Felicitas Hoppe über Märchen

"Frauen sind Heldinnen des Bösen"

27:41 Minuten
Felicitas Hoppe sitzt auf dem Blauen Sofa.
"Ein Fundus für unsere Genderdebatten": Felicitas Hoppe sieht in Märchen alle möglichen Geschlechtermodelle. © Deutschlandradio/ Jelina Berzkalns
Moderation: Dorothea Westphal · 16.10.2019
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Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe ist eine leidenschaftliche Märchenleserin. Kürzlich hat sie eine Auswahl von 30 Grimmschen Märchen mit Fokus auf die weiblichen Figuren herausgegeben: "Unglaublich starke, kluge, gerissene, auch gemeine Frauen."
Ihre erste Begegnung mit Märchen war die klassische: Vorgelesen oder genauer gesagt "erzählt" wurden sie Felicitas Hoppe von ihren Eltern. "Mein Vater war relativ locker darin, den Märchen manchmal Wendungen zu geben, die ihm besser gefielen", erinnert sich die Schriftstellerin. "Er war oft nicht mit dem einverstanden, wie das Märchen ausging. Meine Mutter war rigoroser, die war Grimm-treuer."
Als erwachsene Leserin findet Felicitas Hoppe, dass die alten, scheinbar tausend Mal gehörten Märchen an Kraft, Frische und Energie überhaupt nichts eingebüßt hätten: "Warum langweilen die mich nicht? Ich kann sie eigentlich nicht richtig durchdringen. Es bleibt ein Geheimnis. Sie sind unglaublich vertrackt! Das Märchenrätsel werde ich bis zum Ende meiner Tage nicht lösen können."
Dass Frauen in den Grimmschen Märchen immer die Schwachen seien, sei teilweise ein Klischee, sagt Hoppe. Die Frauen hätten das ganze Spektrum in den Märchen, sie seien gut oder böse, schön oder hässlich, mächtig oder unterdrückt. Frauen seien oft die "heimlichen Drahtzieherinnen" der Geschichte, extrem intelligent und "in allem unglaublich gut". Sie seien aber auch "Heldinnen des Bösen, das darf man nicht unterschlagen!" Das ganze Spektrum der Hinterlist und der Intrige stünde den Frauen in Märchen zur Verfügung: "Sie sind nicht moralisch besser, sie sind einfach begabter!"

Alle möglichen Geschlechtermodelle

Märchen gehören nach Meinung der in der Rattenfängerstadt Hameln geborenen Autorin nicht in eine verstaubte Schublade, sondern seien, wenn sie mit frischem Blick gelesen werden, aktueller denn je: "Es werden alle Schwierigkeiten und Probleme verhandelt, mit denen wir heute zu tun haben." Als Beispiele nennt Felicitas Hoppe Kinderlosigkeit, materielle Not und Vertreibung. Es gebe außerdem im Märchen alle möglichen Geschlechtermodelle, sie seien "ein Fundus für unsere Genderdebatten".
Märchen seien aber keine Anleitung zur politischen Revolution, da die bestehende gesellschaftliche Ordnung nicht in Frage gestellt werde. Deshalb sei es amüsant, kommunistische Märchen zu lesen - sie funktionierten nicht.
Märchen seien überdies kein Erziehungsprogramm, sagt Hoppe. Sondern sie versuchten, der Grausamkeit unseres Leben etwas entgegenzusetzen, was uns ermögliche, uns eine andere Welt vorzustellen. Das könne man aber auch als Verdrängung bezeichnen.
(cre)

Felicitas Hoppe: "Grimms Märchen für Heldinnen von heute und morgen" Reclam-Verlag 2019, 190 Seiten, 20 Euro.

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