Fantreue ist alternativlos

Nur die eine Liebe zählt

Drei Geißböcke in rot weiss mit dem Logo des 1 FC Köln
Drei Geißböcke in rot weiss mit dem Logo des 1 FC Köln © imago stock&people
Von Dieter Jandt · 22.10.2017
Hat schon mal jemand versucht, als Fan den Verein zu wechseln? Nach rund 40 Jahren? Als frustrierter Schalke-Freund zum BVB? - Nein, Lossagen geht nicht, denn mit jeder neuen Spielzeit gibt es die Hoffnung auf bessere Zeiten. Aber warum können Fans nicht, was den Profi-Kickern locker gelingt: ein anderes Trikot überstreifen.
Kölnfan: "Fan bin ich von Geburt an, wenn man in Köln geboren ist, bleibt einem wahrscheinlich auch nix anderes übrig."
Sportpsychologe: "Man kann es als Hörigkeit bezeichnen, auch wenn es vielleicht ein sehr sehr extrem gewählter Begriff ist."
Älterer Kölnfan: "Das Einzigste, was wir bekommen haben mit Auf- und Abstieg, sind unsere grauen Haare. Hehe."
Sommer 2015. Ich habe keinen Bock mehr auf den HSV. Die nächste grottenschlechte Saison, die nächste Relegation. Schon im Hinspiel wesentlich schwächer als dieser Zweitligist, den sie eigentlich weghauen müssten. Aber niemand hängt sich rein. Mir reicht es, endgültig.
Jüngerer Kölnfan: "Den Verein wechselt man nicht als Fan. Das macht man einfach nicht, das hat man im Herzen und dann ist das erledigt."
Für mich war da jahrelanges Missmanagement beim HSV, ein Investor, der keine Ahnung vom Fußball hat, teure Spieler, denen das Schicksal des Vereins egal zu sein scheint. Wollte mich eigentlich schon lange losgesagt haben, und dann die Nachspielzeit. Marcelo Diaz schießt den Freistoß ins linke Eck, und ich? Springe vom Sessel auf, was sonst?
Kölner Fan: "Ich denke mal, die hätten`s auch langsam mal verdient abzusteigen."
Rund 150 Fans des 1. FC Köln haben sich am Geißbockheim zum Training der Mannschaft eingefunden. Man schaut, wer fit ist, wie Trainer Stöger mit den Spielern umgeht, Kinder luchsen einigen Spielern Autogramme ab. Nebenbei wird über andere Mannschaften abgelästert, vorzugsweise den HSV.
Kölner Fan: "Damit da oben auch mal Klarschiff gemacht wird und dann vielleicht auch mal ein Umschwung kommt, würde dem HSV das wahrscheinlich auch mal gut tun, wenn sie mal in die 2. Liga kommen würden. Wenn sie da mal en Arschtritt bekommen und dann wieder gute Zeiten kommen."

