Finanzexperte: Deutschland rutscht in die Insolvenzgefahr

Stefan Homburg im Gespräch mit Ute Welty · 04.10.2011
Der Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen, Stefan Homburg hält das Ende des Euros für eine Möglichkeit, die Finanzlage in Europa wieder zu stabilisieren. Zudem warnt er davor, dass Deutschland durch die Hebelwirkung der erweiterteten Rettungsschirme selbst in die Insolvenz rutschen könnte.
Ute Welty: Die Finanzminister treffen sich heute in Luxemburg, um über das zu reden, was letzte Woche im Bundestag beschlossen wurde über die Ausgestaltung des Euro-Rettungsschirms mit dem Kürzel EFSF. Aber um über etwas zu reden, muss man es erst mal aussprechen können.
Die Zunge bricht sich also bereits am EFSF, der Europa auch den Hals brechen könnte und wohl auch wird. Stefan Homburg jedenfalls ist dieser Auffassung, Direktor des Institutes für Öffentliche Finanzen an der Universität Hannover. Guten Morgen!

Stefan Homburg: Guten Morgen!

Ute Welty: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann haben Sie und ich eigentlich keinen Anlass, uns gegenseitig einen guten Morgen zu wünschen. Denn Sie sagen, der Euro wird zusammenbrechen. Wissen Sie auch schon, wann genau das sein wird?

Homburg: Nein, also, ich gehöre …

Ute Welty: … schade …

Homburg: … weder zu Propheten, noch zu Schwarzmalern. Aber ich glaube, inzwischen ist es eine sehr verbreitete Auffassung, dass die Rettungsaktionen so nicht funktionieren werden, wie das bisher gesagt wurde.

Ute Welty: Warum nicht?

Homburg: Das Kernproblem liegt darin, dass durch diese Rettungsaktionen falsche Anreize gesetzt werden. Es ist so wie bei Privatleuten: Wenn man weiß, im Notfall hilft jemand anders, dann erlahmt der Sparwille. Genau das beobachten wir jetzt bei Ländern. Griechenland hätte ohne die gemeinsame Währung und die Unterstützung durch die anderen Euro-Staaten schon längst nicht mehr am Kapitalmarkt sich verschulden können, sie könnten auch keine Löhne, Gehälter, Pensionen, Renten mehr auszahlen, sie wären insolvent. So aber wird die Insolvenz durch die anderen Staaten ein wenig hinausgeschoben.

Ute Welty: Die Kanzlerin sagt, wenn der Euro scheitert, dann scheitert Europa. Wenn ich also ihre und Ihre Aussage zusammennehme, stehen wir dann am Ende der europäischen Idee?

Homburg: Ökonomisch auf keinen Fall. Zunächst mal müssen wir sehen: Knapp die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten hat überhaupt den Euro. Denken wir mal an wichtige Staaten wie Großbritannien, Polen, Dänemark, sie haben keinen Euro. Denken wir andererseits einfach mal zehn Jahre zurück, vor zehn Jahren hatten wir auch keinen Euro. Wir hatten aber den gemeinsamen Markt, wir hatten das Schengen-Abkommen, die Reisefreiheit. All diese Errungenschaften muss man ja nicht aufgeben, wenn man die gemeinsame Währung aufgibt.

Ute Welty: Aber noch mal die Kanzlerin, die da sagt, Staaten, die eine gemeinsame Währung haben, werden nicht Krieg gegeneinander führen. – Das ist also schon eine wichtige Funktion, die der gemeinsamen Währung da zukommt, denn wenn EU und Euro den Frieden garantieren, wollen Sie dann allen Ernstes das Risiko eingehen, dass es irgendwann wieder Krieg gibt in Europa?

Homburg: Ja, das ist so ein rhetorisches Totschlagsargument eigentlich. Ich würde es genau umgekehrt sehen: Wenn wir noch mal zehn Jahre zurückdenken, wir hatten Schengen, Reisefreiheit, die jungen Leute, die studiert haben, können in jedem anderen europäischen Land tätig sein, und wir hatten wirklich eine sehr friedliche Situation in Europa. Es war keine Rede von Krieg. Ich denke, dass eher durch die Spannungen, die jetzt im Zusammenhang mit der Insolvenzkrise bestehen, die Länder sich voneinander entfernen und im weitesten Sinne dann auch Kriegsgefahren zunehmen. Ich würde also kurzum sagen, dass der Euro in keinem Fall ein Versöhnungsprogramm ist, sondern eher ein Spaltungsprogramm. Und das kann auch jeder mit offenen Augen sehen, wenn er in die Zeitung schaut.

