FDP-Anhänger sind derzeit "etwas irritiert"

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 16.12.2011
Die Diskussion um den FDP-Mitgliederentscheid zum Euro-Rettungsschirm wertet der Europaabgeordnete Lambsdorff positiv. Aus dem Ergebnis könne sich für die Partei ein gutes Aufbruchsignal ergeben - oder eine schwierige Lage.
Jan-Christoph Kitzler: Da stimmt was nicht: Neonlicht, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio) Barbara Schmidt-Mattern war das über die Stimmung an der FDP-Basis. Heute, voraussichtlich am frühen Nachmittag, wird das Ergebnis des Mitgliederentscheids veröffentlicht, der die Partei schier zerrissen hat und in dem eine Grundsatzfrage dieser Bundesregierung zur Abstimmung stand: Soll die FDP ja sagen zum erweiterten Euro-Rettungsschirm oder nicht? Und bis zur Verkündigung des Ergebnisses gibt es noch einige offene Fragen: Wird das Quorum von einem Drittel aller FDP-Mitglieder erreicht? Gibt es eine Mehrheit gegen den erweiterten Euro-Rettungsschirm? Und wie viele Stimmen – das ist ziemlich wichtig – werden am Ende als ungültig gewertet? Das könnte entscheidend sein. So oder so, weiterer Ärger ist vorprogrammiert, und damit wird der Prozess erschwert, den die FDP eigentlich vor sich hat, nämlich sich programmatisch zu erneuern.

Darüber spreche ich jetzt mit Alexander Graf Lambsdorff, er sitzt für die Liberalen im Europa-Parlament als stellvertretender Fraktionsvorsitzender, und er ist auch im Bundesvorstand der FDP. Schönen guten Morgen nach Bonn!

Alexander Graf Lambsdorff: Ja, schönen guten Morgen nach Berlin!

Kitzler: Ist die Dauerkrise der FDP eigentlich vor allem ein Problem der handelnden Personen oder eher eine programmatische Schwäche?

Lambsdorff: Also ich glaube nicht, dass es eine programmatische Schwäche ist. Ich fand es ja sehr bemerkenswert, dass Ihre Korrespondentin eben ein junges Neumitglied da gefunden hat, das gerade jetzt in diesen schwierigen Zeiten in die Partei eingetreten ist. Der Liberalismus als politische Philosophie ist attraktiv, ist eine starke Philosophie, er hat die Bundesrepublik mit geprägt, er hat Europa mit geprägt und er braucht eine politische Heimat: Das ist die FDP. Dass die Partei als Organisation des politischen Liberalismus zurzeit sicher nicht das bietet, was sich ihre Anhänger wünschen, darüber müssen wir nicht reden, das ist ganz sicher so.

Kitzler: Also ist es ein Problem der handelnden Personen, zum Beispiel von Philipp Rösler, der hat ja vor gefühlten Urzeiten schon verkündet, die FDP werde liefern.

Lambsdorff: Das sind tagespolitische Aussagen, und da haben Sie sicher recht: Man kann darüber streiten, ob das klug war, sich auf dem Bundesparteitag in Rostock so einzulassen. Aber wie gesagt, die politische Philosophie des Liberalismus ist stark und ich bin sehr optimistisch, dass, wenn sich die FDP berappelt, dass wir auch dann wieder organisatorisch, politisch, im Tagesgeschäft besser rüberkommen als das Hans Bundszus ja im Moment zu Recht beklagt.

Kitzler: Dafür sorgen muss auch der neue Generalsekretär Herr Döring. Es gibt ja heute Stimmen, die sagen, Herr Rösler hätte mit der Entscheidung auch noch warten können bis heute, bis zur Sitzung des Bundesvorstandes. War das wieder eine einsame Entscheidung, die Herr Rösler da getroffen hat?

Lambsdorff: Also anders als Hans Bundszus kenne ich den Patrick Döring gut, ich glaube, der ist eine gute Wahl, und Philipp Rösler hat sich, wie ich finde, vernünftig da verhalten, indem er am Tag von Christian Lindners überraschendem Rücktritt sehr schnell eine Entscheidung getroffen hat. Patrick Döring war ja vor zwei Jahren schon einmal im Gespräch als Generalsekretär, der kann das. Also insofern: Da Handlungsfähigkeit zu beweisen und eine geeignete Person zu präsentieren, das war sicher vernünftig, zumal der Generalsekretär ja ein ausschließliches Vorschlagsrecht des Vorsitzenden ist, das heißt, ob er den nun vor zwei Tagen dem Bundesvorstand und der Öffentlichkeit vorschlägt – wir haben ja eine Telefonkonferenz gehabt im Bundesvorstand – oder ob er das heute sozusagen in der eigentlichen Sitzung macht, ist nicht wirklich erheblich.

Kitzler: Patrick Döring geht auch in die Offensive gleich, hat viele Interviews schon gegeben, und es fällt auf: Er benutzt Metaphern aus dem Bereich Militär, er sagt zum Beispiel, man müsse die Fahne wieder aufrichten. Das klingt so, als sei das alles nur ein Problem der mangelnden Motivation in der Truppe.

