Filmhistoriker Andreas Kötzing

Warum Hollywood so gerne Bibelfilme dreht

Willem Dafoe als Jesus mit Dornenkrone in "Die letzte Versuchung Christi" von Martin Scorsese von 1988
Willem Dafoe als Jesus mit Dornenkrone in "Die letzte Versuchung Christi" von Martin Scorsese von 1988 © picture-alliance / dpa
Andreas Kötzing im Gespräch mit Patrick Wellinski · 19.03.2016
Genesis, Sintflut, Auferstehung: Die Bibel ist voller Kinogeschichten, sagt Andreas Kötzing. Schon in der Frühzeit Hollywoods waren biblische Filmstoffe sehr beliebt, auch wegen dem fehlenden Urheberrecht, so der Filmhistoriker. Nun sind etwa "Auferstanden" oder "Hail, Caesar!" zu sehen.
Patrick Wellinski: Jahrhundertelang war es die katholische Kirche, die die Macht über die Bilder hatte: Biblische Motive in der Kunst prägten die Art und Weise, wie wir Geschichten gehört und erzählt bekommen haben. Diese Macht hat im 20. Jahrhundert dann Hollywood übernommen, aber die Bibel blieb eine beliebte Quelle für die großen Leinwandgeschichten. Das Genre des Bibelfilms war so populär, dass die großen Studios in den 1940er- und 50er-Jahren sehr viel Geld mit "Quo Vadis", "Ben Hur" oder eben "Zehn Geboten" verdienten.
Ja, Bibelfilme sind bis heute im Trend. Gerade kann man "Auferstanden" sehen: Joseph Fiennes spielt da einen römischen Legionär, der die Auferstehung Christi untersucht. Die komödiantische Version davon heißt "Hail, Caesar!" der Coen-Brüder, und in zwei Monaten sehen wir dann "Der junge Messias", ein Blockbuster über die Jugend von Jesus Christus.
So kurz vor den Osterfeiertagen dachten wir uns in der "Vollbild"-Filmredaktion, wäre es ja mal angebracht, auf Hollywoods Geschichte mit der Bibel zu schauen und dieses dann doch recht problematische Verhältnis zu beleuchten. Das mache ich jetzt mit dem Filmhistoriker und Journalisten Andreas Kötzing. Guten Tag!
Andreas Kötzing: Hallo, Herr Wellinski!
Wellinski: Wie kann man sich eigentlich erklären, dass die Bibel schon in der Frühphase des Kinos so eine sehr beliebte Quelle war?

"Es gab ja kein Urheberrecht auf die Storys"

Kötzing: Ich glaube, da gibt es mehrere Gründe dafür: Das hängt natürlich zum einen mit der kulturellen Prägung der Länder zusammen, in denen diese Filme entstanden sind, weil neben Europa natürlich hauptsächlich in den USA diese christlich-kulturellen Hintergründe eine starke Rolle gespielt haben. Dann kam das neue Medium Film, was zum ersten Mal die Möglichkeit geboten hat, diese biblischen Szenen, die man ja sonst nur von gemalten Bildern kannte, tatsächlich auch in Szene zu setzen, sie also sozusagen abzubilden und sie real auf die Leinwand zu bringen, was natürlich per se eine große Faszination ausgestrahlt hat, denn dieses Buch ist ja, wenn wir ehrlich sind, das Buch der Bücher – voll mit Kinogeschichten, dramatische Geschichten, Schöpfungsgeschichten, Schöpfungsgeschichte, Entstehung der Welt, Sex and Crime, Naturkatastrophen wie die Sintflut, große moralische Fragen, die dort verhandelt werden, aber auch viel übernatürlich-phantastisches, menschliche Wiederauferstehung von den Toten, Engelsvisionen.
Das sind ja alles prädestinierte Geschichten für das Kino zum Erzählen, und man bekam sie auch noch umsonst. Es gab ja kein Urheberrecht auf die Storys in der Bibel. Insofern konnten also die Filmemacher sich dort sehr, sehr stark drauf stützen. So wie Sie gesagt haben, das fängt ganz früh an. Man kann das bis zu den Gebrüdern Lumière sogar zurückverfolgen: 1897 haben die einen ersten Film über die Passion von Jesus Christus gedreht. Es ist am Anfang auch eine starke Fokussierung auf so einzelne Figuren aus der Bibel, Jesus, Moses, und erst im Verlauf der 20er-Jahre werden es dann komplexere Bibelgeschichten im Kino, darunter unter anderem auch Cecil B. DeMilles erster Versuch, die Zehn Gebote auf die Leinwand zu bringen. Damals 146 Minuten als Stummfilm, das war schon ein erster monumentaler Versuch, wenn man so will.
Wellinski: Der Höhepunkt des Bibelfilms, kann man sagen, war das klassische Hollywood, das waren die 1940er- und 50er-Jahre – "Quo Vadis" oder eben "Die Zehn Gebote" mit Charlton Heston. Das waren wahre Box-Office-Hits. Woher kam eigentlich dieser Erfolg, weil war der eigentlich filmisch begründet, also auf diesen Schauwert dieser Filme gelegt, oder war das vielleicht auch so eine Art zeitgeschichtliches Symptom, denn Amerika oder die amerikanische Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg war ja auch definitiv erschöpft?
Kötzing: Ja, sowohl als auch, denke ich. Es ist einerseits dieses Erschöpfen, aber auch die Selbstvergewisserung der eigenen christlichen Kultur vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, die dabei natürlich eine ganz große Rolle gespielt hat. Die politische Auseinandersetzung, die damals sehr stark gewesen ist, führt natürlich auch mit dazu, dass man über seine eigene Tradition, über seine eigenen Wurzeln nachdenkt. Da kommen natürlich diese christlichen Themen wieder sehr, sehr stark auf. Andererseits ist es dann eben doch genuin filmisch, denn diese Filme haben ja vor allem vor dem Hintergrund einer technischen Revolution im Kino stattgefunden. Das ist das Cinemascope-Breitwandverfahren, was aufkommt 1953, das erste Mal bei "Das Gewand", einem biblischen Film, angewendet wird, Technicolor, 70 Millimeter, also die gesamte Breite des Films ausschöpfen zu können. Das sind technische Möglichkeiten, die sehr prädestiniert waren für diese monumentalen biblischen Themen und die damals eben auch komplett neu noch einmal erzählt werden konnten im Vergleich zu dieser ersten Welle, die wir mit dem Stummfilm assoziieren. Es ist, glaube ich, kein Zufall, dass diese epischen Themen damals so aufgekommen sind. Parallel dazu können wir das beim Western ja ganz genauso erleben in den 50er-, 60er-Jahren in den USA. Beide Themen, beide Genres waren prädestiniert, mit diesen neuen technischen Möglichkeiten umgesetzt zu werden.
Wellinski: Bevor wir in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute gehen, vielleicht noch mal der Einfluss der amerikanischen Kirchen, gerade der christlichen Kirchen auf Hollywood ist ja nicht zu unterschätzen. Sind denn diese Bibelfilme gerade aus der Studioära auch, ich sag mal, Auftragsarbeiten der Kirchen? Sind das denn so Erbauungsmythologien, die auch in die Hände der Kirchen gespielt haben?