Ute Welty: Dann blicken wir doch noch mal auf den heutigen Tag: Es heißt, dass die Finanzminister versuchen werden, den Hebel am Rettungsschirm anzusetzen, um aus viel Geld, was nicht da ist, noch mehr Geld zu machen, was auch nicht da ist. Wäre es nicht an der Zeit zu sagen, hier muss ein Schnitt her, alles auf Anfang?

Homburg: Ja, das Problem ist, man hätte vor anderthalb Jahren, als Griechenland zahlungsunfähig war, mit geringen Schäden sagen können: Gut, im Vertrag steht die sogenannte "No-Bail-out-Klausel", die anderen Länder helfen nicht, dann muss Griechenland mit seinen Gläubigern umschulden. So wie das zehn Jahre vorher Argentinien oder Russland oder dutzende andere Länder gemacht haben. Inzwischen ist man jetzt in diese Rettungsprogramme immer tiefer reingerutscht und Sie haben recht: Am Tag, an dem der Deutsche Bundestag diese Höherstufung der Rettungsmittel bewilligt hat, redet man jetzt schon über Hebel, also englisch Leverage, sprich, die Mittel des EFSF sollen vervielfacht eingesetzt werden, indem sie immer wieder bei der EZB verpfändet und dann neu ausgeliehen werden.

Ute Welty: Halten Sie ein solches Verfahren für sinnvoll?

Homburg: Also, ich halte es zunächst mal für eine Umgehung von Parlamentsbeschlüssen. Man lässt die Parlamentarier erst unter großen Bedenken eine Hochstufung der Rettungsmittel beschließen und denkt dann aber sofort wieder nach, wie man über Finanztricks – die übrigens von der US-Finanzindustrie stammen, also diese Hebelwirkung, die stammt von Goldman Sachs & Co. aus den USA –, denkt man darüber nach, wie man diese Parlamentsbeschlüsse aushebeln kann.

Ute Welty: Jetzt sagt der europäische Währungskommissar Olli Rehn, dass genau dieser Hebel den EFSF als finanzielle Brandmauer effektiver machen könnte …

Homburg: Ja, also, ich halte dieses ganze Konzept für vollkommen verfehlt. Es geht darum, dass Staaten, die insolvent sind, geschützt werden sollen, aber dadurch andere Staaten mit nach unten ziehen. Es ist wenigen bekannt, dass die Finanzmärkte inzwischen auch für Deutschland davon ausgehen, dass wir in den nächsten zehn Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von zwölf Prozent insolvent werden. Vor zwei Jahren wäre dies kein Thema gewesen, aber dadurch, dass wir immer weitere Garantien für die anderen Staaten übernehmen, rutschen wir selber in die Insolvenzgefahr. Indem man jetzt Hebel beim EFSF ansetzt, wird diese Insolvenzgefahr für alle noch potenziert. Ich halte deshalb das für völligen Unsinn, was Herr Rehn sagt.

Ute Welty: Was halten Sie denn davon, dass jetzt erst mal kein Geld für Griechenland ausgezahlt wird, dass die Entscheidungen verschoben wurden?

Homburg: Nun, wochenlang ist den Bürgern gesagt worden, Solidarität sei keine Einbahnstraße, Geld an Griechenland würde nur fließen, wenn die Troika bestätigt, dass die Sparziele erfüllt wurden.

Ute Welty: Na, das tun sie ja jetzt.

Homburg: Jetzt hat die Troika festgestellt, dass die Sparziele nicht erfüllt werden. Das ist, jetzt ausdrücklich gesagt worden, also Griechenland sollte seine Defizitquote auf 7,6 Prozent senken, sie werden aber wohl bei 8,5 Prozent rund landen. Das heißt, das Ziel wurde verfehlt. Und trotzdem, entgegen der ursprünglichen Ansage, sollen jetzt weitere Gelder fließen. Das ist ein Bruch der ursprünglichen Aussage, dass Geld nur gegen Erfüllung von Sparzielen fließt.

Ute Welty: Mit welcher Konsequenz?

Homburg: Mit der Konsequenz, dass weiterhin gezahlt wird an Problemländer ohne Rücksicht darauf, ob diese Problemländer Sparziele erfüllen oder nicht. Damit komme ich auf den Anfang des Interviews zurück: Weil die Problemländer dies wissen, erlahmen natürlich ihre Anstrengungen, Sparziele zu erfüllen. Am besten hat man das gesehen am Beispiel Herrn Berlusconis: Er hatte für Italien Steuererhöhungen vorgeschlagen, dann hat die EZB italienische Staatsanleihen gekauft, sodass sich von daher eine gewisse Entlastung ergab, und sobald dies geschehen war, hat Herr Berlusconi die Steuererhöhungen dann wieder zurückgenommen.

Ute Welty: Stefan Homburg in der "Ortszeit", Direktor des Institutes für Öffentliche Finanzen in Hannover, ich danke für Ihre Einschätzung!

Homburg: Danke auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema