Filmische Suche nach Heimat

Tom Tykwer im Gespräch mit Britta Bürger · 13.02.2009
Nach Ansicht des Regisseurs Tom Tykwer befindet sich Deutschland gerade in einer Umbruchphase. Zu dieser Neuorientierung soll auch das Filmprojekt "Deutschland 09" beitragen, in dem 13 namhafte deutsche Regisseure ihre Haltung zu Deutschland zeigen. Es sei eine Spurensuche in unterschiedlichsten Genres, sagte Tykwer.
Britta Bürger: Tom Tykwers Berlinale-Eröffnungsfilm "The International" läuft seit gestern auch regulär in den Kinos und heute steht Tom Tykwer nun noch einmal im Rampenlicht der Berlinale- mit dem Film Deutschland 09 - 13 kurze Filme zur Lage der Nation. Dieses Projekt hat ein legendäres Vorbild, nämlich den Film "Deutschland im Herbst". Alexander Kluge hatte 1977 die damals führenden deutschen Filmemacher von Fassbinder bis Schlöndorff angeregt, diesen gemeinsamen Film zu machen. Und damit schönen guten Morgen, Tom Tykwer, in unserem Berlinale-Studio! Wie sind Sie darauf gekommen, diese Idee von Alexander Kluge wiederzubeleben?

Tom Tykwer: Ich bin dazu eigentlich inspiriert worden von einem Redakteur des NDR, oder von zweien, das ist Erik Friedler und Doris Heinze, die ich eines Tages zu einem Abendessen traf. Wir redeten über andere Projekte und dabei kam diese Frage auf, was wäre das wohl für ein Film, wenn man heute eine Gruppe von Regisseuren versuchen würde zusammenzubringen, um sich mit ihrem ganz speziellen Heimatbegriff zu beschäftigen oder, sagen wir mal so, mit ihrer Haltung zur Gegenwart in Deutschland? Und das hat mich als Gedanke nicht so richtig losgelassen. Ich bin dann sozusagen auf die Suche gegangen nach einer Startformation, von der ausgehend dann plötzlich so eine ziemlich schnelle Kettenreaktion ausging und plötzlich saßen da 13 Regisseure, und haben alle ein Statement formuliert.

Bürger: "Deutschland im Herbst" war aber im Grunde ja damals ein politischer Akt, das war ein Gruppenstatement zum Umgang der Bundesrepublik mit dem Terror der RAF. Ist jetzt "Deutschland 09" auch ein gemeinsames politisches Statement?

Tykwer: Na ja, es ist natürlich insgesamt sowohl durch die Lage der Themen als auch durch die Zusammenstellung dieser Gruppe ein wahrscheinlich sehr viel heterogener wirkender Film geworden, als damals "Deutschland im Herbst" einer war. Aber wenn man die einzelnen Stimmen damals so ein bisschen unter die Lupe nimmt, wie den Fassbinder - jetzt mal als ästhetisches Modell - neben so einen Schlöndorff oder einen Kluge zu stellen, das sind auch verdammt unterschiedliche Haltungen und auch verdammt unterschiedliche Perspektiven auf politische Gegenwart gewesen. Und insofern ist das Projekt dann doch nicht ganz so auf einem anderen Planeten, finde ich, zu finden.

Gleichzeitig ist es natürlich so, dass damals ein thematischer Schwerpunkt eben durch die Situation mit der RAF und der Zuspitzung der Lage damals gegeben war. Wir haben ja jetzt keine - und das ist wirklich sehr signifikant, finde ich heute -, wir haben keine einzelne, zugespitzte Krise, um die sich dieser Film kümmert, sondern wir haben unterschiedliche nicht nur Krisenherde, sondern Beschäftigungs- oder Themenräume, die auf Deutschland bezogen die Filmemacher interessiert haben und die wir auch letztlich nicht in irgendeiner Weise zusammengedrückt haben. Wir haben schon versucht, sozusagen jedem seine ganz spezifische und auch darin natürlich individuelle Perspektive auf dieses Land zu lassen und zu sehen, was sich daraus für ein ganz eigentümlicher Kanon ergibt.