Lambsdorff: Na ja, ein bisschen ist es natürlich so, dass die Motivation gelitten hat. Wir haben die ersten zwei Jahre in der Regierung seit unserem großen Wahlerfolg ja einige Schläge ins Kontor erhalten, die die Motivation an der Basis schon berühren. Und da der Liberalismus nun in der Tat eine stolze Tradition in Deutschland hat, finde ich das Bild vom Wiederaufrichten der Fahne gar nicht verkehrt.

Kitzler: Sie haben gesagt, der Liberalismus ist wichtig, der Liberalismus ist stark – nur die Wähler scheinen es nicht zu glauben, wenn man die Umfragen sich anguckt. Wie wollen Sie die denn überzeugen?

Lambsdorff: Na ja, ich glaube, man muss das auseinanderhalten: Das eine ist tatsächlich die Idee des Liberalismus, also dass wir zwar Ungerechtigkeit nicht akzeptieren, aber Ungleichheit, dass wir Eingriffe des Staates immer skeptisch sehen, gleich ob sie der Beglückung der Menschen vorgeblich dienen oder aber der Beschränkung ihrer Freiheit, dass wir auf die Marktwirtschaft setzen als dezentrales Ordnungsprinzip, um einfach die staatliche Intervention zurückzuhalten und die Dynamik der Menschen und der Unternehmen zu entfalten. Das sind ja alles Dinge, die sind wichtig, und da muss es in Deutschland eine Stimme geben, die genau sich in dieser Richtung äußert.

Das andere ist die tagespolitische Performance, und in der Tat: Wir haben zum Beispiel angefangen mit dieser Bundesregierung im Warten auf die Wahlen hier in Nordrhein-Westfalen, und haben uns dort ein Programm des Nichthandelns gegeben. Und das ist genau das, was unsere Wähler natürlich nicht wollten. Im Übrigen haben wir das damals aus Rücksicht auf den Koalitionspartner von der Union getan, die wollten sich ungerne bewegen vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Aber wenn eine bürgerliche Koalition ins Amt gewählt wird, dann wollen die Menschen, dass sie etwas tut, und nicht, dass sie nichts tut. Das war der erste Kardinalfehler, und von da aus ist es dann weitergegangen. Es hat einfach viele Probleme gegeben, die wir dringend überwinden müssen.

Kitzler: Braucht die FDP einen programmatischen Neuanfang, damit die Stimme wieder deutlicher wird?

Lambsdorff: Also was wir machen müssen, ist: Wir müssen tatsächlich das, was ich gerade beschrieben habe als einige Kernelemente des Liberalismus, auf den Beginn des 21. Jahrhunderts definieren. Wir müssen die Probleme der Menschen dort aufgreifen, wo sie real entstehen, und nicht im abstrakten, theoretischen Verharren. Ich glaube, dass der Prozess der Erarbeitung des Grundsatzprogramms dafür eigentlich sehr gut geeignet ist. Er ist nur parallel gelaufen eben zu beginnender Regierungspolitik mit einem bereits in der Regierung erfahrenen Koalitionspartner, sodass auf der einen Seite das Programmatische, Konstruktive, Liberale, Philosophische erarbeitet werden sollte, während gleichzeitig tagespolitische Entscheidungen zu treffen waren, bei denen wir uns nicht immer durchsetzen konnten. Und dieser Widerspruch, der ist auch mit einer der Gründe dafür, dass sich bei uns die Anhängerschaft zurzeit etwas irritiert anschaut und sich fragt, ob das denn auch organisatorisch, politisch alles hinbekommen wird, was wir uns da vorgenommen haben.

Kitzler: Die Gefahr ist ja groß, dass es erst mal in den nächsten Tagen auch weiteren Knatsch geben wird. Heute soll das Ergebnis des Mitgliederentscheids bekanntgegeben werden. Wie gefährlich ist das denn in Ihren Augen für die Liberalen?

Lambsdorff: Ja, also Herr Kitzler, da bin ich wirklich überrascht über das, was Ihre Kollegen in den Printmedien oder den Onlinemedien da zum Teil schreiben. Die tun so, als ob sie das Ergebnis bereits kennen würden. Natürlich ist das eine wichtige Frage, natürlich war das ein sehr intensiver, zum Teil kontroverser und auch mitunter schwieriger Diskussionsprozess in der Partei, aber ich meine, wozu haben wir denn politische Parteien? Die sollen sich an der Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger beteiligen und diese mit prägen.

Ein solcher Diskussionsprozess ist doch was Positives, und ich bin sehr optimistisch, dass das zugunsten des Bundesvorstandes, zugunsten von Hans-Dietrich Genscher und anderen, die sich da engagiert haben, ausgehen wird. Und deswegen bin ich an der Stelle überhaupt nicht der Meinung, dass das so oder so die Schwierigkeiten in der FDP verschlimmern würde, ganz im Gegenteil. Wenn das Ergebnis heute Mittag verkündet wird – und ich kenne es ja noch nicht, genauso wenig wie Sie oder Ihre Kollegen in den Printmedien –, dann bin ich der Meinung, dass sich eigentlich ein gutes Aufbruchsignal genauso gut ergeben kann wie eine schwierige Lage. Das wissen wir schlicht noch nicht.

Kitzler: Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff zur Lage seiner Partei, der FDP. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Lambsdorff: Danke Ihnen, Herr Kitzler!

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