Filmemacher Edgar Reitz

"Heimat ist kein fester Ortsbesitz"

Der deutsche Regisseur Edgar Reitz am 9. Juni 2016 im Studio 5 des Deutschlandradio Kultur
Der deutsche Regisseur Edgar Reitz im Gespräch über Heimat und Heimatlosigkeit. © Deutschlandradio Kultur / Leila Knüppel
Moderation: Ulrike Timm · 10.06.2016
"Heimat" heißt Edgar Reitz' legendärer Filmzyklus über den Hunsrück, mit dem er dem deutschen Autorenfilm in den 80ern international zu großem Ansehen verhalf. Im Gespräch verrät Reitz, warum er sich bei der Titelwahl gegen alle Widerstände durchgesetzt hat.
Anfang der 80er-Jahre hatte Edgar Reitz den Mut, den in Deutschland belasteten Begriff der "Heimat" zu entkrampfen. Aus einer Midlife-Crisis heraus begann er zunächst einen Roman über seine Herkunftsregion, den Hunsrück, zu schreiben. Es folgten 1981 zunächst ein zweistündiger Dokumentarfilm und schließlich ein fast 60-stündiger Filmzyklus "Heimat" über den Hunsrück und seine Menschen.
Reitz' "Heimat"-Trilogie fand ein großes Zuschauerecho, bekam viele Auszeichnungen und verhalf dem deutschen Autorenfilm auch international zu großem Ansehen. Die Frage nach dem Bleiben oder Gehen, nach der Sesshaftigkeit und dem nomadischen Wesen der Menschheit beschäftigt den 83-jährigen bis heute.
Als er ungefähr sechs Jahre alt war, bekam er von seinem Vater einen kleinen Filmprojektor geschenkt. "Das ist vielleicht einer der wichtigsten Impulse für meinen späteren Lebensweg gewesen." Aus herausgerissenen Filmresten des örtlichen Kinos klebte er sich kleine Geschichten zusammen, die er dann seinen Freunden vorführte.

"In gewisser Weise gibt es den Hunsrück nicht"

In seiner Heimat dem Hunsrück hat Reitz dann viel später das fiktive Dorf Schabbach angesiedelt, in dem er nach der ersten langen Heimatreihe noch weitere Filme spielen ließ, in anderen Zeiten und mit vollkommen anderer Handlung.
"Im Alter von 18 Jahren habe ich diese Region verlassen und inzwischen ist das für mich eine Fiktion. Ich habe das Dorf Schabbach erfunden – das gibt es nicht. Und in gewisser Weise gibt es auch den Hunsrück nicht. Das ist für mich eine erzählerische Romanlandschaft und wenn ich dahin gehe, gehe ich nicht in den Hunsrück, sondern in meinen Film, an die Drehorte, die ich auch weitgehend selbst geschaffen habe."
Die Darsteller wurden vor dem Dreh über Monate in die Region geschickt, um den Dialekt zu lernen, ihr jeweiliges Filmhandwerk zu perfektionieren, so dass am Ende alles so glaubwürdig wie möglich wirkt.

"Der Film findet im Kopf statt"

Der Titel Heimat wäre vom Auftraggeber, dem WDR, zunächst fast nicht akzeptiert worden. Erst nach internationalen Erfolgen unter diesem Titel, wurde er nicht mehr in Frage gestellt. Reitz stellt fest, dass das Wort Heimat trotz all der schrecklichen Bedeutungen, die es im Laufe der Jahre aufgeladen bekommen hat, selber unschuldig ist:
"Es kommt aus einer Erfahrung über Jahrhunderte. Und es ist auch interessant, dass die Aura dieses Begriffes so erzählerisch ist und so eine wunderbare Stimmung erzeugt."
In diese erzählerische Stimmung und die ganze Fiktion des Films müssen alle Beteiligten mit einbezogen werden, Schauspieler, Kameraleute, Beleuchter:
"Der Film findet nicht da statt, wo man meint. Er findet im Kopf statt"
Angst davor, dass das gemächlichere Tempo seiner Filme in der heutigen schnelllebigen Zeit die Menschen nicht mehr erreichen würde, hat Reitz nicht:
"Ich bin überzeugt davon, dass jeder Mensch eine Sehnsucht in sich hat, dass die Zeit ein Teil von einem selbst wird, dass man ihr nicht mehr hinterherrennt."

"Heimat ist eine Utopie"

"Film ist für mich eine Zeitkunst. Es ist mir wichtig, dass die Rhythmen und die Zeitwahrnehmung innerhalb des Films so nah an die körperliche, natürliche Wahrnehmung herankommen, dass alle diese Beschleunigungsgeschichten aufhören."
Sein persönlicher Begriff von Heimat ist eindeutig:
"Heimat ist etwas, dass man mit sich herumträgt. Heimat ist kein fester Ortsbesitz, Heimat ist eine Utopie."
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