Filmfestival Cottbus

Gute Unterhaltung abseits des Mainstream

Die georgische Regisseurin Russudan Glurjidze, aufgenommen 2016
Die georgische Regisseurin Russudan Glurjidze hat mit ihrem Film "House of Others" Chancen auf den Hauptpreis in Cottbus. © imago/CTK Photo
Carsten Beyer im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 08.11.2016
Für viele osteuropäische Filmemacher und Produzenten ist das Filmfestival Cottbus das Sprungbrett auf den internationalen Markt. Der georgische Wettbewerbsfilm "House of Others" über russische Hegemonialbestrebungen in Abchasien gilt als Favorit - und ist auch schon für den Oscar nominiert.
Eckhard Roelcke: Freunde des osteuropäischen Kinos werden in diesen Tagen in der Lausitz filmfündig. Dort, in Cottbus, findet nämlich seit heute wieder das Osteuropa-Filmfestival statt, zum 26. Mal seit seiner Gründung 1991. Auch, wenn es mittlerweile einige Konkurrenzveranstaltungen gibt, das Go-East-Festival zum Beispiel in Wiesbaden – für viele osteuropäische Filmemacher und Produzenten ist Cottbus noch immer das Sprungbrett auf den internationalen Markt. Heute Abend wurde das Festival eröffnet mit einer Gala im brandenburgischen Staatstheater, und dort begrüße ich jetzt meinen Kollegen Carsten Beyer. Herr Beyer, schönen guten Abend!
Carsten Beyer: Schönen guten Abend!
Roelcke: Zum Auftakt des Festivals gab es in der Vergangenheit immer einen Spielfilm zu sehen, meistens sogar eine Uraufführung. Dieses Mal wurde das Filmfestival mit vier Kurzfilmen eröffnet, aus der Ukraine, Russland, Polen und Estland. Gab es keinen würdigen Langfilm?
Beyer: Ja, das war ein bisschen ungewöhnlich in der Tat. Man hat auf einen spektakulären Auftaktfilm natürlich gehofft, aber dann keinen bekommen. Das ist gewissermaßen der Fluch des eigenen Erfolges. Das osteuropäische Kino ist ja mittlerweile sehr erfolgreich. In Cannes hat vor einigen Jahren ein rumänischer Film die Goldene Palme gewonnen, in Venedig waren die Russen immer sehr stark, und auch der Auslands-Oscar ist ja dieses Jahr nach Ungarn gegangen, im Jahr davor nach Polen.
Da muss dann so ein kleines Festival wie Cottbus mit im Schnitt 20.000 Besuchern dann auch mal zurückstecken. Aber das macht nichts, das nimmt man hier sportlich, und im Übrigen waren ja auch diese vier Kurzfilme heute Abend nicht schlecht. Da hatte man gleich mal so einen Überblick über das ganze Spektrum des osteuropäischen Kinos. Und kleines oder kurzes Format bedeutet ja jetzt nicht automatisch geringe Qualität.