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

In Köln kennt man sich bestens aus mit guten Zeiten, schlechten Zeiten. Fünf Abstiege, beinahe eine Pleite hingelegt. Nun nach 25 Jahren spielt der FC wieder international, aber in der Liga steckt der Verein tief im Keller. Gleichwie, das Dasein als treuer Fan wurde niemals hinterfragt.
FC Fan: "Seitdem ich selber denken kann, ich wurde eigentlich so schon in die Wiege gelegt. Als FC-Fan, hehe, und einmal FC-Fan, immer FC-Fan, egal ob nach unten oder oben, man bleibt einfach dabei."
Senior: "Fan, och, 70 Jahre. Weil damals schon in der Jugend, // wir hatten hier erste Mal warm Wasser, und da haben wir uns immer gefreut, wenn wir hier am Geißbockheim spielen durften."
1960. Ich spiele als Knirps meine Gegner schwindlig, der HSV wird Meister und Uwe Seeler ist der beste, absolut. Also ist der HSV mein Verein. Völlig klar. Dann kommt die Bundesliga, der HSV hält sich meist im oberen Tabellendrittel. Bis Ende der 70er Jahre der Knoten platzt: Meister mit Kevin Keegan, Günter Netzer ist Manager und Ernst Happel holt noch zwei Meisterschaften und den Europapokal der Landesmeister. Die Truppe fährt nicht nur einmal zu den Bayern und zeigt denen, wo der Hammer hängt. Ist lange her.
FC Fan: "Egal ob abgestiegen oder noch mal abgestiegen und noch mal abgestiegen, das ist für mich kein Grund, da einen anderen Verein zu suchen."
Hat das schon einmal jemand versucht, als Fan den Verein zu wechseln? Nach endlos langen Jahren Treue, nach einer abermals unsäglichen Saison, wo eigentlich gar nichts mehr stimmt: weder der Tabellenplatz, noch der Trainer oder die Einkaufspolitik. Wieso kann man sich als Fan nicht einfach lossagen vom Verein? Kündigen. Fristlos.
FC-Fan auf der Bank: "Da gab`s, glaube ich, immer die Antwort, also es gibt en par Dinge im Leben, die man sich nicht aussuchen kann, und das ist nun mal der Fußballverein, also das geht einfach nicht, sozusagen zu konvertieren, dann war man vorher kein echter Fan, meiner Meinung nach. Also man kann zwar leiden, bisschen jammern, man darf auch meckern und schimpfen, aber sozusagen, es bleibt im Herzen drin."
Ein cooler Typ mittleren Alters. Er hat sein Fahrrad neben einer Bank abgestellt, sitzt nun da und ist mit seinem Tablet beschäftigt. Die Jungs trainieren auch, ohne dass er zuschaut. Fan ist und bleibt er ja sowieso, da gibt es kein Vertun.
FC-Fan auf der Bank: "Die Frage, wie es überhaupt zustande kommt, ist ja sowieso interessant. Ich habe öfter mal Leute gefragt, die konnten`s nicht genau sagen. Manche haben gesagt: "Ja, Vater hat mich mitgenommen, oder die ersten Siege, die ich beim tollen Spiel im Fernsehen sah", waren Bayern oder auch Gladbach oder je nachdem zu welcher Zeit, es muss irgendwie so mit den ersten Erfahrungen zusammenhängen, dass das so ne irreversible Geschichte wird, finde ich spannend. Schöne Diplomarbeit übrigens."
Wundersamerweise hat das gar nicht so viel mit Heimatverbundenheit zu tun, wenn man sich den Verein seines Herzens aussucht. Viele wählen als Kind das Team, das gerade dominiert. In den 70ern die Bayern und Borussia Mönchengladbach, in den 80ern den HSV, bei anderen hängt es von einzelnen Spielern ab. In den größeren Städten gibt es Fanclubs von allen möglichen Vereinen – und die entsprechenden Kneipen dazu, wie in Köln.
FC Fan mit Sohn: "Es gibt auch eine von Stuttgart auf der Berrenrather Straße, es gibt auch eine von Borussia Mönchengladbach auf der Zülpicher Straße. Also das haben wir alles hier, es gibt eine von Borussia Dortmund, eine in Ehrenfeld."

