Fernsehen

Adorno per Huckepack

Logo des TV-Krimis "Tatort"
Das Logo des TV-Krimis "Tatort" © dpa / picture alliance / Sven Hoppe
Von Matthias Dell · 08.04.2014
"Schlauer werden mit der beliebtesten Fernsehserie" - das verspricht ein Band, der das Geschehen am letzten TV-Lagerfeuer der Deutschen mit der philosophischen Brille betrachtet.
Der "Tatort" hält viel aus. Vermutlich sogar, dass man ihm Lebenswerk-Preise (Bambi, Grimme) verleiht, als wäre er ein alternder Hollywoodstar. Was da gelobt wird, bleibt offen, denn herausragende Filme unterlaufen der Krimireihe genauso selten wie dem normalen Fernsehprogramm. Populär ist der "Tatort" eher, weil er dem fragmentierten Publikum einen letzten Pflichttermin durch Tradition aufgibt: Sonntagabend, 20.15 Uhr.
Wenn alle das Gleiche tun, können sie sich darüber austauschen. Der Erfolg des "Tatort" besteht folglich darin, dass man über ihn reden kann. Der Ausrichtung dieser Gespräche sind kaum Grenzen gesetzt sind, wie der Sammelband "Der Tatort und die Philosophie" zeigt. Herausgegeben hat ihn der umtriebige Publizist Wolfram Eilenberger, der mittels Zeitschrift ("Philosophie-Magazin") und Festival (phil.cologne) am jüngeren Boom jener Geisteswissenschaft wirkt, die im Elfenbeinturm von Akademia das oberste Stockwerk bewohnt.
Der populäre Tatort soll also der Popularisierung der Philosophie dienen, und in diesem Sinne kann man sich vorstellen, dass die prototypischen Adressaten von Eilenbergers Bemühungen es als Gewinn verbuchen werden, über den Umweg der Krimi-Reihe einmal Adornos Kulturindustrie-Aufsatz referiert zu bekommen. Für einen präziseren Begriff vom "Tatort" ist diese Huckepack-Nummer weniger geeignet: In den Großraumthesen der Philosophiegeschichte (neben Adorno etwa Nietzsches Apollinisch-Dionysisch-Dichotomie, Edith Steins Einfühlungstheorie oder McLuhans Medienbegriff) wirkt der "Tatort" etwas verloren. Natürlich ist er ein Kulturindustrieprodukt, aber das unterscheidet ihn noch nicht von "DSDS", "Spiderman 2" oder Beyoncés letztem Hit.
Nicht so geistreich wie "Die Simpsons"
Ein anderes Problem bei der Begriffsverschärfung verursacht der stumpfe Gegenstand selbst. "Leider orientiert sich der deutsche Tatort wie große Teile der deutschen Philosophie nach wie vor an einer überwiegend idealistischen Geisteshaltung. Die Personen entsprechen weniger lebendigen Personen und der Wirklichkeit als vielmehr Ideen, Meinungen und Gedanken über sie", merkt 3sat-Moderator Gert Scobel fast etwas vorwurfsvoll in seinem Text über den US-amerikanischen Denker William James an.
Das Buch hat sich seinen Untertitel ("Schlauer werden mit der beliebtesten Fernsehserie") zwar von der deutschen Ausgabe eines Buchs über "Die Simpsons und die Philosophie" abgeschaut ("Schlauer werden mit der berühmtesten Fernsehfamilie der Welt"), kommt aber schon deshalb schwerer aufs Niveau dieser populärphilosophischen Plauderei, weil der "Tatort" bei weitem nicht so geistreich ist wie "Die Simpsons".
Was stattdessen den "Tatort" auszeichnet, scheint Eilenberger selbst nicht ganz klar zu sein, wie die irreführende Genrebezeichnung auf dem Cover zeigt: Der "Tatort" ist nämlich keine Serie, sondern eine Reihe. Und auch wenn dieser Hinweis pedantisch wirken mag – von wem wollte man sich begriffliche Strenge erhoffen, wenn nicht von einem Buch, das die Wissenschaft im Namen führt?
Interessant werden die Texte, wenn sie Konkretion wollen. Wenn Fritz Breitenhaupt sich über die Ausredelosigkeit einer jüngeren Generation von Tätern wundert und Cord Riechelmann mit Deleuze das Verschwinden des Mannes von Zollfahnder Kressin bis zu Frankfurts Frank Steier beschreibt. Oder Ekkehard Knörer nicht den "Tatort" durch die Philosophie schaut, sondern umgekehrt sich den Philosophen sucht, der zum Sonntagabendkrimi in seiner schwierigen Totalität am besten passt: "In Tatort-Kommissaren gesprochen ist Odo Marquard wohl am meisten mit dem zwischen 1988 und 2005 im Saarland tätigen, von Jochen Senf gespielten Max Palu seelenverwandt."

Wolfram Eilenberger (Hrsg.): Der Tatort und die Philosophie - Schlauer werden mit der beliebtesten Fernsehserie
Tropen Verlag, Stuttgart 2014
220 Seiten, 17,95 Euro

Unser Rezensent Matthias Dell veröffentlichte 2012 bei Bertz+Fischer: "'Herrlich inkorrekt'. Die Thiel-Boerne-Tatorte".
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