Bürger: Mit dabei sind neben Ihnen selbst Fatih Akin und Dani Levy, Nicolette Krebitz und Sylke Enders, Romuald Karmakar, Dominik Graf und viele andere Filmemacher der Generation, sagen wir mal, 40 plus/minus. Was erzählen die Filme über unsere Gegenwart?

Tykwer: Sehr unterschiedliches, und das ist ja immer auch ein Risiko, wenn man so viele Filme auf einen Haufen wirft und hofft, dass sie sich in irgendein Verhältnis zueinander bringen. Was wirklich auffällt, ist, dass die Filme in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit trotzdem eine gewisse Suche repräsentieren, die für uns alle offensichtlich sehr relevant ist, nach einer neuen Bestimmung unseres Verhältnisses zu dieser Idee von Deutschland, zu dem, was Deutschland für uns darstellen soll, dass es nicht so ist, dass wir dazu ein sehr klares Statement formulieren können, sondern dass dieser suchende Gedanke eigentlich alle Filme durchzieht, und dass der von mal mehr und mal weniger Verunsicherung geprägt ist, darüber, in was für einer Transformation sich offensichtlich dieser Ort befindet, den wir als Heimat dann bezeichnen würden.

Transformation heißt auch einfach deshalb, dass wir jetzt ein Land sind, anders als vor 30 Jahren, das jetzt seit gut zehn Jahren zum Beispiel wieder an Kriegen partizipiert, ein Land, das sozusagen in seiner Grundkonstruktion als, wenn man so will, eine der stabilsten Demokratien der Welt dasteht, aber das mit dem ganzen Background unserer Historie natürlich trotzdem irgendwie ein eigenartiges Gefühl erzeugt, zu dem man noch keine klare Haltung hat entwickeln können. Und ich würde sagen, dieser Zustand jetzt, 20 Jahre, nachdem die Mauer gefallen ist, 60 Jahre, nachdem wir überhaupt eine Republik wurden, ist als einer zu bezeichnen, der viel mit Neuorientierung zu tun hat, und zu dieser Neuorientierung soll dieser Film halt beitragen.

Bürger: Eine Regisseurin befasst sich mit Suppenküchen für Kinder, ein anderer hat sich das legendäre Zeitungsinterview mit Murat Kurnaz und Guantanamo vorgenommen und es geht unter anderem auch um einen iranischen Bordellbetreiber in Berlin. Das ist ein ganz weites Spektrum durchaus von politischen Themen, sozialpolitischen Themen, gesellschaftspolitischen Themen. Was erzählen diese Filme aber auch über das Filmemachen heute?

Tykwer: Ja, sie sind natürlich darin auch, finde ich, quasi repräsentativ für das, was gerade so geht im Kino, nämlich insofern, als dass erfreulicherweise - und zwar ganz unaufgefordert - fast jeder Filmemacher zu einer sehr eigenen Form gefunden hat und natürlich das auch naheliegt, weil das ja spezifische Autorenfilme sind, die immer schon auch in einer bestimmten Form bemüht waren, sich zu suchen.

Aber sehr schön ist, dass der Film tatsächlich zwischen Super 8, mehreren Videoformaten, 16 und 35 Millimeter immer hin- und heroszilliert, dass es also sozusagen sich nie festlegt auf eine bestimmte Erzählweise, auf eine Form, auf eine Ästhetik, sondern dass die sozusagen sehr frei ist und dass man eben auch sieht, wenn man sich sozusagen die Produktionsmethoden der einzelnen Filme anguckt, dass von wirklich sehr aufwändig bis unglaublich simpel und aus der Hüfte gedreht alles dabei ist, was heutzutage sozusagen das deutsche Kino auch ausmacht.

Es ist schon eine Spurensuche, die sich in unterschiedliche Genres aber reinwagt. Es gibt schon auch Elemente in dem Film, die wirklich kleine, narrative, mikroskopische Experimente sind, in denen tatsächlich auch ein Spannungsbogen entsteht, in denen man auch, glaube ich, in so einen Anspannungsraum geführt wird, der für uns irgendwie Gültigkeit hat.

