Finnlands Startup-Szene

Flache Hierarchien für erfolgreiche Spiele

Das erfolgreiche Spiel "Angry Birds"
Das erfolgreiche Spiel "Angry Birds" - ein Produkt der Finnish Rovio Entertainment. © picture alliance / dpa
Von Christoph Kersting · 17.03.2015
In Helsinki boomt die Smartphone-Spiele-Industrie, unter anderem "Angry Birds" wurde dort entwickelt. Anlässlich der Computermesse Cebit besuchen wir die Firma Grand Cru mit einer opulenten Teeküche. In ihrem Spiel "Supernauts" kann man neue Welten im All bauen.
Löcher in den Socken – keine gute Idee, wenn einen der Fahrstuhl an der Hämeentie Nummer 33 im 12. Stock ausspuckt. Denn wenn sich die Fahrstuhltür des Bürogebäudes mitten in Helsinkis Szeneviertel Kallio öffnet, heißt es erst mal: Schuhe ausziehen!
Ari Kuokka: "Es gilt bei uns in Finnland als nicht besonders höflich, eine Wohnung mit Schuhen zu betreten. Wir finden, dass das eine schöne Sitte ist und halten es hier auch so."
Also sucht auch Ari Kuokka ein freies Plätzchen für seine ledernen Sneaker. Neben der Aufzugtür herrscht ein Gewirr aus Schuhen und Schnürsenkeln. Ari findet die Sache mit den Schuhen praktisch: Man wisse, wer von den Kollegen schon da ist. Der junge Mann grinst verschmitzt und wischt sich seine blonden, fast schulterlangen Haare aus dem Gesicht. Die Schuhe sind ausgezogen, seine graue Wollmütze lässt der 30-Jährige lieber auf dem Kopf.
Eine fünfzackige Krone prangt auf Aris knallrotem T-Shirt, das Firmenlogo seines Arbeitgebers. Die Werbung auf der Brust, das passt ganz gut, denn Ari ist zuständig fürs Marketing beim Spieleentwickler "Grand Cru". "Supernauts" heißt das erste und bislang einzige Produkt der Firma, ein für Smartphones und Tablets entwickeltes Spiel.
Wie ein 3-D-animiertes Lego-Spiel
Ari Kuokka: "Wir haben 'Supernauts' im Juli auf den Markt gebracht, und die Leute lieben es. Wir haben so um die drei Millionen Downloads bislang, vor allem von Spielern in den USA und China. Wir verdienen inzwischen Geld mit dem Spiel, das ist aber noch kein Gewinn, weil die Entwicklung seit 2011 über zwölf Millionen Euro gekostet hat. Wir arbeiten aber aktuell schon an drei neuen Projekten."
Das Risikokapital für "Supernauts" hat Grand Cru seit 2011 bei Investoren aus dem In-und Ausland eingesammelt. Insgesamt hat die finnische Game-Branche ihren Umsatz innerhalb von nur fünf Jahren mit fast einer Milliarde Euro mehr als verzehnfacht - Tendenz steigend.
Noch bevor Grand Cru überhaupt irgendein Produkt auf den Markt gebracht hatte, wurde die Firma vom britischen Technik-Magazin "Wired" zu einem der "100 heißesten Startups in Europa" gekürt." Im Sommer 2014 hat Grand Cru mit "Supernauts" sein erstes Spiel auf den Markt gebracht. Ari checkt kurz seine Mails, startet dann "Supernauts" auf seinem Tablet.
Ari Kuokka: "Bei 'Supernauts' geht es darum, neue Welten im All zu bauen. Es geht um Kreativität und der Spieler kann sich dabei über Facebook mit anderen Spielern zusammentun und gemeinsam Probleme lösen."
Auf Aris Tablet rennt ein buntes Männchen auf einer Art Miniplanet wild hin und her und baut aus Bauklötzen und anderen Materialien eine Behausung für Erdenbewohner. Die müssen im Spiel von der überfluteten Erde gerettet werden - das Ganze wirkt wie ein 3-D-animiertes Lego-Spiel.
Teeküche mit Kamin und Meerblick
In den sechs Büroräumen der Firma ist an diesem Morgen noch nicht viel los, die meisten der rund 20 Programmierer schneien eher im Laufe des Tages herein und arbeiten bis spät abends. Ari steuert die Grand-Cru-Küche an – wobei "Küche" untertrieben ist: In dem riesigen Raum gehen Kühlschrank, Spüle und Mikrowelle fast unter. Um einen offenen Kamin ist eine rote Sofalandschaft angelegt, daneben türmen sich meterhoch Holzscheite. Eine lange Fensterfront gibt den Blick frei auf Helsinki und die spiegelglatte Ostsee.
Während Ari einen Tee kocht, beginnt Markus Pasula den Arbeitstag mitten im Raum mit einer Partie am firmeneigenen Flipperautomaten. Markus ist einer der Gründer von Grand Cru, offiziell der "CEO" hier, der Geschäftsführer also. Doch auf den Titel legt der 35-Jährige in Jeans und T-Shirt keinen besonderen Wert: Flache Hierarchien und Schuhe im Flur, das sei eben typisch finnisch, feixt er, als die letzte Flipperkugel für diesen Morgen im Loch verschwindet.
Ari und Markus haben es sich mit einem Tee auf der braunen Sitzgruppe vor dem Kamin bequem gemacht, beide im Schneidersitz. Markus blickt zurück auf die Computerszene in Finnland vor 20, 30 Jahren:
Markus Pasula: "Die Ursprünge der Branche liegen in der sogenannten Demo-Szene: junge Leute, Nerds, trafen sich in den 80er- und 90er-Jahren, demonstrierten bei privaten Treffen ihre Entwicklungen auf Basis von Commodore- und Amiga-Computern. Daraus entwickelte sich etwas. Das sind quasi die Veteranen der Games von heute. Was uns dabei alle eint, ist eine Menge Leidenschaft, Enthusiasmus. Das war auch immer meine Triebfeder, seitdem ich in der Szene unterwegs bin."
Auch wenn die Winter in Helsinki lang und dunkel sind – für den Marketingfachmann Ari Kuokka kommt erst mal nichts anderes in Frage als ein Job in der finnischen Spiele-Industrie:
"Ich habe zwei Hobbies, die mir in meinem Leben immer sehr viel bedeutet haben. Das eine ist Motocross fahren, das andere sind Spiele. Ich habe eine Weile in der Nähe von Nürnberg gelebt, da konnte ich Motorrad fahren. Aber wenn es um die Game-Industrie geht, ist Helsinki der beste Ort zurzeit in Europa."
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