Flassbeck fordert drittes Konjunkturpaket

Heiner Flassbeck im Gespräch mit Hanns Ostermann · 09.03.2009
Der Chefökonom der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung, Heiner Flassbeck, hat die Konjunkturpakete der Bundesregierung kritisiert. Bislang sei zu wenig geschehen, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Flassbeck plädierte für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für eine Entlastung der unteren Einkommensschichten.
Hanns Ostermann: Wann hilft der Staat, also der Steuerzahler, und wann müssen die Unternehmen die bittere Pille schlucken und in die Insolvenz gehen? Am Beispiel Opel zeigt sich, wie schwer eine Entscheidung fällt. Die Zahl der Skeptiker wächst, die dem Autohersteller nicht mehr direkt helfen wollen. Auch wenn Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier von der SPD Bedenkenträger warnt, in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise müsse um jeden Arbeitsplatz gekämpft werden. Nur wie? - Das ist die Frage. Ich sprach darüber mit Heiner Flassbeck, er war früher Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und ist heute Chefvolkswirt der UN-Organisation für Handel und Entwicklung. Meine erste Frage an ihn: Darf der Staat Opel gegen die Wand fahren lassen?

Heiner Flassbeck: Ja, ob er darf, ist eine schwierige Frage, ob er sollte, ist vielleicht leichter zu beantworten. Gegen die Wand ist auch was vielleicht zu viel gesagt, denn natürlich kann man sich bemühen, alle möglichen Rettungspläne mit zu unterstützen in irgendeiner Weise. Nur man darf auch nicht zu weit gehen. Es macht keinen Sinn, wenn der Staat jetzt versucht, Opel, Schaeffler und was weiß ich, wer noch kommt, zu retten und sich hinterher dann verzettelt in hundert verschiedenen Rettungsaktionen. Und man kann ja nun auch schwer irgendjemand abweisen, wenn man irgendwo angefangen hat. Also wichtiger wäre mir, dass man die Konjunktur noch mal massiver stützt, als es bisher geschehen ist – ist sowieso viel zu wenig gewesen –, und dann werden auch wieder Autos gekauft und dann kehrt auch das Vertrauen zurück.

Ostermann: Sie haben einen Punkt angesprochen, das aus Ihrer Sicht zu kleine Konjunkturprogramm. Trotzdem noch mal zurück: Hilft der Staat Opel nicht, so würde das Tausende von Arbeitsplätzen kosten, direkt und indirekt. Norbert Walter, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, geht von bis zu 4,5 Millionen Arbeitslosen Ende 2010 aus. Greift er da zu hoch oder ist die Zahl realistisch?

Flassbeck: Ja, auf die Zahl will ich mich jetzt nicht festlegen, Walter schießt da immer übers Ziel hinaus ein bisschen, aber es ist in der Tat sehr vieles möglich. Es kann aber niemand genau vorhersagen. Deswegen sollte man sich etwas zurückhalten mit solchen Horrorzahlen. Niemand kennt genau den Ablauf einer solchen Krise, weil eine solche Krise zumindest seit 29, 30 noch nicht da war. Es kann auch sein, dass die Konjunktur sich relativ bald fängt. Dann wird immer noch das Wachstum sehr, sehr negativ sein. Aber wichtig ist in der Tat, dass der Staat, um Risiken zu begrenzen und um die Möglichkeit zu begrenzen, dass es dahin kommt, jetzt sich ernsthaft überlegt, noch einmal etwas aufzulegen. Denn wie gesagt, das erste Programm war etwa ein Prozent pro Jahr, und wir sehen jetzt, die USA tun sehr, sehr viel mehr, und das ist sicherlich richtig, sehr viel mehr zu tun. Wobei man bedenken muss, dass Deutschland noch in viel stärkerem Maße als die USA vom Außenhandel abhängig sind, von Investitionsgütern abhängig ist, und dort ist der Einbruch besonders tief.

Ostermann: Nun gibt es derzeit eine Vielzahl von Vorschlägen. Die einen reden von einer Senkung der Mehrwertsteuer, andere von einer Abwrackprämie, sogar für Kühlschränke und Wäschetrockner. Zeigt das nicht irgendwo, dass selbst die Fachleute ratlos sind angesichts der Krise?

