Feiern zum längsten Tag des Jahres

Wenn die Sonne einen Moment verharrt

Vollmond zur Sommersonnenwende in Leipzig
Vollmond zur Sommersonnenwende 2016 in Leipzig © imago / STAR-MEDIA
21.06.2017
Als längster Tag des Jahres veranlasst der 21. Juni viele Menschen zum Feiern. Diese Tradition reicht bis in die Jungsteinzeit zurück, erklärt der Kulturhistoriker Thomas Macho. Zuvor sei für die Menschen der Mond interessanter gewesen.
Die Sommersonnenwendfeiern lassen sich zurückdatieren auf ein paar Jahrtausende, erklärte der Philosoph und Kulturhistoriker Thomas Macho am Mittwoch im Deutschlandfunk Kultur. Seinen Ursprung habe das Fest in der Jungsteinzeit, erklärte der Leiter des Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften IFK in Wien.
Zu diesem Zeitpunkt hätten sich größere Kulturen wie das Altbabylonische Reich oder das Alte Ägypten umgestellt auf die Beobachtung und Verehrung der Sonne anstelle des Mondes. Schon damals sei die Sommersonnenwende ein freudiges Ereignis gewesen, im Gegensatz zur Wintersonnenwende.

Tag der Gaukler und Betrüger

Die Sommersonnenwendfeiern seien auch immer ein Fest der Gaukler und der Betrüger gewesen. Das habe mit dem "Mythos von der verkehrten Welt" zu tun: "Wenn die Sonne auch nur scheinbar einen Moment lang an diesem Punkt zu verharren scheint, dann ist sozusagen auch alles in der Welt auf den Kopf gestellt", sagte der Kulturhistoriker. Noch viel expliziter sei das bei den Wintersonnenwenden der Fall gewesen, aus denen dann der heutige Karneval entstanden sei.
(uz)
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Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Für manche steht einfach nur die kürzeste Nacht des Jahres bevor, und auch das ist ja korrekt. Aus Sicht der Erde erreicht die Sonne heute ihren nördlichsten Punkt, den nördlichen Wendekreis, und danach wandert sie dann wieder runter über den Äquator in Richtung Süden. Das ist natürlich auch Quatsch, die Sonne selbst wandert gar nicht, aber aus Sicht der Erde kommt einem das wegen der Erdbewegung halt so vor. Damit ist rein technisch das Phänomen der Sommersonnenwende schon komplett erklärt, aber für viele Menschen ist heute nicht einfach nur ein naturwissenschaftliches Ereignis auf der Agenda, das jedes Jahr stattfindet, sondern sehr viel mehr. Warum das so ist und auch schon fast immer so war, das wollen wir jetzt historisch und kulturhistorisch betrachten mit Professor Thomas Macho, dem Leiter des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften, IFK, in Wien. Herr Macho, einen schönen guten Morgen!
Thomas Macho: Schönen guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Ich denke beim Thema Sommersonnenwende sofort an Stonehenge, wo heute bestimmt wieder viel los ist, auch heute noch, im Jahr 2017. Und damit sind wir natürlich bei den heidnischen Kulturen. Ist das tatsächlich so, dass die Sommersonnenwende vor allem für die wichtig gewesen ist.
Thomas Macho
Im Gespräch: Der Kulturhistoriker Thomas Macho© picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
Macho: Ja. Wobei heidnisch natürlich auch ein weiter Begriff ist. Die Sommersonnenwendfeiern lassen sich zurückdatieren tatsächlich auf ungefähr ein paar Jahrtausende. Ur- und frühgeschichtlich ganz alt sind sie also nicht, sondern gehören in den Bereich der Jungsteinzeit und in jenen immer noch sehr spannenden Prozess, in dem größere Kulturen wie zum Beispiel das altbabylonische Reich oder das altägyptische Reich oder eben auch die Megalith-Kulturen umgestellt haben auf die Sonnenbeobachtung und Sonnenverehrung. Denn wenn wir in der Geschichte weiter zurückgehen, um es nur noch mal einzuordnen, Stonehenge ist um die 3000, die älteste Bauphase wird auf 3100 vor unserer Zeitrechnung geschätzt, und die Externsteine im Teutoburger Wald, die ebenfalls ein Ort sind, wo gern Sonnenwendfeiern veranstaltet werden, sind noch um einiges jünger. Und das sind alles Ereignisse und Einrichtungen und Installationen, wenn man so will, die im Zusammenhang stehen mit dieser Umstellung auf die Sonnenverehrung. Denn noch ältere Kulturen haben den Himmel zwar auch beobachtet, aber viel genauer den Mond als die Sonne.

