Flucht nach vorn

21.07.2009
Erst die gescheiterte Flucht aus der DDR, dann ein Jahr Stasi-Knast in Hohenschönhausen - der 1943 in Berlin geborene Jugendbuchautor Klaus Kordon hat vieles durchgemacht. In dem autobiografischen Roman "Krokodil im Nacken" aus dem Jahr 2002 verarbeitet er seine Erlebnisse. "Auf der Sonnenseite" ist die Fortsetzung.
Man muss Klaus Kordons "Krokodil im Nacken" nicht kennen, um sich in "Auf der Sonnenseite" schnell zurechtzufinden im Leben seines Protagonisten Manfred Lenz. Wobei man dann allerdings auch einen großartigen autobiografischen Klassiker verpasst hat! Aber Kordon versteht es, durch einen sehr geschickten Aufbau des neuen Romans, in Rückblenden und Erinnerungsbildern nahtlos anzuknüpfen an den bewegten ersten Teil der Biografie seines Alter Ego.

Es ist eine sehr deutsche Geschichte, die Kordon erlebt hat und hier wieder- und weitererzählt. Sie beginnt, als die Kinder des Ehepaars Lenz nach zwei Jahren Heimaufenthalt in der DDR zu ihren Eltern in die BRD ausreisen dürfen und endet am Weihnachtsabend 1989. Zwischen diesen denkwürdigen Daten liegen der Versuch der Familie, "auf der Sonnenseite" beruflich und privat Fuß zu fassen, die Verarbeitung der Stasi-Haft und der erst langsame, dann immer größere Erfolg des jungen Autors. Ebenso breiten Raum nehmen aber auch die politischen Ereignisse ein: die Studentenbewegung und die dramatische Entwicklung des RAF-Terrors, die Auseinandersetzung mit dem Holocaust und schließlich - pünktlich zum Jahrestag - die Wende.

Ein typischer Kordon ist "Auf der Sonnenseite" durch die wie immer sehr präzisen, oft auch kritischen Beschreibungen der Lebensverhältnisse seiner Protagonisten - hier des westdeutschen Alltags, der Lebens-, Wohn- und sozialen Verhältnisse, der vielen neuen Bekannten und Kollegen. Da blickt einer von außen mal liebevoll, mal stirnrunzelnd hinein ins Herz der BRD. Aber Manne Lenz guckt nicht nur genau hin. Ebenso geduldig wie ernsthaft hinterfragt er alle seine Beobachtungen, diskutiert und reflektiert, will niemals recht haben, sondern sich eine gerechte Meinung bilden. Und schließlich besitzt der Roman auch jenen für Kordon typischen Berliner Sound, den man "Schnauze" nennt, der ohne Wichtigtuerei daherkommt, klar, lakonisch, dazu voller Sinn für Komik und oft mit einem Augenzwinkern.

Untypisch ist dieser neue Kordon jedoch darum, weil ihm der - für Jugendliche sicher wichtige - Drive fehlt. Gerade weil dieser Roman sich so eng an die Biografie seines Verfassers hält, fehlt es ihm an Spannung. Denn was "Krokodil im Nacken" so faszinierend machte, die dramatische Kindheits- und Fluchtgeschichte, findet auf der bundesrepublikanischen "Sonnenseite" keine Entsprechung mehr. Dem Leser fehlen hier die Ängste und Hoffnungen, die Wut und die Wünsche - die Emotionen eben und das packende Schicksal. Sie liegen hinter dem Autor.

Vielleicht hat Klaus Kordon die Quadratur des Kreises versucht: eine bewegende Geschichte zu schreiben über ein Leben, dass zumindest äußerlich zur Ruhe kommen durfte. "Auf der Sonnenseite" ist ein sehr solides und sympathisches, ein sehr ehrliches und nachdenkliches Buch geworden. Eine höchst informative, politisch wie historisch interessante Chronik der 70er und 80er Jahre. Aber eher ein Bericht als ein Roman. Ein Grund mehr, das "Krokodil im Nacken" noch einmal zu lesen!

Besprochen von Sylvia Schwab

Klaus Kordon: Auf der Sonnenseite. Roman.
Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2009
298 Seiten. 16,95 Euro