Festival Baltikum

Mirga feiert ihr Land

Die Dirigentin Mirga Gražinyté-Tyla
Die Dirigentin Mirga Gražinyté-Tyla © Philipp Zinniker/Landestheater Salzburg
16.03.2018
Mirga Gražinytė-Tyla stand ganz im Zentrum des Konzerts beim Baltikum-Festival im Berliner Konzerthaus anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der staatlichen Unabhängigkeit Litauens. Sie leitete das Nationale Sinfonieorchester ihres Heimatlandes in einem Musikprogramm, das sehr europäisch gedacht war.
Wer weiß schon außerhalb des Baltikums, dass Igor Strawinskys berühmte Ballettmusik "Le Sacre du Printemps" mit einem litauischen Volkslied beginnt. Deshalb ist es kein Wunder, dass das Litauische Nationalorchester seine kleine Jubiläumstournee (die es außer nach Berlin in die Warschauer Philharmonie führte) mit der Aufführung dieses immer noch herausfordernden Stückes beschlossen hat. Eine der großen Nachwuchshoffnungen der europäischen Musikszene - Mirga Gražinytė-Tyla - leitete dieses besondere Konzert beim Festival Baltikum im Konzerthaus Berlin. Was für eine Persönlichkeit! Die frisch gebackene Chefdirigentin des City of Birmingham Symphony Orchestra (und damit Nachfolgerin von Simon Rattle, Sakari Oramo und Andris Nelsons) zeigte eine Präsenz, die ergreifend und bewundernswert zugleich war.
Der Abend begann mit den fünf lyrischen Liedern nach Vincas Mykolaitis-Putinas, die Osvaldas Balakauskas, einer der wichtigsten litauischen Gegenwartskomponisten bereits 1980 für Chor und Kammerensemble geschrieben hat. Gesungen wurden sie in Berlin vom hervorragenden Städtischen Chor "Camerata Silesia" aus dem polnischen Kattowitz. Ganz bewusst war das als Verweis auf den einstmals glanzvollen polnisch-litauischen Großstaat gedacht, der halb Europa beherrschte.
Ganz unterhaltsam gedacht war dagegen das Doppelkonzert des georgischen Komponisten Vakhtang Kakhidze. Der slowakische Bratscher Milan Radic und die Dirigentinnen-Schwester Onutė Gražinytė hatten sichtlich Spaß bei diesem von jazzigen Grooves, aber auch von romantischen Gesangslinien geprägten Virtuosenstück. Kakhidze hat es vor zwanzig Jahren für Yuri Bashmet und sich selbst geschrieben und jetzt auch die litauische Aufführung in Warschau und Berlin mit kritischer Motivation begleitet.
Gidon Kremer hat das Streicherstück "De profundis" der litauischen Komponistin Raminta Šerkšnytė einmal als wahrhafte "Visitenkarte baltischer Musik" bezeichnet. Nicht nur er führt es regelmäßig mit seiner Kremerata Baltica auf. Auch Mirga Gražinytė-Tyla schätzt es sehr und hat es deshalb in dieses Programm aufgenommen. Der Titel "De profundis" verweist auf religiöse, tiefernste Wurzeln dieser Musik - doch hie und da blitzt in diesem typisch osteuropäischen Werk auch optimistische Lebensfreude auf - kein Wunder, ist es doch das Examensstück der Komponistin gewesen, als sie vor 20 Jahren ihr Kompositionsstudium bei Osvaldas Balakauskas in Vilnius abgeschlossen hat.
Konzerthaus Berlin
Aufzeichnung vom 2. März 2018
Osvaldas Balakauskas
Fünf Lieder nach Vincas Mykolaitis-Putinas für Chor und Kammerensemble
Vakhtang Kakhidze
"Bruderschaft" für Klavier, Viola und Streichorchester
Raminta Šerkšnytė
"De profundis" für Streicher
Igor Strawinsky
"Le sacre du printemps", Bilder aus dem heidnischen Russland

Milan Radic, Viola
Onutė Gražinytė, Klavier
Städtischer Chor Katowice "Camerata Silesia"
Litauisches Nationales Sinfonieorchester
Leitung: Mirga Gražinytė-Tyla