Ein Stachel im Fleisch

Gerade der 1. FC Köln muss es hinnehmen, dass der Erzfeind Borussia Mönchengladbach sage und schreibe acht Fanclubs in der Stadt aufweist - und die besagte Kneipe. Nichts wie hin.
1. Gladbachfan: "Grundsätzlich gutes Gefühl hier in Köln, im "Stiefel" sowieso, immer gute Stimmung, fest in Gladbacher Hand, was soll man da noch sagen, also deswegen kommt man ja auch hierhin, von weit her angereist, so viele Gladbachfans, jeden Samstag."
Zwei Anhänger in einer Fankneipe mitten im Szeneviertel von Köln, ein Stachel im Fleisch. Beide stammen aus der Gegend von Mönchengladbach, der eine kommt von dort immer mal wieder her, um hier in Köln seinen Verein zu feiern.
Beide Gladbachfans:
- "Ich fühl mich hier wohl, und hatte auch noch nie Probleme wegen der Rivalität mit Kölnern, also ist eigentlich super."
-"Das ist der besondere Kick halt noch. Also hier, wie gesagt, mitten im Nummer-eins-Ausgehviertel, diese Kneipe seit Jahren fest in Gladbacher Hand, wunderbar einfach."
Etwa 200 Anhänger von Borussia Mönchengladbach müssen nach wenigen Minuten mitansehen, wie der FC Augsburg in Führung geht. Aber ansonsten bleibt man locker, in jeder Lage.
2. Gladbachfan: "Ich bin hier wirklich seit fünf Jahren so oft, und ist immer friedlich, hier sind auch öfter Kölner drin und ich denk mal, auch wenn hier Gladbach gegen Köln spielt und Kölner mit in der Kneipe sind, das gibt kein Problem."
Den Wohnort kann man ja wechseln, aber nicht den Verein.
1.Gladbachfan: "Ich hab lange in Köln-Mühlheim gewohnt, das ist andere Rheinseite, und wenn ich mir da das Trikot angezogen hab und irgendwohin gefahren bin zum Spiel oder in die Kneipe, dann musste ich mir schonmal die eine oder andere Beschimpfung anhören. "Was ich mir denn dabei denke, mit nem Gladbachtrikot hier durch Köln zu laufen. Ob ich denn überhaupt wüsste, was ich da tue. In was für ne Gefahr ich mich hier begebe?"
beide Gladbachfans:
- "Ich war vor mehreren Jahren mal in Sülz im Supermarkt und hatte en T-Shirt von Gladbach an, und dann starrte mich so`n Stiernacken, ne Riesenkante ziemlich sauer an, dann kam ich ihm nochmal entgegen, der starrte mich wieder an, bis mir dann aufgefallen ist: "Oh. Ich hab ja mein Gladbach-T-Shirt an", das hab ich danach dann nicht mehr gemacht."
- "Ja, man muss ein bisschen aufpassen, das stimmt schon."
Mittlerweile haben die Gladbacher ausgeglichen und gehen sogar in Führung, und da der 1. FC Köln am Vortag zu Hause gegen den Hamburger SV verloren hat, läuft eigentlich alles bestens.
Gladbachfan: "In der Beziehung Gladbach Köln ist das definitiv so, da kann ich en Lied von singen. Wenn wir mal nicht gewinnen, dann ist es immer noch en schöner Trost, wenn Köln auch nicht gewinnt, aber, ja also sich am Elend der anderen erbauen, ist jetzt auch nicht so die Nummer eins Tugend der Gladbachfans. Also wir sind eigentlich stolz auf unsere eigene Leistung. Und die ist generell eigentlich immer en Ticken besser als die der Kölner."
Sportpsychologe:
"Wenn man einmal eine Gruppenzugehörigkeit hat, dann gibt es eben die psychologischen Mechanismen, dass man probiert, diese Zugehörigkeit ständig positiv zu bewerten, und zu versuchen, andere Sachen, die vielleicht positiv sein könnten bei anderen Vereinen, bei anderen Gruppen abzuwerten."
Der Sportpsychologe Fabian Pels: "Also Abwertung des anderen Vereins, und ja ständige Aufwertung des eigenen Vereins, also das Suchen günstiger Vergleiche, also man vergleicht die Vereine in Hinsicht auf Aspekte, wo man selber günstig bei wegkommt, das spielt da die zentrale Rolle."
Und wenn, wie in der Vorsaison, die Kölner in der Tabelle deutlich vor den Gladbachern lagen, dann ist das von denen schon längst erfolgreich verdrängt, zumal die Verhältnisse ja wieder umgekehrt sind.

