte oder dreifache, also die Miete steigt zwei, dreimal so hoch wie die Heizkosten sinken. Das ist nicht im Sinne der Mieter, und es ist für mich auch nicht einsehbar, dass praktisch die gebäudebezogene Klimaschutzfrage einzig und allein von den Mietern geschultert werden soll.
"Der Staat hat keinen langfristigen Zeithorizont"
Frenzel: Ich wollte Sie gerade fragen, ist das dann eigentlich noch eine Klimaschutzmaßnahme oder ist das eher ein Geschäftsmodell für höhere Mieten?
Kofner: Sie werden mir das verzeihen, wenn ich mich der These des Geschäftsmodells zumindest teilweise anschließen möchte. Es macht mir in der Tat den Eindruck, weil diese Maßnahmen zum Teil wirklich eindeutig ineffizient sind.
Frenzel: Ist es ein Fehler gewesen, dass sich der Staat immer mehr zurückgezogen hat beim Bauen von Wohnungen einerseits, aber auch durch den Verkauf von öffentlichen Wohnungen?
Kofner: Der Staat hat auch nicht unbedingt immer einen besonders langfristigen Zeithorizont. Der Gesetzgeber beschließt etwas, er schafft die Wohnungsgemeinnützigkeit ab, und er hat natürlich keine Vorstellung darüber, was das 15, 20 Jahre später dann für Folgen hat. Deswegen, also an sich wünsche ich mir da einen konservativeren Staat.
Frenzel: Einen konservativeren Staat oder einen Staat, der letztendlich sagt, das Wohnen ist eine solch wichtige Grundversorgung, die wir den Bürgerinnen und Bürgern leisten müssen, anbieten müssen, gerade den Bürgerinnen und Bürgern, die nicht so viel Geld haben, dass er sich am besten selbst darum kümmert, dass wir also nicht die Situation haben wie Sie sie jetzt gerade beschrieben haben mit börsenorientierten Unternehmen.
Kofner: Natürlich steht der Staat in der Pflicht, und zwar nicht nur in dem Sinne, dass jeder Haushalt ein Dach über dem Kopf haben soll, sondern er muss natürlich auch bestimmte Mindeststandards, was Wohnfläche angeht, aber auch was die Qualität angeht, da geht es nicht nur Ausstattung, sondern auch um das Wohnumfeld, die soziale Nachbarschaft, wir wollen ja auch eine soziale Durchmischung haben. Das sind alles Themen, die der Markt nicht von sich aus zu befriedigenden Ergebnissen führt, und da muss der Staat intervenieren. Die Schwierigkeit ist allerdings, wir wollen ja nicht – also die DDR-Wohnungswirtschaft, die haben wir ja nun auch kennengelernt –, der Staat muss meistens mit indirekten Instrumenten in den Markt eingreifen und muss die Akteure so steuern, dass sie im Sinne der gesellschaftlichen Ziele handeln, und das macht es so kompliziert.
Frenzel: Gibt es denn da Instrumente? Ich sage mal, zwischen DDR-Wohnungswirtschaft und Private Equity?
Kofner: Natürlich gibt es Instrumente – der Wohnungsmarkt ist ja ein klassischer Interventionsmarkt, allerdings muss man sagen, in der Wohnungsbauförderung, die Instrumente, die in der Breite wirken, also Eigenheimzulage und die degressive Abschreibung im Wohnungsneubau, die sind ja seit zehn Jahren abgeschafft.
Flüchtlinge nicht in angespannt Wohnungsmärkte
Frenzel: Herr Kofner, ich würde gerne noch ein anderes Thema mit Ihnen ansprechen, das zurzeit uns alle bewegt: Die Flüchtlingsfrage, die Situation, dass viele Menschen zu uns kommen, viele Menschen, die erst mal in Erstaufnahmelagern sind, die aber natürlich dann Wohnungen brauchen. Verschärft das die Lage zurzeit zusätzlich neben diesen Veränderungen, über die wir gerade gesprochen haben?
Kofner: Da würde ich fast zu einer anderen Vokabel noch greifen wollen: Wenn ich mir die zahlenmäßigen Dimensionen ansehe – gut, ich weiß auch nicht, wie viele von den Flüchtlingen letzten Endes bleiben, aber eine Millionen Menschen, das sind so über den Daumen zwei Jahresneubauleistungen. Und dann habe ich natürlich auch die starke Befürchtung, dass die zuwandernden Menschen sich auf die Wohnungsmärkte konzentrieren, die bereits stark angespannt sind, und ich weiß nicht, wie ein Wohnungsmarkt, wie etwa Hamburg, da, wo die Leerstandsquote bei etwa 0,6 Prozent liegt, wie der jetzt zehntausende von Flüchtlingen da unterbringen soll.
Und es kann ja wohl auch nicht die Idee sein, dass wir ganz außen am Stadtrand so eine Art Ghettos oder Billigwohnungsbau machen. Wir wollen die Menschen ja auch integrieren. Ich neige im Moment dazu, dass wir die Flüchtlinge auch nach der Ergiebigkeit der Wohnungsmärkte verteilen müssen, also etwas anders als das dieser Königsteiner Schlüssel vorsieht.
Frenzel: Wohnen in Deutschland angesichts der Nachrichten, die uns heute beschäftigen werden. Ein neuer großer Player zeichnet sich nämlich ab am deutschen Wohnungsmarkt, 500.000 Wohnungen groß, die Vonovia. Unser Thema war das mit Stefan Kofner, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Zittau-Görlitz. Herr Kofner, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Kofner: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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