Filz aus Politik und Mafia

20.04.2010
Natan Dubowizki beschreibt in seinem Roman "Nahe Null" ein Milieu aus Verbrechen und Korruption, Kultur und Terrorismus im neuen Russland. Ironischerweise vollzieht sich der Niedergang seiner Hauptfigur parallel zu ihrer Läuterung.
"Nahe Null" – da ist man so ziemlich am Tiefpunkt. Jegor Samochodow, der Held dieses Romans, ist am Ende der Geschichte ungefähr dort angekommen. Von einem sadistischen und mafiösen Filmregisseur, der Snuff-Movies dreht, übel verstümmelt, erträgt nicht einmal eine aufopferungsbereite Geliebte mehr seinen Anblick und ergreift die Flucht. Seine beträchtlichen Ersparnisse sind beim vergeblichen Versuch, eine andere Geliebte ausfindig zu machen, in die Taschen kaukasischer Clans geflossen, und seine früher einträglichen Geschäfte gestalten sich letzthin kompliziert.

Jegor ist Pate einer Art Literatur-Mafia, die mit Raubdrucken in großem Stil, Ghostwriting und deutlich unfeineren Tätigkeiten wie Morden jahrelang große Summen verdient hat. Das war in den Zeiten des großen Umbruchs, als der Sowjet-Kommunismus seine umfassende Bruchlandung nicht mehr bemänteln konnte, die Sowjetunion in all ihren Strukturen sich auflöste und im neuen Russland die Ära der Oligarchen und Verbrecher sich zu entfalten begann.

Dieses Milieu aus Verbrechen und Korruption, Mafia und Politik, Kultur und Terrorismus, in dem Jegor sich bewegt, beschreibt Natan Dubowizki meisterhaft. Er tut es mit kaltem Zynismus, der immer wieder zur satirischen Überzeichnung, zur Groteske hin strebt und damit auch voller Humor ist. Scham- und schonungslos wird in eine Parallelwelt hineingeleuchtet, die zugleich auch die eigentliche Welt ist. Denn dieser Filz aus Politik, Mafia und Schattenwirtschaft ist es letzten Endes, in dem die Geschicke der ganzen Gesellschaft bestimmt werden.

Ironischerweise vollzieht sich Jegors Niedergang parallel zu seiner Läuterung. Er, ein verhinderter Literat, der häufig Shakespeare oder die russischen Klassiker zitiert, erinnert sich an seine Ideale. Seine zerrütteten Beziehungen rufen seine Sehnsucht nach Liebe wach, das verschüttete menschliche Streben nach Verbesserung der Welt regt sich wieder in ihm, er beschließt, das Morden sein zu lassen und auf diese Weise sein Teil zu dieser Verbesserung beizutragen. Perspektiven bietet diese Läuterung kaum, und so steht am Ende der Geschichte die alte russische Frage im Raum: Was tun?


Besprochen von Gregor Ziolkowski


Natan Dubowizki
Nahe Null

Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt
Berlin Verlag, Berlin 2010
220 Seiten, 22,00 Euro