Ein Star nach dem anderen läuft durch

Als HSV-Fan aber kann ich gar nicht mehr verdrängen. Ist einfach zu viel. Was hier seit Jahren abgeht, ist kaum noch auszuhalten. Ein Star nach dem anderen läuft durch und wird gleich weitergereicht: Boateng, Kompany, Nigel de Jong, und dazu Altstars, die nichts mehr drauf hatten: Surin, kennt den noch jemand? Van Nistelrooy als Rentner, Ze Roberto ebenso. Von Nachwuchs keine Spur. Und jetzt ist alles noch viel schlimmer. Der Dino ist bald keiner mehr. Zumindest scheint der Relegationsplatz für den HSV der Stammplatz zu sein.
Gladbachfans sind da offensichtlich schmerzfrei.
Beide Gladbachfans: "Die Zweitligazeit war auch keine Leidenszeit im eigentlichen Sinne, das waren immer wieder sehr souveräne Wiederaufstiege jeweils, und, wie gesagt, das ist mal ne nette Abwechslung, die braucht aber im Prinzip kein Mensch. Also ich bin jetzt nicht scharf drauf, wieder abzusteigen in den nächsten Jahren. Erst mal oben festsetzen jetzt en bisschen, Championsleague, irgendwann den Meistertitel, in den nächsten fünf, sechs Jahren, ist nicht unrealistisch."
"Ich hatte damals wenig Zeit am Wochenende, die Spiele zu sehen, und wenn die dann montags gespielt haben, die 2.Liga, fand ich ganz praktisch, konnte man das gleich zu Hause im Fernsehen gucken, von daher fand ich das gar nicht so schlimm."
Andreas Vogt: "Das Interesse lässt nach, in der Zeit, wo sie zwei Mal in die zweite Liga abgestiegen sind, da war ich-, sicher Fan bleibt man schon, aber ich war nicht mehr so bei der Sache wie zu Zeiten der Bundesliga, ist ganz klar."
Andreas Vogt, noch ein Gladbachfan und Fahrradhändler in Remscheid. Wie an jedem Morgen kommt der Postbote Jochen Teichmann, seines Zeichens Anhänger von Hertha BSC. Wieso das?
JochenTeichmann: "Jaa, dat is ne ganz komische Geschichte. Dat war 1972, da war ich knappe neun Jahre, da gab et bei uns beim Karstadt Trikots vom VFL Lennep."
VFL Lennep, ein gestandener Kreisligist in Remscheid.
JochenTeichmann: "… die waren blau-weiß gestreift, und dann habe ich meine ersten Fußballbilder gekriegt, und hab dann festgestellt: 'Oh, da ist ne Mannschaft, die haben dat gleiche Trikot wie du. Die ist gut, die nimmste. Dat ist jetzt deine Mannschaft.' Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nichmals, wo Berlin liegt. Und hab dann irgendwann mal festgestellt, datt et 500 Kilometer von hier weg ist, und dann hab ich gedacht: "Na gut, dann isset halt so." Und dabei isset auch geblieben. Hat sich nie geändert."
Der Mann fährt sogar regelmäßig nach Berlin, um sich Spiele anzuschauen. Aber wieso hält er als Remscheider stur an der Hertha fest? Es gibt doch in nächster Umgebung andere Vereine.
JochenTeichmann: "Jaa, hinterfragt hab ich`s mal, aber hab dann festgestellt, da gibt´s nichts zu hinterfragen. War mal ne Zeitlang, wo die ja Oberliga Berlin gespielt haben, jaja, da haben die ja auch hier Aufstiegsrunde gegen FC Remscheid vergeigt, für die 2. Bundesliga, da hat man natürlich mal gedacht, jooh, wär jetzt schön, wenn der Verein pleite geht, sich auflöst, dann könnte man von dem Verein loskommen, aber ansonsten, ansonsten geht et nicht. ansonsten bis zum Tod halt."
Sportpsychologe: "Es wäre dann zu vermuten, dass derjenige, der seinen Verein verliert, zum Beispiel durch eine Insolvenz, sich einen ähnlichen Verein sucht, bei dem er ähnliche Merkmale wahrnimmt, verglichen zu dem Verein, der eben nicht mehr existent ist. Man trauert natürlich schon dem dahinsiechenden oder kaputt gegangenen Verein hinterher, aber man ist eben nicht mehr in dieser Zwickmühle, dass man auf Gedeih und Verderb in seinen Gedanken das irgendwie rechtfertigen muss, weil der alte Verein ja eh nicht mehr existiert."

Auf Gedeih und Verderb!