"Hollywood noch unter dem Hayes-Code"

Kötzing: Jein. Also Auftragsarbeit allein würde ich sicherlich nicht sagen, aber es ist natürlich die Zeit, in der Hollywood noch unter dem Hayes-Code steht, also einer Art verordneter moralischer Kodex für die amerikanischen Hollywoodstudios, an die man sich hält. Der gilt bis Mitte der 60er-Jahre. Das betrifft natürlich vor allem die Darstellung von Gewalt und Sexualität, die moralisch sehr sauber sein soll in den Hollywoodfilmen, aber eben auch religiöse Themen – Gotteslästerung ist zum Beispiel für den Hayes-Code ganz, ganz stark gewesen, dass das eben nicht auf die Leinwand kommt. Wir haben starke Lobbygruppen damals in Hollywood gehabt: Die Catholic League of Decency zum Beispiel von der katholischen Kirche, die immer wieder auch Boykotte angedroht hat, wenn Filme zum Beispiel aus ihrer Sicht heraus viel zu gotteslästerisch gewesen sind oder sich nicht zu nah an die Bibel gehalten haben.
Auf der anderen Seite darf man natürlich auch die Beharrlichkeit Hollywoods nicht unterschätzen. Wenn man einmal Blut geleckt hat bei Filmen, die besonders erfolgreich beim Publikum gewesen sind – Sie hatten es am Anfang gesagt –, so etwas wie "Die Zehn Gebote" von DeMille, das war ein absoluter Kassenschlager damals. 13 Millionen gekostet, eine Unsumme, und der hat so viel Geld eingespielt, dass er bis heute inflationsbereinigt zu den zehn erfolgreichsten Filmen aller Zeiten zählt. Bei "Ben Hur" ist es ähnlich gewesen. Das läuft bis in die 60er-Jahre hinein ja sehr erfolgreich weiter. Ich glaube, der erste, der dann richtig gefloppt ist, war John Huston mit der "Bibel" 1966, wo die Leute dann auf einmal nicht mehr in Scharen ins Kino gelaufen sind. Das war dann schon die Zeit des New-Hollywood-Kinos. Da haben sich auch die Sehgewohnheiten so langsam verändert, und die Zeit des großen monumentalen Bibelfilms war erst mal vorbei.
Wellinski: Und trotzdem sind die Geschichten ja selbst nie aus der Mode gekommen, wenn ich an Martin Scorseses "Passion Christi" mit Willem Dafoe denke oder sogar diese gewaltige beziehungsweise eher gewalttätige Version von Mel Gibson.