Die Tatsache, dass es zum Beispiel in einer Episode von Hans Weingartner, da geht es um Abhören von potenziellen, revolutionären Zellen unter uns Bürgern und wie schnell man selber da reingeraten kann ... Das ist so eine Beunruhigungsstrategie, die Hans da verfolgt, die ich ganz interessant finde, weil die natürlich eigentlich eher aus einer Zeit kommt, in der Filme gemacht wurden, die sehr stark sozusagen sich mit dem BND und dem Innenministerium beschäftigten. Das Thema ist ja nicht weniger aktuell geworden dadurch, dass wir es weniger in den Zeitungen haben, wir haben ja immer noch durchaus große strittige Themen da, und der Film macht daraus auch einen richtigen Spannungsbogen. Ich glaube, wir haben tatsächlich einen Phantasieraum geöffnet für unsere eigene Spekulationswelt bezogen auf dieses Deutschlandding.

Bürger: Fast klingt das so, ein paar Namen habe ich schon genannt, als hätte man mit diesem Film auch so eine Art heimliche Leistungsschau des deutschen Films in den Wettbewerb geschleust, um aller Welt zu zeigen, guckt mal, wir haben 13 Visitenkarten, 13 kurze Filme zur Lage der Nation, die könnt ihr auch noch alle mitnehmen. Aber es gibt auch Namen, die man vermisst, Christian Petzold zum Bespiel, auch Andres Veiel, Hans-Christian Schmid. Haben die Ihnen einen Korb gegeben?

Tykwer: Nein, nein, das ist wirklich ... Es gab eine ganz natürliche Expansion dieser kleinen Startgruppe, von der auch nicht alle übriggeblieben sind, und es war eher so, es hatte manchmal auch damit zu tun, dass manche Leute einfach keine Zeit hatten - Hans-Christian Schmid hat ja nun wahnsinnig viel zu tun mit seinem eigenen Film - und dass wir sozusagen aber die Spontaneität der Situation nutzen wollten, um das Projekt auch wirklich auf die Beine zu stellen und irgendwann einfach Stopp sagen mussten, denn 13 Filme waren schon eine ganze Menge. Es wären auch ruckzuck wahrscheinlich 20 draus geworden, aber dann wäre der Film einfach zu lang geworden.

Bürger: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, im Gespräch mit dem Filmemacher Tom Tykwer. Lassen Sie uns über Ihren Beitrag für "Deutschland 09" sprechen, Herr Tykwer. Sie haben den Film ja nicht nur mit initiiert, sondern auch einen kurzen Film zur Lage der Nation gedreht, der heißt "Feierlich reist", und Feierlich, so nennen Sie den Protagonisten. Auf was für eine Reise schicken Sie ihn?

Tykwer: "Feierlich reist", das hat damit zu tun, dass die Figur, die Benno Fürmann darin spielt, Jürgen Feierlich heißt, der ein Textilkaufmann ist, der einmal um die Welt reist, um bei einer Geschäftsreise sämtliche relevanten Geschäftspartner abzuklappern, die seine Textilfirma, die in Deutschland natürlich beheimatet ist, so hat.

Und der Gedanke des Films ist eigentlich nur der, dass, wenn man sich heutzutage auf solche Geschäftsreisen begibt, dass es einem passieren kann, dass man realisiert, wie sehr sich die globalisierte Welt inzwischen ähnelt, wie sehr sich die Kontinente einander angenähert haben, ästhetisch, auch was die Erlebnisräume betrifft, was überhaupt Alltagsstrukturen betrifft, und dass man tatsächlich in der Lage ist, als einzelner Mensch im immer gleichen Auto, im immer gleichen Hotelzimmer, in dem immer gleichen Konferenzraum zu sitzen, egal in welcher Stadt, auf welchem Kontinent man sich befindet, und obendrein auch noch zur Mittagspause vielleicht bei Starbucks seinen Kaffee trinkt und abends denselben Pornokanal drückt auf dem Hotelzimmer.