Kluge, gewitzte Geschichtenerzähler

Roelcke: Das osteuropäische Kino gilt als melancholisch, als düster und auch als chronisch unterfinanziert. Ist da was dran, oder sind das Klischees?
Beyer: Es sind keine Klischees, aber man kann sich doch so ein bisschen, na ja, also davon so ein bisschen verabschieden. Es gibt natürlich diese düstere, diese schwermütige Tradition. Man muss ja nur mal an einen Regisseur wie Andrej Tarkowskij denken, der bis heute wirklich noch einer der Säulenheiligen des russischen Kinos ist. Aber das osteuropäische Kino war eben auch immer ein Kino der klugen, der gewitzten Geschichtenerzähler, also das Kino von Leuten wie dem kürzlich verstorbenen Andrzej Wajda aus Polen oder auch dem Ungarn Istvan Szabo, der ja sogar der Ehrenpräsident hier dieses Cottbuser Festivals ist.
Und viele der Filme im diesjährigen Wettbewerb sind eben eher in deren Tradition, das heißt, die sind unterhaltsam, die nähern sich den spezifischen regionalen und politischen Gegebenheiten ihrer Heimatländer mit viel Humor. "Kills on Wheels" beispielsweise, der ungarische Beitrag von Atila Till, hat mir sehr gut gefallen. Der erzählt die Geschichte dreier Rollstuhlfahrer, die die gesamte Mafia-Szene der ungarischen Hauptstadt aufmischen. Oder dann gibt es einen Film wie "Zoologiya" vom Russen Iwan Twerdowski, da geht es um eine Mitarbeiterin eines Zoos in Rostow am Don, der wächst plötzlich so ein langer Schwanz, und das sorgt natürlich für Unruhe. Das erinnert so ein bisschen fast an Kafka, dieser Film. Also Mainstream à la Hollywood ist das natürlich nicht, aber es ist eben auch keine reine Arthouse-Veranstaltung jetzt für die gepflegte Novemberdepression, was man hier zu sehen kriegt.
Roelcke: Spiegeln sich denn aktuelle politische Entwicklungen in Osteuropa im Film wieder? Also das hegemoniale Russland, der schwelende Krieg in der Ukraine – sind das Themen?
Beyer: Das sind Themen in einem der Kurzfilme jetzt hier in diesem Eröffnungsprogramm, "Komm zurück" von Andrej Kirilov, da spielte der Krieg in der Ostukraine eine Rolle. Da geht es um eine Frau, die sich ihren Mann zurückwünscht, der seit Monaten an der Front ist. Aber ansonsten ist das Thema, also dieses Thema Ostukraine, diesmal nicht so präsent.
Es gibt aber eine ganze Reihe von sehr politischen Filmen, die sich mit diesem Hegemonialstreben auseinandersetzen. Der georgische Wettbewerbsfilm fällt mir da ein, "House of Others". Das ist ein Film von einer noch ganz jungen Regisseurin, Rusudan Glurjidze. Da geht es um Abchasien, das ist ja diese Region ganz im Westen von Georgien, die sich mit russischer Hilfe abgespalten hat. Dort sind die georgischen Familien in den 90er-Jahren vertrieben worden, und so allmählich siedeln sich jetzt da neue russischstämmige Bewohner an, eben in den Häusern der anderen, im "House of Others". Das ist wirklich ein großartiger Film, bildgewaltig, klug, auch sehr poetisch. Der ist übrigens auch schon als georgischer Beitrag für den Oscar nominiert, und für mich ist das auch einer der Favoriten auf den Hauptpreis dieses Jahr hier in Cottbus, auf die Lubina.
Roelcke: Der Programmdirektor des Cottbuser Filmfestivals, der Berliner Filmjournalist Bernd Buder, ist mittlerweile das dritte Jahr dabei. Sieht man denn seine Handschrift jetzt in Cottbus?
Beyer: Ja. Ich würde sogar sagen, in diesem Jahr spürt man den Einfluss von Bernd Buder wie nie zuvor. Sein Vorgänger Roland Rust war ein Mann, der sehr auf das junge osteuropäische Kino gesetzt hat, dem es sehr wichtig war, jetzt möglichst viele Entdeckungen und Welturaufführungen nach Cottbus zu holen.
Bei Bernd Buder ist das ein bisschen anders. Der hat eben auch kein Problem damit, Filme zu zeigen, die bereits im Wettbewerb von anderen Festivals gelaufen sind, im tschechischen Karlovy Vary zum Beispiel, das ist ja das größte Osteuropäer-Filmfestival in der ganzen Welt, und dadurch ist dieses Festival hier in Cottbus nicht mehr ganz so exklusiv, aber es ist eben doch populärer geworden, also beispielsweise der polnische Wettbewerbsbeitrag, "Planet Single", das ist so eine "romantic comedy", die hat mich fast so ein bisschen an einen Til-Schweiger-Film erinnert. Der hatte in Polen fast zwei Millionen Zuschauer, dieser Film, das war der erfolgreichste Film des Jahres. So ein Film wäre bei Roland Rust wahrscheinlich nie gelaufen. Aber Bernd Buder zeigt eben auch so was, und es ist ja eigentlich auch in Ordnung, denn auch das gehört zum osteuropäischen Kino.

Filme, die sonst nicht im Kino laufen

Roelcke: Diese Filme, die Sie angesprochen haben, Herr Beyer, die Sie gelobt haben, kommen die irgendwann auch mal in die deutschen Kinos, oder verschwinden die nach dem Festival wieder in der Versenkung?
Beyer: Also der eine oder andere wird es hoffentlich schaffen ins Kino. Dazu gibt es ja hier in Cottbus auch immer diese Produktionsplattform Connecting Cottbus, da werden unter anderem solche Dinge eben auch verhandelt. Aber sicher sein kann man sich nicht. Ich habe es in den letzten Jahren tatsächlich immer wieder erlebt, dass wirklich großartige Filme dann in der Versenkung verschwunden sind. Die liefen dann höchstens noch mal in irgendeiner Schwerpunktreihe irgendwo im Programmkino oder mal spät abends auf "Arte", aber das ist natürlich auch so ein bisschen der Anreiz, überhaupt hierher nach Cottbus zu kommen, dass man eben Dinge zu sehen kriegt, die es sonst im Kino so nicht gibt.
Roelcke: Das 26. Filmfestival Cottbus, am Abend wurde es eröffnet. Es dauert bis zum 13. November. Live aus Cottbus war das Carsten Beyer. Herr Beyer, Danke schön!
Beyer: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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