"Das ist natürlich absolut berauschend im Kino"

Kötzing: Ja, das stimmt. Ich finde, wenn wir eher über diese Zeit reden, wo der monumentale Bibelfilm eigentlich nicht so sehr im Vordergrund stand, eigentlich fast mit die spannendsten Bibelfilme entstanden sind. Scorseses "Last Temptation of Christ" ist ein gutes Beispiel, finde ich, weil der uns ja einen großen zweiflerischen Jesus Christus erzählt, der zwar von seiner Vorherbestimmtheit weiß, aber der sie eigentlich gar nicht umsetzen will, der sich viel eher in einer Liebesbeziehung, als in einer Familie mit Maria Magdalena wiederfindet. Oder auch ganz anders Krysztof Kieslowski, der "Dekalog", Ende der 80er-Jahre in Polen entstanden – eine ganz individuelle Auseinandersetzung mit dem Thema der Zehn Gebote verlagert in die damalige Jetztzeit, wo ein großer Regisseur versucht hat, diese Möglichkeiten eines christlich-moralischen Handelns noch einmal individuell für sich zu hinterfragen. Das sind für mich eigentlich aus der heutigen Perspektive die deutlich spannenderen Auseinandersetzungen mit biblischen Themen.
Mel Gibson und seine "Passion Christi", das ist dann eigentlich schon, wenn wir ehrlich sind, ein ganz neuer christlich-fundamentaler Schub gewesen im amerikanischen Kino, der meiner Meinung nach auch sehr, sehr stark mit 9/11 und mit dieser Zäsur in der amerikanischen Kultur zusammenhängt, denn dort haben wir auf einmal wieder eine Phase, in der so eine Selbstvergewisserung ganz besonders notwendig gewesen ist für das amerikanische Publikum. Ähnlich wie in der Auseinandersetzung im Kalten Krieg jetzt mit dem islamistischen Terror hat man sich wieder zurückbesonnen auf diese christlichen Wurzeln, die auf einmal im Kino seit Mel Gibson ja eine regelrechte Renaissance erlebt haben, wenn da an "Noah" von Darren Aronofsky denkt oder von Ridley Scott, "Exodus". Das waren Filme, die sind sehr, sehr stark christlich-fundamental grundiert, haben aber auch wiederum von einer technischen Revolution profitiert, denn ich glaube, da kann man schon relativ deutlich sagen, dass die natürlich vor dem Hintergrund dieser neuen Computertechnik, mit der heute die Filme gemacht werden, auch noch mal so einen Schwall an Filmen ausgelöst haben, weil da waren technische Möglichkeiten da, die man vorher nicht hatte. Die Sintflut bei Aronofsky, wie sie ins Bild gesetzt ist, bei allem, was man kritisch über diesen Film sagen kann, sagen muss, das ist natürlich absolut berauschend im Kino.
Wellinski: Ich denke da auch, ehrlich gesagt, an Terrence Malicks "Tree of Life", der ist ja Mormone. Das Wenige, was man über ihn weiß, das ist genau das. Das sind ja auch eigentlich Bibel- und Entstehungsbilder der Welt, die ganz tief verwurzelt sind in einem tiefen Glauben. Also Hollywood und der Glaube, eine problematische Beziehung?
Kötzing: Ja, zumindest aus unserer Perspektive mit einem säkular-europäischen Blick, denn das muss man natürlich immer differenzieren. Also ich habe manchmal ganz, ganz große Probleme mit diesen Filmen, weil ich mich auf so eine unangenehme Art und Weise missioniert fühle, und das möchte ich eigentlich als Zuschauer nicht, aber wir müssen natürlich damit bedenken, für wen diese Filme eigentlich gemacht sind, und die zielen natürlich auf ein breites christliches Publikum in den USA ab, was zum Teil eben auch gerade in dieser evangelikalen Bewegung ja sehr, sehr stark am wachsen ist. Das ist ein Millionenmarkt für Hollywood, den will man nicht aus dem Blick verlieren, und deswegen denke ich auch, dass diese Renaissance des Bibelfilms, den wir in den letzten Jahren erlebt haben, noch nicht am Ende ist. Das wird so lange weitergehen, wie diese Filme erfolgreich sind und Geld einspielen. Man muss nur ein bisschen vorsichtig sein, ob man daraus gleich einen gesamten Trend herleiten kann. Es gab ja auch schon viele Projekte in letzter Zeit, die groß angelegt waren, die dann nicht realisiert wurden. Spielberg wollte "Gods and Kings" über Moses drehen, da ist er ausgestiegen, dann hat Ang Lee gesagt, er macht den Film, ist auch nichts geworden. "Pontius Pilatus" wollte Warner Brothers drehen über den römischen Statthalter, der Jesus Christus ans Kreuz gebracht hat. Da sollte Brad Pitt die Rolle des Pontius Pilatus spielen. Auch das Projekt liegt bis heute auf Eis. Also wie gesagt, die Trends sind immer schwer vorherzusagen, aber solange diese biblischen Themen beim Publikum gut ankommen in den USA, ist da kein Ende in Sicht.
Wellinski: Andreas Kötzing über das seltsam produktive Verhältnis von Hollywood und der Bibel. Vielen Dank für das Gespräch!
Kötzing: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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