Festival Theaterformen in Braunschweig

Von den Dramen des Kolonalismus

Szene aus dem Stück "Antoine m'a vendu son destin. Sony chez les chiens" von Dieudonné Niangouna. Eine schwarze Frau mit einem Hundegebiss vor dem Mund reckt die Hände in die Höhe. Um ihren Bauch ist ein Seil geschlungen, das der Mann in den Händen hält.
Diariétou Keita (r) und Dieudonné Niangouna (l) in dem Stück "Antoine m'a vendu son destin. Sony chez les chiens" von Dieudonné Niangouna © Christophe Ranynaud de Lage
Von Michael Laages · 16.06.2018
Das Braunschweiger Festival "Theaterformen" widmet sich in diesem Jahr schwerpunktmäßig dem Thema Kolonialismus und dessen Folgen. Es geht um die Wahrnehmung schwarzer Körper und Unabhängigkeitskämpfer, die den ehemaligen Kolonisatoren treu waren.
Opa hat den Großen Geist gesehen, in einer von Australiens Wüsten. Schwarzes Manna regnete da vom Himmel aus der großen Wolke, die Opa Nyarri sah. Und die Känguruhs fielen tot um. Opas Stamm nahm die Tiere als Geschenk Gottes; lange aßen die Menschen vergiftetes Fleisch. Denn Nyarri Morgan war Zeuge eines britischen Atomtests geworden. Auch so kann das Drama des Kolonialismus aussehen. Die Filmemacherin Lynette Wallworth zeigt die Geschichte in 17 Minuten Film. Enkel Curtis besucht darin Opa Nyarri und lässt ihn erzählen. Von "Theater" aber, welcher "Theaterform" auch immer, keine Spur – mit 3D-Brillen vor den Augen und Kopfhörern auf den Ohren erlebt jeder und jede für sich diese starke, kleine Geschichte. Derlei Desinteresse am Theater selber wurde schon öfter zum Problem bei diesem exquisit-kleinen und oft sehr anstrengenden Festival.
Der Australier Nyarri Morgan sitzt im Gras.
Nyarri Morgan in dem Film "Collisions" von Lynette Wallworth© Piers Mussared

"Der schwarze Körper wird dämonisiert, mystifiziert"

Von der "mulher mozambican", der mozambikanischen Frau, singt der Chor. Die kämpft sich gerade tanzend aus dem Gefängnis der Geschichte heraus, einen der großen Stoffballen auf dem Kopf balancierend, bricht sie auf aus vergitterter Welt. Die Tänzerin und Choreographin Janet Mulapha aus Maputo hat starke Bilder entworfen zu Beginn eines Pakets mit drei kleinen Stücken, die für Braunschweig koproduziert wurde mit den Festivals in der mosambikanischen Hauptstadt und Grahamstown in Südafrika. Elisa Liepsch vom Frankfurter Mousonturm hat dieses internationale Projekt betreut. Mit welcher Last auf Herz und Hirn treten die Erben der Kolonisierten heute in die globalisierte Welt?
Elisa Liepsch: "Es ist eigentlich immer alles schon prädeterminiert, also vorherbestimmt, wie der schwarze Körper aufgenommen wird: Der wird dämonisiert, mystifiziert – er ist eigentlich immer schon zum Tode verurteilt, ja? Was passiert eigentlich, wenn ein schwarzer Mensch einen Raum betritt, und warum ist das immer mit bestimmten Unmöglichkeiten verbunden? Wie kann ich als schwarzer Mensch, wohl wissend, dass es diese Klischees gibt, und diese Labels auch, wie kann ich darin bestehen und bei mir selbst bleiben?"

Waren Propheten afrikanischer Befreiung Schüler der europäischen Aufklärung?

In Erinnerung an Lieder, die seine Mutter für ihn sang, erzählt Ogutu Muraya aus Kenia heute Geschichten zu Filmschnipseln und Video-Installationen. Muraya war auch mal Koch und hat (angeblich) Königin Elizabeth ins Essen gespuckt. Generell hat er sich der Geschichte des eigenen Landes und des eigenen Volkes verschrieben. Die in Film-Dokumenten festgehaltene Geschichte des ersten Kongresses schwarz-afrikanischer Schriftsteller und Intellektueller in Paris benutzt er als Folie für die eigenen Fabeln, in denen auch Kenias erster Präsident Jomo Kenyatta zu Wort kommt.
Der Präsident der Unabhängigkeit ist ein treuer Schüler der Kolonisatoren gewesen und der Streit mit dem konkurrierenden Odinga-Clan, wie Kenyatta ihn schon vor mehr als einem halben Jahrhundert beschwörte, zerreißt das Land bis heute. Muraya formuliert eine streitbare These: Auch Propheten afrikanischer Befreiung, wie etwa Aimé Cesaire, waren gelehrige Schüler der europäischen Aufklärung – also auch nur das jüngere Echo des alten Kolonialismus.
Der Künstler Ogutu Muraya bei einer Performance auf der Bühne im Rahmen des Festivals "Theaterformen".
Der Künstler Ogutu Muraya in seinem Stück "Fractured Memories" auf dem Braunschweiger Festival "Theaterformen"© Thomas Lenden / Ogutu Muraya
Diese Debatte bleibt voller Fallstricke, erst recht für uns, die Erbinnen und Erben der Täter. Das Braunschweiger Festival lässt sich intensiv ein auf die unterschiedlichen Theater-Spielformen, wie sie aus den Ländern eines Kontinents kommen, wo Theater und Kultur generell nicht gar so wichtig sind. Die Menschen haben andere Sorgen. Auch die Szene produzierender Künstlerinnen und Künstler bleibt fragil. Ein Regisseur wie Dieudonné Niangouna ist eher die Ausnahme. Er hat in diesem Jahr am "Berliner Ensemble" gearbeitet und brachte nach Braunschweig die wortgewaltige Farce über den schrägen Afro-Potentaten Antoine mit, der sich auf verrückte Weise aus der Verantwortung stiehlt, aber auch ein kleines, stimmungsvolles Familien-Drama ist möglich, jenseits der postkolonialistischen Debatte: "Jungfrau" heißt das Stück aus Südafrika, Jade Bowers die Regisseurin. Wir werden sie wiedersehen, ganz bestimmt, irgendwo in Europa. In Braunschweig hat sie gezeigt, wie viel sie kann.
(mia)
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