Flassbeck: Na ja, es gibt immer viele Ratschläge, würde ich mal sagen, aber nein, man sollte jetzt nicht, wie gesagt … Es gibt eine einfache Regel, an die man sich halten sollte: Der Staat sollte das tun, was er kann. Und er kann in die öffentliche Infrastruktur investieren und er kann Menschen entlasten, die in der Vergangenheit sehr stark belastet worden sind, vor allem die unteren Einkommen, und die auch wieder konsumieren. Darauf sollte er sich konzentrieren. Ich sagte ja schon, wenn er hier und da und jetzt noch Kühlschränke und dann noch Fernseher und was weiß ich alles unterstützt, das bringt alles nichts.

Ostermann: Also dieser irre Vorschlag stammt wieder von Norbert Walter, dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank.

Flassbeck: Ja, gut.

Ostermann: Sie selbst stellen in Ihrem neuesten Buch die These auf, die Politik in Deutschland sei gescheitert. Was machen die Parteien grundsätzlich wirtschaftspolitisch falsch?

Flassbeck: Nun, die These ist in der Tat, dass die Politik nicht nur jetzt scheitert, sondern schon seit 30 Jahren gescheitert ist. Grundsätzlich falsch gemacht wird eine Sache: Man hat vollständig sich des gesamtwirtschaftlichen Denkens, vom gesamtwirtschaftlichen Denken verabschiedet, das gesamtwirtschaftliche Denken beiseite geschoben, und man macht Politik nach Art der Unternehmer, nach Unternehmerart. Also man denkt wie Unternehmer und man handelt wie Unternehmer, aber das geht nicht. Die Gesamtwirtschaft funktioniert völlig anders als ein Unternehmen, und damit macht man eben systematisch und dauernd gewaltige Fehler.

Ostermann: Wo reagiert der Staat oder wo muss der Staat anders reagieren? Vielleicht könnten Sie das einfach mal konkret machen?

Flassbeck: Na ja, das Schlimmste, was man in den letzten 20 Jahren in Deutschland so auf den Schild gehoben hat, ist dieser Standortwettbewerb der Nationen. Das ist das Unsinnigste, was man überhaupt tun kann, und das schlägt jetzt auch gewaltig auf Deutschland zurück, weil alle die Nationen, die Deutschland unter anderem in Bedrängnis gebracht haben, die haben jetzt gewaltige Schulden, die können die Schulden nicht zurückzahlen, und wir stehen auf unseren Forderungen und haben keine Chance und müssen diese Länder sogar noch unterstützen. Das gilt für einige Länder in Osteuropa, das gilt sogar für Länder im Euro-Rahmen, das gilt für Entwicklungsländer. Also dieser Wettkampf der Nationen, das war die unsinnigste Idee, und die stammt natürlich unmittelbar aus unternehmerischem Denken. Nur hier kann man besonders die unternehmerische Logik nicht auf die gesamtwirtschaftliche Logik übertragen.

Ostermann: Wie lässt sich denn das Rad der Geschichte jetzt wieder zurückdrehen?

Flassbeck: Nun, wir müssen uns auf ein völlig neues wirtschaftspolitisches Konzept besinnen, im Grunde ein altes, aber das auch die ersten Jahre der Bundesrepublik geprägt hat, nämlich ein Konzept, das vom Binnenmarkt geprägt ist, davon, dass alle Menschen ordentlich teilhaben am Fortschritt, dass wir die Wirtschaft in der Tat auch stimulieren und dafür sorgen, dass wir über kräftigen Konsum Investitionen bekommen und dann sehr viel investieren in Bildung, in technischen Fortschritt und auch in die Bereiche, die jetzt ganz besonders dringend sind wie Klimaschutz, Umweltschutz im Allgemeinen usw.

Ostermann: Verstehe ich Sie da richtig bei diesem Maßnahmepaket, was Sie da gerade genannt haben, dazu würden auch geringere Steuern gehören, damit der Einzelne von uns mehr in der Tasche hat?

Flassbeck: Ja, mit den Steuern, eben da bin ich nicht so der Meinung, sondern man sollte diejenigen entlasten, die keine Steuern zahlen, die Hartz-IV-Empfänger und andere, die ja auch besonders belastet worden sind in den letzten Jahren und die auch sicherlich zu 100 Prozent ausgeben werden. Bei allgemeinen Steuersenkungen führt es wieder nur dazu, dass die Leute das Geld zur Bank tragen, und da ist es im Moment am schlechtesten aufgehoben.

Ostermann: Herr Flassbeck, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Flassbeck: Bitte sehr.

Ostermann: Heiner Flassbeck war das, der Chefvolkswirt der UN-Organisation für Handel und Entwicklung.

Das Interview mit Heiner Flassbeck können Sie bis zum 9. August 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio