Festival "Gemischter Satz" am Wiener Konzerthaus

Mit Klassik, Techno und Literatur

Wiener Konzerthaus
Frischluft für die Musikbranche: "Gemischter Satz" am Wiener Konzerthaus © Rupert Steiner
Von Holger Hettinger · 07.05.2018
Das Wiener Konzerthaus wagt ein Experiment und bringt Techno-Heroen, ein Klavierquartett und Schauspieler mit Brecht-Texten auf die Bühne. Was sich nach Event-Spektakel anhört, entpuppt sich als ein Festival, das über das Gewöhnliche hinausgeht.
Ein "Gemischter Satz" ist eine Spezialität des Weinanbaugebiets um Wien: unterschiedliche Rebsorten, die in einer Lage wachsen, finden in der Flasche zusammen zu einem harmonischen Ganzen. In Deutschland nennt man solch Produkt "Verschnitt", das klingt ziemlich plump und vulgär, in Frankreich sagt man "Cuvée" dazu – das klingt gleich schon vornehmer. Der "Gemischte Satz" ist kein Weinchen zum mal eben so wegschlabbern: die unterschiedlichen Rebsorten schaffen ein hochkomplexes Geschmacksbild, bespiegeln sich gegenseitig, erzeugen verschiedene Facetten und eine enorme Erlebnistiefe. Im übertragenen Sinn trifft das genauso auf das Festival "Gemischter Satz" am Wiener Konzerthaus zu: Hier gehen Musik, Literatur, Kunst und Wein eine erstaunliche Verbindung ein – "Melange", würde man gerne sagen, wäre dieser Begriff in Wien nicht schon für eine Kaffeespezialität reserviert.
Hier im prunkvollen Großen Saal des Wiener Konzerthauses haben sich drei ganz unterschiedliche Gewächse auf der Bühne zusammengefunden: die drei Techno-Heroen von Brandt Brauer Frick, das hochdekorierte Fauré-Klavierquartett mit einer eigenen Bearbeitung von Mussorgskys "Bildern einer Ausstellung", und die Schauspielerin Dörte Lyssewski, die Texte von Brecht, Benjamin von Stuckradt-Barre und Yuval Noah Harari hinzumischte.

Die Protagonisten haben hörbar Spaß

Schon in der Probe zeigte sich: Das geht auf, das ist keine Addition dreier divergenter Elemente, sondern eine lebhafte, interessierte künstlerische Konversation, ein waches Aufeinander-Bezugnehmen, mit stellenweise frappierenden Resultaten – ein "Gemischter Satz" eben, an dem die Protagonisten hörbar Spaß hatten.
Nun kann man sich fragen: Ist dieser "Gemischte Satz" des Wiener Konzerthauses ein Phänomen, das so in dieser Form nur in einer kunstbegeisterten Stadt wie Wien funktionieren kann? Eindeutig ja, ist der Befund von Konstantin Heidrich, dem Cellisten des Fauré-Quartetts:
"Und was ich sozusagen wirklich beeindruckend finde auf der anderen Seite ist diese Offenheit gegenüber neuen Sachen wie auch diesem Format ‚Gemischter Satz‘: Die Leute sind total enthusiasmiert, haben, wie wir immer sagen, ‚Spock-Ohren‘, also spitze Ohren, sind wirklich neugierig dabei, und diese Verbindung aus Tradition und Offenheit für Neues, wie soll man sagen, diese typische Weiner Leichtigkeit, wo einerseits alles ganz schlimm und andererseits auch ganz wunderbar ist, das ist einfach eine ganz inspirierende Atmosphäre für uns."
Natürlich ist ein derartiges Zusammenmischen der Stile und Klangbilder immer ein Wagnis – gerade eingespielte Formationen wie ein feststehendes Kammermusik-Ensemble oder ein Techno-Kollektiv wie Brandt Brauer Frick sind sehr damit beschäftigt, ihre Binnenorganisation aufrechtzuerhalten, aufeinander zu hören und aufeinander zu reagieren. Doch genau darin, dass die Sinne geschärft werden, indem man sich mit einem ganz anderen Genre beschäftigen muss, liegt für die Formation Brandt Brauer Frick der besondere Reiz:
"Ich denke, wir sind’s auch irgendwie gewohnt, zu spekulieren, und auch mal zu kucken, was passiert, wenn man dieses oder jenes an diesen Ort bringt, und das klang einfach sehr gut von der Mischung. Wir haben jetzt vorhin, als wir mal alle zusammen gehört haben, den Eindruck, das könnte jetzt richtig gut werden, auch gerade mit den verteilten Ensembles, dann kommt plötzlich noch ein Chor von ganz oben gegenüber und von links kommt irgendwas, was so ein bisschen wie ‚Volksmusik meets Punk‘ klingt. Wir haben im Prinzip einfach vertraut. Wir wussten vorher nur, es könnte interessant sein, und wir… - ja!"

Ein Fest für Synästheten!

So konnte man denn an den drei Festival-Abenden des "Gemischten Satzes" im Wiener Konzerthaus durch die Säle schlendern und die ausgesprochen aparten Mischungen auf sich wirken lassen – beflügelt übrigens vom anderen "gemischten Satz", vom Wein, den man während der Pausen verkosten konnte, und der zu Gesprächen animierte, ob denn nun der Wein vom Wieninger oder der vom Fuhrgassl-Huber besser zu den pulsierenden Klängen von Brandt Brauer Frick passt. Ein Fest für Synästheten!
Bleibt die Frage, ob solche Veranstaltungsformate, die den Rahmen des Gewöhnlichen sprengen, ein denkbarer Weg sein könnte, der Musikbranche etwas Frischluft zuzuführen, ohne gleich spektakelige Events zu inszenieren? Dirk Mommertz, Pianist des Fauré-Quartetts, hat darauf eine eindeutige Antwort:
"Heutzutage denkt man natürlich immer, wenn man neues Publikum erreichen will, dann muss man Events machen – also, dieser ganz Event-Gedanke, der ist ja fast schon inflationär. Und das ist das Besondere an diesem Festival, so wie wir das hier empfinden. Es geht nämlich nicht darum, Hauptsache etwas anderes zu machen, sondern wir sind auf der Bühne jetzt seit zwei Tagen und denken in diesem Moment: Die haben sich hier so einen Traum erfüllt mit diesem Festival! Und das funktioniert, und es ist gar nicht auf Effekt, es geht gar nicht darum, Hauptsache wir machen etwas anderes, sondern die laden sich einfach Künstler ein, die sie gerne haben, und erweitern ihr Spektrum mit allem, was sie auf die Bühne bringen können, und am Ende sitzt man da, und auch dieses Publikum ist phänomenal hier, die einen Abend erleben, der einfach nur berührt."
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