Ansonsten bis zum Ableben, auf Gedeih und Verderb, eine Notgemeinschaft, Zwangsverbindung, wenn ich als Fan nicht in der Lage bin, mich zu lösen und mirnichtsdirnichts einen anderen Verein zu suchen, einen, mit dem ich weniger Ärger habe.
"Ich kenn zum Beispiel einen, der war jetzt zuletzt Hannover-Fan, der hat mir dann irgendwann mal erzählt, wie das Relegationsspiel Hertha gegen Düsseldorf war, hat er gesagt: "Ja, ich war ja auch früher mal Düsseldorf-Fan." Ja, ich sag: "Lass mich raten. Bis vor 15 Jahren." "Eh, ja." Vor 15 Jahren ist nämlich Düsseldorf aus der Bundesliga damals abgestiegen. Ist jetzt schon watt länger her, aber damals waren dat 15 Jahre, und seitdem ist er Hannover-Fan. Dann ist Hannover abgestiegen letztes Jahr, da hab ich ihn gesehen, hat er en Dortmundschal umgehabt. Also, tut mir Leid, entweder bin ich Fan oder ich bin kein Fan."
Andreas Vogt: "Also ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jemals einen anderen Verein haben möchte. // Ja, man leidet da mit und man ist auch mit Herz und weniger mit Verstand bei der Sache manchmal, und von daher kann`s nur diesen einen Verein geben, und das sollte eigentlich jeden so treffen. Die Geschichte grade kann ich mir gar nicht vorstellen, wie man auf einmal die Fahnen wechseln kann. Also ist für mich nicht nachvollziehbar."
JochenTeichmann: "Wie oft hab ich den Verein verflucht, hab gesagt, geh weg, da fahr ich nicht mehr hin, die können mich mal. Und 14 Tage später hat man wieder geguckt. Wann sind die Spiele, welches Spiel ist in der Nähe, wo kann man hinfahren?"
Mich nervt beim HSV vor allem der Investor Kühne, der Geld hat, aber keinen blassen Schimmer. Bestand darauf, van der Vaart zurückzuholen. Hätte die 12 Millionen genausogut aus dem Fenster schmeißen können. Der HSV fährt jetzt regelmäßig nach München und holt sich derbe Packungen ab, dazu Trainer, die auf der Bank den Kopf hängen lassen, und Spieler ohne Motivation, da kämpft keiner mehr. Ich als Fan eigentlich auch nicht mehr. Was soll ich denn in der 2. Liga? Und wieso darf ich nicht, was Spieler locker drauf haben?
Jochen Teichmann: "Die küssen das Wappen, und nächste Woche haben sie ein anderes Wappen. Dat ist für die egal. So lang der Spieler zu meinem Verein wechselt, ist alles in Ordnung, wechselt mein Spieler aber von meinem Verein zum anderen, ist er natürlich der Buhmann."
Bei seiner ersten Amtszeit, noch in Diensten des HSV ließ sich van der Vaart in Spanien im Trikot des FC Valencia ablichten. Wieso kann der das?
FC-Fan auf der Bank: "Ich weiß nicht, was in deren Herzen vorgeht. Wieviel Prozent der Spieler Fan von dem Verein sind, wo sie spielen, also ich glaub, das ist eher einstellig, da müssen die, glaube ich schon mal verheimlichen, welche Handtücher sie zuhause benutzen, welche Bettwäsche, das ist, glaube ich, ne andere Geschichte."
Zurück zum Geißbockheim, wo die Spieler bei engagiertem Training ihre Verbundenheit mit dem Verein und den Fans demonstrieren, bis sie dann einen liebenswerteren Verein finden.
Älterer FC-Fan: "Das ist deren Beruf, und die leben davon, versuchen sozusagen bis 35 so viel Geld wie möglich damit zu verdienen, und das brauche ich ja nicht. Ich bin ja sozusagen Fan, bin nur mit Emotionen dabei, und deswegen wechsele ich nicht, ist ja klar, die Jungs wollen Geld verdienen, dürfen die machen."

