Fatih Akin und Diane Kruger über "Aus dem Nichts"

"Man hat diese Menschen eigentlich zweimal gekillt"

Fatih Akin und Diane Kruger beim 70. Cannes Film Festival
Fatih Akin und Diane Kruger beim 70. Cannes Film Festival © Frédéric Dugit/MAXPPP/dpa
Moderation: Susanne Burg und Patrick Wellinski · 27.05.2017
Zuerst habe ihn die Wut über den Umgang mit den NSU-Morden angetrieben, sagt Regisseur Fatih Akin über seinen Film "Aus dem Nichts". Doch dann verschob sich sein Schreiben in Richtung eines Familienporträts: Was geht in einer Mutter vor, deren Mann und Sohn bei einem Neonazi-Bombenattentat umkommen?
Bei den Filmfestspielen in Cannes hatte am Freitag Abend Fatih Akins "Aus dem Nichts" Weltpremiere. In dem deutschen Beitrag des Wettbewerbs geht es um Neonazi-Anschläge und Parallelen zum NSU-Prozess. Im Mittelpunkt steht eine Deutsche, die mit einem Kurden verheiratet ist – er und ihr kleiner Sohn werden bei einem von Neonazis verübten Bombenanschlag getötet.
"Als das herauskam, wer jetzt die zehn Leute wirklich umgebracht hat und wer für die Sprengstoffanschläge verantwortlich war, da war ich doch sehr wütend. Wütend gemacht hat mich, dass die Gesellschaft, die Presse, die Polizei, die Presse dachte: Die haben das selbst verschuldet. Und die Opfer müssen irgendwie im Drogen- oder im Spielgeschäft gewesen sein. Man hat diese Menschen eigentlich zweimal gekillt."

Genauer Blick auf die Figur der Mutter

Regisseur Fatik Akin beschreibt im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur die Motivation für die Entstehung seines Films. Er habe sich dann intensiv mit diesem Thema und dem NSU-Prozess beschäftigt. Beim Schreiben hätten sich ihm dann aber ganz andere Ebenen eröffnet, etwa der genauere Blick auf die Figur der Mutter:
"Irgendwann wurde es für mich dann weniger politisch, sondern mehr zu einem Familienporträt. Ein anderes Familienporträt als vielleicht Michael Haneke das darstellt, also die Familie nicht als Feind. Hier ist die Familie ihr kleiner Kern, die Kleinstfamilie, diese Drei. Das ist eigentlich ihr Schutz, ihr Halt, und das wird ihr genommen. Was macht eine Mutter ohne Familie?"
Akin schilderte auch die Schwierigkeiten bei der filmischen Umsetzung etwa der Gerichtsszenen. Prozesse seien ja eigentlich ziemlich langweilig:
"Man kann dem Zuschauer etwas zumuten, aber es muss trotzdem so ein bisschen wie ein Elfmeterschießen sein, so: Die machen ein Tor und wir machen ein Tor. Da war Hark Bohm die größte Hilfe, das so spannend zu gestalten. Aber viele wichtige emotionale Texte, die kommen von dem Prozess selbst, die habe ich so aus dem NSU-Watch."
Hark Bohm, Fatih Akin und Lars Hubrich bei der Premiere des Kinofilms Tschick im Abaton Kino in Hamburg.
Hark Bohm und Fatih Akin haben für den Film "Aus dem Nichts" zusammen am Drehbuch gearbeitet.© imago / Future Image

Co-Autor Hark Bohm über die filmische Umsetzung

Hark Bohm, Schauspieler, Filmregisseur und Co-Autor des Drehbuchs, beschreibt die Gratwanderung zwischen politischem Hintergrund des Films und Umsetzung im Text:
"Die Tat, die die Geschichte in Gang setzt, ist ein eindeutig politische Tat. Und von diesem Moment an fühlt und denkt, nach unserer Auffassung, der Zuschauer das immer mit. Aber uns interessiert: Wie reagiert dieser einzigartige Charakter, den wir zu schaffen versucht haben, auf das, was zu Anfang geschah?"
Diane Kruger und Fatih Akin in Cannes
Diane Kruger und Fatih Akin in Cannes© picture alliance / dpa / Hubert Boesl

Diane Kruger: "Ich habe lange auf ein Angebot aus Deutschland gewartet"

Die Hauptrolle des Films spielt Hollywood-Star Diane Kruger. Es ist ihre erste Rolle in einem deutschen Film. Kruger sagt im Deutschlandfunk Kultur:
"Ich habe lange auf ein Angebot aus Deutschland gewartet. Ich glaube, das ist einer der wichtigsten Filme in meiner Karriere, auf jeden Fall. Ich glaube, man merkt das auch irgendwie im Film. Mir ist klar geworden, auch wenn ich so lange aus Deutschland weg bin: Wie wir miteinander reden, wie wir uns halten, wie wir sind – also ich meine, das ist eine Evidenz, dass das sehr authentisch ist im Film."

Patrick Wellinskis Kritik am Drehbuch von "Aus dem Nichts"

"Sie ist definitiv das Stärkste an diesem Film", so urteilt unser Filmredakteurs Patrick Wellinski über Akins "Aus dem Nichts". Die Unterteilung des Films in drei Blöcke - nämlich "Familie", "Gerechtigkeit" und "Das Meer" – sehe er allerdings kritisch:
"Das Drehbuch schafft es nicht wirklich, diese drei Filme zu einer Einheit zu verschmelzen. Es ist schon so, dass man drei einzelne Filme sieht. Und das fand ich sehr schade. Und das schafft auch Diane Kruger nicht, das alles so zusammen zu binden."

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