Femme fatale wider Willen

Von Uwe Friedrich · 11.12.2011
Vor knapp hundert Jahren wurde Franz Schrekers erstes großes Bühnenwerk – die Oper "Der ferne Klang" - uraufgeführt - so erfolgreich, dass Schreker bald zu einem der meistgespielten Komponisten in Deutschland avancierte. Jetzt hat die Oper in Bonn das Stück wieder auf den Spielplan geholt.
Fernchor, Fernorchester, Zigeunerkapelle, Chor und Orchester auf der Bühne und selbstverständlich ein Symphonieorchester im Graben – ähnliche Anforderungen wie Franz Schreker in seiner 1912 uraufgeführten Oper "Der ferne Klang" wird dann erst wieder Bernd Alois Zimmermann in seinen "Soldaten" an den Apparat eines Opernhauses stellen.

Intendant Klaus Weise fordert als Regisseur des Stücks auch den technischen Apparat der Bonner Oper bis in den Zuschauerraum hinein. Im zweiten Akt senden sich die Brücken der Saalbeleuchtung, von oben kommt der Tenor eingeschwebt, um sein Lied von "Mädchen von Sorrent" zu singen, während der Chor von der Bühne ins Parkett quillt und ein weiterer Chor im Foyer singt. Eine mittlere Bühne setzt auf das Totaltheater zur Überwältigung des Publikums.

Vorher waren bereits die verführerischen Mädchen eines venezianischen Nobelbordells auf Schaukeln hereingeschwebt, ein Orchester in weißen Anzügen aus der Versenkung aufgetaucht und Greta, Star des Nobelbordells, einer riesigen Glitzermuschel entstiegen.

Sie ist die Femme fatale wider Willen, Opfer ihres ersten Liebhabers Fritz, der sie verlässt, um nach dem mystischen "fernen Klang" zu suchen, den er doch nur bei ihr finden kann. Franz Schreker erzählt diese Geschichte als Mischung aus psychologischer Hysteriestudie, Dekadenzschmonzette und hochgradig sexualisierter Märchenoper. Sämtliche dieser Ebenen zeigt Klaus Weise in seiner Inszenierung, die Bühnenbildner Martin Kukulies und Kostümbildnerin Dorothea Wimmer irgendwann zwischen einer unbestimmten Märchenzeit und den fünfziger Jahren spielen lassen.

Gerade weil sich allen Problemen der symbolbefrachteten Handlung stellen und nicht versuchen, sich das Werk zurechtzubiegen, gelingt eine musterhafte Produktion, für die allen Schreker-Fans die Reise nach Bonn ausdrücklich empfohlen werden muss. In dieses Konzept passt auch, dass Dirigent Will Humburg so vollständig spielen lässt, wie sie nur selten zu hören ist. Er hält auch die kompliziertesten rhythmischen Passagen souverän zusammen, lässt das erotische Flirren von Schrekers harmonischen Extravaganzen schweben und gibt allen Beteiligten ebenso klare wie enthusiastischen Zeichen.

Das Beethoven-Orchester lässt es an den Höhepunkten mächtig krachen, nimmt sich an den entscheidenden Stellen aber auch bescheiden zurück, um den Sänger in ihren äußerst anspruchsvollen Partien nicht zusätzlich schwer zu machen.

Der Tenor Matthias Schulz sang von der Seite, während der erkältete Michael Putsch den glücklosen Komponisten Fritz spielte. Schulz gestaltete die mörderische Rolle sehr differenziert, in allen Facetten zwischen dem begeisterten und rücksichtslosen Aufbruch und dem resignativen Ende. Der Sopranistin Ingeborg Greiner gelang es, die singende Hysteriestudie der Grete zu einem überzeugenden Charakterbild aufzuwerten, das zwischen zerbrechlichem Jungmädchenton und dramatischem Leuchten das Publikum in den Bann zog, um schließlich noch das Wiegelied für den sterbenden Fritz berührend zu singen. Renatus Mészár nutzt nicht nur das Geschenk der sentimentalen Ballade des Grafen geschmackvoll, sondern zeigt auch den zwielichtigen Dr. Vigelius in seiner Vielschichtigkeit.

So gelingen der Bonner Oper ein großer Abend, ein wichtiges Datum in der Schreker-Rezeption und ein Beweis der Leistungsfähigkeit dieses ebenfalls von Kürzungsbeschlüssen bedrohten Hauses.


Links bei dradio.de:

Der Trieb fordert Opfer - Franz Schrekers Schaueroper "Irrelohe" in Bonn

Die neue Platte: Lieder von toten Kindern - "Songs of Franz Schreker"


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Oper Bonn: Der ferne Klang
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