Fest der Freude

Kassel: Hatten die Menschen eigentlich früher vor diesem Tag eher Angst, oder war er doch, weil er eben im Hochsommer stattfindet und so hell ist, immer schon eher ein freudiges Ereignis?
Macho: Ich denke, das war eher ein freudiges Ereignis, anders als die Wintersonnenwende, wo eben die Sonne zu verschwinden scheint, stillzustehen scheint – der lateinische Begriff für Sonnenwende heißt ja auch Solstitium, in dem ist sozusagen das Stehenbleiben der Sonne angedeutet. Ich glaube, dass die da keine Angst hatten, sondern dass das auch ein Moment für Feste war und dafür, dass sich viele getroffen haben. Das war eher ein feierlicher Anlass als ein angstvoller.
Kassel: Ich habe immer wieder auch Geschichten gehört, dass es natürlich im Laufe der Geschichte auch immer ein großer Tag der Gaukler, um nicht zu sagen, der Betrüger war, weil sich natürlich ziemlich viele Legenden darum ranken, was man eigentlich tun soll an diesem Tag.
Macho: Genau. Gaukler, Betrüger und dieses ganze Spiel gehört sozusagen zu den Sonnenwendfeiern auch dazu und hat ein bisschen was mit dem Mythos von der verkehrten Welt zu tun. Das heißt, wenn die Sonne sozusagen auch nur scheinbar einen Moment lang an diesem Punkt zu verharren scheint, dann ist sozusagen auch alles in der Welt auf den Kopf gestellt. Und das war tatsächlich bei den Wintersonnenwendfeiern noch sehr viel expliziter. Da gab es eben Feste in Rom, die Saturnalien, und da war wirklich eine Hochzeit auch für allerlei Narreteien, und aus dem ist ja dann auch unser Karneval entsprungen.

Tradition ins Christentum eingegangen

Kassel: Ist eigentlich mit dem Ende der heidnischen Zeit in Europa, mit dem Beginn des Christentums, das ja lange Zeit so ein bisschen wie heute so die Heiden regelrecht verdammt hat, ist damit eigentlich auch im Grunde genommen das Ende dieser Sommersonnenwendfeiern im eigentlichen Sinne gekommen? Heute sind es ja mehr die Esoteriker, die das noch machen.
Macho: Heute sind es mehr die Esoteriker, aber die ganze Geschichte ist auch sehr intensiv ins Christentum eingegangen, und zwar über den Johannistag. Am 24. Juni hat man – man muss daran erinnern, dass in dieser Zeit, von der wir sprechen, eben die Termine für die Tag- und Nacht-Gleichen beziehungsweise für die Sonnenwenden um den 24./25. lagen. Und tatsächlich hat man am Johannistag, das heißt, am 24. Juni, die Geburt Johannes des Täufers gefeiert. Es gibt einen Hinweis in der Bibel, dass er sechs Monate älter war. Und das hat man ganz gut beziehen können und bezogen auf wesentliche Feste innerhalb des Christentums, vor allem auf Weihnachten. Weihnachten ist die Geburt Christi, Johannes der Täufer ist sozusagen sechs Monate älter. Und dann gibt es noch die zwei Empfängnisfeste, am 25. September die Verkündigung und am 25. März eben auch bezogen auf den Täufer. Und das ist deshalb interessant, weil man damit die vier wesentlichen Sonnenfeste drin hat im christlichen Kalender, nämlich die beiden Tag- und Nacht-Gleichen und die beiden Sonnenwenden. Und auf die Wintersonnenwende fällt eben auch das Geburtsfest Christi.

Düstere Kontextualisierung

Kassel: Kann man daran nicht eigentlich auch fest machen an dieser Sonnensommerwende, wie sehr wir eben doch keine rationalen Wesen sind? Denn eine naturwissenschaftliche Erklärung dafür, was da passiert, und es ist ja eigentlich sogar relativ unkompliziert, können auch nicht-Naturwissenschaftler recht leicht verstehen. So eine Erklärung haben wir ja schon eine Weile, aber faszinierend ist dieser Tag ja trotzdem geblieben.
Macho: Faszinierend ist der Tag trotzdem, und das gilt sozusagen für beide großen Sonnenwenden, und deshalb finden auch heute noch jede Menge Feste an diesem Tag statt, und die Menschen strömen nach Stonehenge, und es gibt natürlich auch eine dunklere, düsterere Kontextualisierung dieser Sonnenwendfeiern, weil natürlich auch insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus einen neuen Aufschwung erfahren hat, dass man sozusagen große Feste, in denen man versucht hat, auch so eine Art germanischen Kult zu verankern. Und bis heute gibt es Mittsommerfeste und Sonnenwendfeiern, die eben auch gerade in den rechten und rechtsextremen Kreisen gern begangen werden. Das ist so ein bisschen die Schattenseite. Aber ansonsten ist das auch ein Tag, den man mit Vergnügen und Freude begehen kann.
Kassel: Sagt Professor Thomas Macho, der Leiter des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften, IFK, in Wien über den heutigen Tag der Sommersonnenwende. Herr Macho, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch. Und egal, wie Sie diesen Tag begehen, ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei!
Macho: Ihnen auch Herr Kassel, schönen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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