Fiebrig vibrierende Prosa

Von Agnes Bührig · 05.03.2007
Im Mittelpunkt ihres neuesten Werkes "Die Traumfakultät" steht die Feministin Valerie Solanas, die einst auf Andy Warhol schoss. Das Buch wird in diesem Jahr mit dem Nordischen Literaturpreis ausgezeichnet. Er sorgt dafür, dass es überall in Skandinavien in die Buchhandlungen kommt. Außerdem beschert er der 33-jährigen Sara Stridsberg einen Medienrummel.
New York, 3. Juni 1968. Die Amerikanerin Valerie Solanas dringt in die Räume von Andy Warhols Atelier ein und richtet einen Revolver auf den Künstler. Mit drei Schüssen streckt sie ihn nieder. Eine Bluttat, mit der die Intellektuelle ein Zeichen gegen die männliche Vorherrschaft auf der Welt setzen will, die Welt retten, indem sie dafür sorgt, dass sie von Männern befreit wird, so wie sie es in ihrem SCUM-Manifest bereits angekündigt hat. SCUM, das ist die Abkürzung für "Society for Cutting up Men", auf Deutsch etwa "Gesellschaft zur Vernichtung der Männer".

Für die schwedische Autorin Sara Stridsberg ist das Leben der Radikalfeministin der Ausgangspunkt für ihren Roman "Die Traumfakultät":

"Es ist ein Roman, der auf der einen Seite eine Phantasie über eine historische Person ist, eine amerikanische feministische Vordenkerin. Gleichzeitig ist es eine Geschichte darüber, wie man eine Geschichte erzählt. Wie nahe man einem Menschen durch eine Erzählung kommen kann. Ob das möglich ist und angemessen ausfällt. Und diese Frage beantworte ich, indem ich mich in die unterschiedlichen Charaktere des Romans persönlich hineinversetze, ich spiegle mich in Valeries Mutter oder in ihren Liebhaberinnen. Mit ihnen habe ich genauso viel zu tun wie mit der Erzählerin."

Es gehe ihr nicht um Feminismus, auch schreibe sie nicht politisch korrekt, sagt die 33-jährige Sara Stridsberg, die im Abstand von weniger als zwei Jahren ihre ersten beiden Romane vorgelegt hat. Vielmehr trieben sie Gefühle wie Verwirrung und Todesangst an und das Fehlen von Antworten.

Offensichtlich auch starke Frauen. Gerade hat sie Sarah Kanes Theaterstück "Zerbombt" für die schwedische Nationalbühne "Dramaten" übersetzt. Auch das Leben von Valerie Solanas hat sie zunächst als Theaterstück geschrieben, bevor es Inhalt eines Romans wurde. In ihrem Erstlingswerk "Happy Sally" ging es um das Leben von Sally Bauer, die als erste Frau aus Skandinavien durch den Ärmelkanal schwamm. Themen, die bei der Kritik auf Interesse stoßen. Für Kerstin M Lundberg, Rezensentin des schwedischen Rundfunks, etwa war die Lektüre der "Traumfakultät" ein Wechselbad der Gefühle:

"'Drömfakulteten' war eine so heftige Erfahrung, als ich es gelesen habe. Ich war mehrere Tage aufgewühlt, denn es gibt eine mächtige Kraft in diesem Buch. Es ist intensiv, vorlaut und gleichzeitig so voller Liebe und poetisch. Das ist ein Reichtum, eine Art Rundum-Kunstwerk, auch, was die Form angeht. Da gibt es Dialoge, poetische Schilderungen, aber auch mehr dokumentarische Passagen."

Für die Jury des Nordischen Literaturpreises ist es der Mix aus "dokumentarischem Material und freier Fiktion, die zu einer fiebrig vibrierenden Prosa" führen. Der Roman sei von "enormer Energie und Lust an Sprache" getragen und eine "höchst wirkungsvolle Abrechnung mit den Unterdrückungsmechanismen der Gesellschaft", heißt es in der Begründung der Juroren.

Zehn Vertreter aus Island, Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland wählen seit 1962 jedes Jahr einen Preisträger aus, um in Skandinavien das Interesse an der Literatur aus den nordischen Nachbarländern zu wecken. Dass es diesmal nicht um die Lebenswelt der Skandinavier selbst geht, macht Sarah Stridbergs Roman nicht weniger spannend, meint Literaturkritikerin Maria Edström:

"Das ist auch ein Buch über Amerika, über Amerika und die Geschlechterfrage, über Fragen der Sexualität und darum, Amerikas erste intellektuelle Hure zu sein. Das war ja eine Frau, die sich unheimlich quergelegt hat. Und auch, wenn die Wirklichkeit anders als im Buch war, so gibt es ein Bild der Zeit und des damaligen Klimas."

Anders als die Hauptfigur ihres Werkes, Valerie Solanas, muss sich Sara Stridsberg heute nicht querlegen, um sich für ihre Ziele zu engagieren. Und so ließ sie trotz des großen Medienrummels um ihre Person heute ihren nachgeburtlichen Kontrolltermin bei der Hebamme nicht platzen. Und mit dem Preisgeld will sie weitere Romane schreiben – und ihrem Sohn Eyvind was Schönes kaufen. Den Preis erhält sie nach der nächsten Klausurtagung des Nordischen Rates, Ende Oktober in Oslo.