Das sind alles so Dinge, die in diesem Film schematisiert dargestellt werden auf eine Weise, die ein bisschen beunruhigend und natürlich irgendwie absurderweise ja für viele von uns auch ein bisschen beruhigend sind.

Bürger: Und auch Alltag, für Sie vielleicht? Sind das Erfahrungen, die Sie beim Drehen zum Beispiel von "The International" gemacht haben, Ihrem großen Eröffnungsfilm der Berlinale, der ja auch in vielen Großstädten spielt?

Tykwer: Ja, aber jeder hat das schon erlebt, der mal ins Flugzeug gestiegen ist, dass man manchmal in Räumen sich befindet, die einem nicht mehr klarmachen, in welcher Welt man eigentlich gerade ist, weil sie tatsächlich sich so angenähert haben aneinander. Und das zu untersuchen, versucht dieser Film und darin natürlich dann dahinter ein Gefühl für das Nach-Hause-Kommen zu entwickeln und dass das dadurch natürlich durchaus schwieriger wird zu benennen, worauf sich dieses Nach-Hause-Kommen denn eigentlich bezieht, wenn es doch so ähnlich ist.

Bürger: Freut er sich auf "Deutschland 09", der Herr Feierlich?

Tykwer: Der Herr Feierlich, der ist froh, wieder zu Hause zu sein, aber aus anderen Gründen, als Sie jetzt annehmen mögen.

Bürger: Heute wird "Deutschland 09" bei der Berlinale uraufgeführt und gestern ist bereits Ihr großer Berlinale-Eröffnungsfilm "The International" regulär in den deutschen Kinos gestartet, auch in den USA hatte der Thriller ja bereits Premiere. Wie wurde der Film eigentlich in den USA aufgenommen?

Tykwer: Ich war jetzt gerade nur drüben in New York bei der US-Premiere und habe das sehr genossen, dass die ... Die sind halt so anders, wenn die Premieren feiern, als wir! Das ist ein bisschen unfeierlicher, was nervt, denn ich finde, die haben kein besonders starkes Gefühl für so einen etwas festlicheren Kontext, da sind wir viel besser. Aber was natürlich lustig ist, die machen so eine Premiere, die ziehen sich zwar schick an, aber dann stehen da so kilometerlange Tische mit Coca Cola und großen Popcorntüten, selbst für die feinen Gäste, die setzen sich dann hin mit ihrer riesigen Popcorntüte, es ist ein Höllenlärm, es ist so ein Kinozustand, als wäre es eigentlich völlig alltäglich, was aber natürlich erst mal total schockierend ist, weil man denkt: Wo ist denn jetzt hier bitte schön die Ehrfurcht?

Und dann gleichzeitig realisiert man sofort, dass das jetzt ein richtiger Test für den Film ist, weil die Leute wollen jetzt einfach einen Film sehen, so, als würden sie ganz regulär ins Kino gehen. Und dadurch entsteht natürlich dieser Spannungsraum, der ein ganz anderer ist als mit dieser Schwere, die so eine Galapremiere normalerweise hat. Die Leute sitzen da und versinken im Stuhl und wollen jetzt gucken. Und wenn der Film dann ankommt und dann angenommen wird, dann weiß man, dass man das halbwegs hingekriegt hat und das war Gott sei Dank der Fall.

Bürger: Wie haben Sie das gespürt?

Tykwer: Das spürt man immer, wenn man im Kino sitzt und weiß, ob die Leute miteinander quatschen, weil sie nervös sind über den Film, oder weil sie sich gerade langweilen. Wenn alle zwei Minuten jemand aufsteht und auf Toilette geht oder eigentlich so eine ständige Unruhe herrscht, dann weiß man schon, dass was nicht stimmt, gerade bei einem Film, bei dem man dann doch irgendwie ein bisschen aufpassen muss, denn es ist ja ein Kriminalfilm. Es war tatsächlich jenseits des Geschmatzes von Popcorn eine sehr gespannte Stille im Kino.
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