Fiktive Wahlkampfreden von Literaten

Christian Lindners One-Man-Show

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hält am 17.09.2017 in Berlin, während des Bundesparteitages der FDP vor der Bundestagswahl, seine Rede.
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner © dpa / Ralf Hirschberger
Eine Glosse von Tanja Dückers · 19.09.2017
Bei dieser ungeschönten Wahlkampfrede des FDP-Parteivorsitzenden Christian Lindner steht ein Thema an erster und einziger Stelle: Christian Lindner. Geschrieben hat die Rede die Autorin Tanja Dückers – für unsere Serie "Fiktive Wahlkampfreden von Literaten".
Sehr geehrte Damen und Herren,
bevor wir über meine Ziele für die Bundestagswahl 2017 sprechen – Sie haben richtig gehört: meine Ziele, nicht unbedingt die meiner Partei – vorab eine Frage: Finden Sie nicht, dass ich mit Abstand der bestaussehendste Parteivorsitzende bin, den die FDP jemals besessen hat? Sie wissen, die Meinung von Wählern rekurriert nur zu 15 Prozent auf den Inhalt der Worte eines Politikers, die übrigen 85 Prozent gehen auf das Konto von souveränem Auftreten und gutem Aussehen. Und da stehe ich nun mal ganz oben. Deshalb ist der zweite Teil meiner Rede gar nicht so wichtig.

"Le programme c'est moi"

Im Grunde können Sie einfach alte Wahlreden von Möllemann, Westerwelle und Rösler lesen. Denn eines habe ich mit dem amtierenden US-Präsidenten Donald Trump gemeinsam: The ego is the message. Ich kann's noch internationaler: Le programme c'est moi.
Ach so, gleich mal vorab: Ich mag Superlative. Thinking big ist meine Losung. Man muss das Weltbeste für alle fordern, um das Beste für sich selbst zu erreichen.
Um mal eines meiner umwälzendsten Ziele zu benennen: Ich will die Grünen schwächen. Ich bin weniger "für" etwas als "gegen" vieles. Das ist einfacher und schweißt die Anhänger eher zusammen. Ich hoffe inständig, die Grünen leisten sich jetzt noch so ein Ding wie die brotkastengesichtige Künast mit dem fleischfreien Tag damals. Das hat die viele Stimmen gekostet.

"Klima-Lüge – Sounds like Trump? Is actually Lindner"

Die Grünen sind einfach nicht mehr hip. Wer hat da so einen smarten Dreitagebart wie ich? Ach, jetzt noch schnell mal etwas Inhaltliches, bevor ich’s vergesse -. Also: Der Klimawandel ist erfunden worden, um unsere Wirtschaft zu schwächen. Sounds like Trump? Is actually Lindner! Klimawandel – alles linksgrüner Öko-Hokus-Pokus. In meiner Kindheit – und Sie wissen ja wie verdammt jung ich bin, so lange ist das nicht her – gab es eine Theorie, nach der die Erde sich gerade wieder in einer Abkühlungsphase befinden würde.
Mit mir wird es jedenfalls keine Öko-Diktatur geben! Statt Ökoverbotsterror von hässlichen Miese-Laune-Mitbürgern setzen wir fröhlichst auf alle Digitalisierungsfreiten! Erst Denken, dann Bedenken! Wir sind jung, jünger am Jüngsten, digital, digitaler, am digitalsten und gucken straight nach vorn, mit 3-D-Brille natürlich. Und um den Grünen noch ein paar von ihren Alt-Hippies abzugraben: Pot free for everybody!

"Heute flexibel, morgen am flexibelsten"

Ach, noch etwas, was mich nervt: das linke Dauergerede von der angeblich mangelnden sozialen Gerechtigkeit. Schauen Sie zu unseren Nachbarländern – Dänemark meine ich jetzt nicht damit – oder nach Übersee, dann sehen Sie, dass der umfänglichste Wohlfahrtsstaat bei uns etabliert ist – die BRD ist doch in Wirklichkeit längst eine Planwirtschaft!
Wer jung und schön ist, findet bei uns immer einen bestmöglichsten Job! Dafür wollen wir weitreichendste Anreize setzen – Anreize, keine Verbote, keine Bevormundung, keinen oberlehrerhaften Staat, der smarte Start-Upper nur ausbremst: Steuersenkungen her, Kündigungsschutz weg, heute flexibel, morgen am flexibelsten. Ich hab' gleich wieder einen Termin bei meinem Visagisten und keine Zeit, kleinkariert mit Zahlen und Fakten zu kommen.

Werde Winner, einfach so

Die Message ist klar: Wer sich selbst am eigenen Schopf nach oben zieht, sieht nicht so aus wie diese joggingbehosten Aldi-Einkäufer, sondern legt Wert auf sein Äußeres und wird eben einfach zum Winner. So wie ich.
Schauen wir genau hin und schauen wir voraus! Schauen Sie mich an – so sieht Zukunft aus! Wählen Sie am 24. September: Christian Lindner!

Tanja Dückers, geboren 1968 in Berlin (West), Schriftstellerin, Publizistin, Literaturwissenschaftlerin. Zu ihren Werken zählen u. A. die Romane "Himmelskörper", "Der Längste Tag des Jahres", "Spielzone" und "Hausers Zimmer", der Essayband "Morgen nach Utopia" sowie mehrere Lyrikbände und Kinderbücher. Zuletzt erschien der autobiografisch gefärbte Rückblick "Mein altes West-Berlin". Tanja Dückers schreibt regelmäßig über gesellschaftspolitische Themen für die ZEIT Online und das Deutschlandradio. Leitung von Schreibwerkstätten im In- und Ausland, u. A. in Belarus, Indien, Kenia und den USA. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

© Anton Landgraf
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