Filme der Woche

Narzistischer Selbstdarsteller und unpolitisches Armenien-Drama

Schauspieler Udo Kier schaut sich im Museum Ludwig in Köln "Die Nase" des Künstlers Giacometti an (undatierte Aufnahme). Der Film "Arteholic" startet am 16.10.2014 in den Kinos.
Der Film "Arteholic" widmet sich dem Schauspieler Udo Kier. © dpa / Camino Filmverleih
Von Anke Leweke · 16.10.2014
Udo Kier ist ein Exzentriker und ein großer Kunstfreund. Mit "Arteholic" hat sich Hermann Vaske dem Schauspieler Kier genähert. Außerdem neu im Kino: "The Cut", der letzte Teil der "Liebe-Tod-und-Teufel"-Trilogie von Fatih Akin.
In Interviews erzählt Udo Kier gerne von seiner unorthodoxen Kunstsammlung, von abgefahrenen Pudelbildern, die er für zehn Dollar in einem Trödelladen entstanden hat. Von seinen mit "For you" unterschriebenen Andy Warhol-, Roy Lichtenstein- oder David Hockney-Bildern und Zeichnungen. Von seinem besonderen Verhältnis zur Kunst, die nicht nur zum Anschauen an den Wänden hängen würde, sondern mit der er lebe, weil er mit jedem Kunstwerk, eine besondere Geschichte verbinde würde.
Also, warum sich dem exzentrischen Schauspieler, der in über 200 Filmen mitspielte, der durch alle Genres wandert, der mit Fassbinder, Warhol, Schlingensief oder von Trier drehte, nicht über das Medium der Kunst nähern.
So besucht Hermann Vaske mit Kier alte Freunde, flaniert mit Marcel Odenbach oder Rosemarie Trockel durch deren aktuellen Ausstellungen, reist zu David Hockneys ehemaligem Studio in Paris. Bei diesen Zusammentreffen erfährt man kaum etwas über deren Kunst, auch kommentiert Udo Kier nicht deren Werke. Vielmehr geht es um das Sammeln von Anekdoten aus Udo Kiers Leben, die mal mehr und mal weniger erfolgreich sind. Teilweise werden die Begegnungen als Nummernrevuen inszeniert, oder münden in Slapstickeinlagen. Dieses Porträt gibt Udo Kier den Raum und die Zeit, sich als charmanten, ironischen und narzisstischen Selbstdarsteller zu präsentieren. Man spürt, dass Udo Kier ganz bei sich ist, ein Kölscher Junge, ein Weltenbürger, ein Exzentriker. Gleichzeitig ist er aber immer auch ein Anderer, er lässt und will sich nicht fassen lassen, er inszeniert seinen eigenen Mythos.

Arteholic
Regie: Hermann Vaske; Darsteller: Udo Kier, Lars von Trier, Rosemarie Trockel, Udo Kittelmann, Deutschland 2013/2014, 82 Minuten, FSK: 0

Wir lernen Nazaret als glücklichen Ehemann und Vater zweier Zwillingstöchter kennen. Er ist beliebt und freut sich des Lebens, seine Arbeit als Schmied wird in seiner Heimat, einem kleinen armenischen Dorf, sehr geschätzt. Doch wird sein Glück von den Türken gewaltsam vernichtet. Mit anderen armenischen Männern wird er in die Wüste verschleppt, zur Zwangsarbeit gezwungen. Er sorgt sich um Frau und Töchter. Seine eigene Exekution mit einem Stich in den Hals überlebt er, verliert jedoch seine Stimme dabei. Es lassen sich auch keine Worte für das Grauen finden, das diesem Mann begegnet: „The Cut" spielt vor dem Hintergrund des in den Jahren 1915 und 1916 begangenen türkischen Völkermord an den Armeniern. Lässt sich dieser Massenmord bebildern? Wie zeigt man ein Todescamp in der Wüste, in dem Frauen, Kinder und alte Menschen elendig verdursten? Und wie den Schmerz der Überlebenden? Kann man das eigentlich Unfassbare fassbar machen, das Unerzählbare erzählen? Und wenn, mit welchen visuellen Strategien?
Acht Jahre lang hat der deutsche Regisseur Fatih Akin an "The Cut", seinem Filmprojekt über den Genozid an den Armeniern, gearbeitet. Er inszeniert den Schrecken in naturalistischer Manier – mit dem Effekt einer Banalisierung. Perfekt zerrissen wirkt die Kleidung der armenischen Männer während ihres Arbeitsdienstes in der Wüste unter der gleißenden Sonne. Die Steine, die sie schleppen müssen, scheinen Attrappen. Sorgfältig verteilt wirkt der Dreck auf den Gesichtern ihrer Frauen und Kinder, die unter zerfetzten Zeltplanen in der prallen Sonne ihrem Tod entgegen wimmern. Dann wieder schwingt sich die Kamera zu auftrumpfender Musik in die Höhe und will aus dem Mann, der unter den Sterbenden seine Frau und seine Zwillingstöchter sucht, einen Helden "bigger than life" machen. Doch in diesem Moment verliert der Film die Verzweiflung der Figur völlig aus den Augen, entgleitet einer Kinoformel ihr Inhalt.
Eine Bewegung, die der Film immer wieder vollziehen wird. Fatih Akin - so sagt er - habe einen Western, ein Melodram, einen Kriegsfilm drehen wollen. Er nennt als Vorbilder Clint Eastwood, Martin Scorsese oder Sergio Leone, Regisseure also, die sich des Genre-Kinos immer wieder bedient haben, um einen Blick auf amerikanische Verhältnisse und Utopien zu werfen. Doch "The Cut" bleibt letztlich ein völlig unpolitischer Film, der keine Bilder für den Genozid und das damit verbundene Grauen findet, der keine Vision im Umgang mit den Versatzstücken des Genres entwickelt.
So fragt man sich, warum die Armenier Englisch reden, die Türken Türkisch und die Kubaner Kubanisch. Um so seltsamer, wenn Nazaret nach einer gefährlichen Odyssee endlich in den Staaten angekommen ist, kein Wort mehr versteht.

The Cut
Regie: Fatih Akin; Darsteller:Tahar Rahim, Simon Abkarian, Makram J. Khoury, Hindi Zahra, Kevork Malikyan, Bartu Küçükçağlayan, Trine Dyrholm, Moritz Bleibtreu, Arsinée Khanjian;
Deutschland 2014, 138 Minuten; FSK: 12

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