Schlimmer als in einer schief gelaufenen Ehe

Was mir ziemlich auf den Keks geht, ist diese verdammte Unterwerfung oder Verpflichtung. Sich nicht lossagen zu können, ist doch ein Abhängigkeitsverhältnis der miesen Art, wenn der Verein nur noch Mist baut, und ich gezwungen bin, noch immer mitzufiebern, eine unerhörte Hörigkeit. Schlimmer als in einer schief gelaufenen Ehe, und da hätte ich mich längst vom Acker gemacht. Aber hier, warum geht das nicht?
Junge Frau: "Ich kenn mich mit Ehen nicht so aus, muss ich sagen, hehehe."
Zwei junge Frauen lehnen an der Ballustrade, auch ihr Herz schlägt selbstverständlich für den 1. FC Köln. Aber das war mal anders.
Junge Frau: "Also ich war als Kind tatsächlich mal ein bisschen mehr auf Bayern München fixiert, tatsächlich ja, aber als Kind wusste ich da ja auch noch nicht so genau, was abgeht, // und der Grund, das war sehr Spieler-abhängig, weil ich war ein großer Bastian Schweinsteiger-Fan oder bin`s auch heute noch, und hab mich dann halt einfach, naja, irgendwie hab ich dann gemerkt, dass der Verein ziemlich öde ist, und dass eigentlich jedes Jahr das Gleiche ist, und dass man irgendwie gar nicht mehr, ja dann kam halt, war ich öfter mal im Stadion hier beim FC und fand da die Stimmung so toll und hab gedacht: Also es ist eigentlich ein Unding, nicht Fan von dieser Mannschaft zu sein und seitdem bin ich da auch überzeugt von, dass das so bleibt und sich nicht mehr ändert."
Die Stimmung: Wer einmal in der Dortmunder Südtribüne gestanden hat, mitten im schwarz-gelben Fahnenmeer, der kann sich unmöglich lossagen, auch wenn der BVB eine schlechte Saison nach der anderen hinlegen würde. Vielleicht kann das eher Anhängern des VFL Wolfsburg oder von Bayer Leverkusen gelingen, wo die Laune immer eher gedämpft ist, wo beinahe lustlos Fußball konsumiert wird. Oder bei den Münchner Bayern, wo streng genommen seit Jahren die Luft raus ist, in der Kurve.
Zwei junge Frauen:
- "Manchmal freuen sie sich auch nicht mehr, hat man das Gefühl. Obwohl der Erfolg ja da ist, bei Bayern scheint ja mittlerweile die Meisterschaft schon nur noch Formsache zu sein."
-"Die Fans nehmen das schon meistens als selbstverständlich."
Aber geht es nicht doch, sich vom Verein loszusagen? Der Hamburger Fußballclub Falke balgt sich mit dem Hoisbütteler SV in der Bezirksliga. Rund 200 Zuschauer, engagierte Fans auf beiden Seiten. Bis vor wenigen Jahren saßen viele von ihnen noch zwei Kilometer entfernt im Volksparkstadion. Nun aber stehen sie zum Schutz vor dem prickelnden Regen unter den Baldachinen der Bratwurst- und Fanschalstände. Hamburger Schmuddelwetter.
Tamara Dwenger: "Der Hamburger Sportverein hat ja nach jahrelangem Ringen und immer wieder dem Kampf gegen die Thematik, dass man die Profisportabteilung ausgliedern möchte, diesen Schritt ja am 25. Mai 2014 vollzogen, und ich hab mir da vorher keine großen Gedanken gemacht, wie das Leben danach sein wird, ich wusste nur in dem Moment, als ich aus dem Stadion rausgegangen bin, dass es für sehr sehr lange Zeit das letzte Mal gewesen sein wird, dass ich hier bin."

Dann machen wir das!

Tamara Dwenger, Präsidentin des HFC Falke, den sie mit anderen vormals treuen HSV-Fans gegründet hat. Man war mit der Entscheidung des Vereins, die Profisportabteilung vom HSV zu trennen, nicht einverstanden.
"Und dann saßen wir am gleichen Abend mit ner Runde von Freunden zusammen und haben uns so die Frage gestellt, wat machen wir denn jetzt? Und dann wurde aus einer bierseligen Idee, nennen wir es mal so, die Überlegung, joh, dann machen wir halt unser eigenes Ding. Also wir haben keinen Plan in der Schublade gehabt, sondern da auf einmal die Idee gehabt, ja, jetzt machen wir was Eigenes. Und dann haben wir uns ein paar Tage später mit, sag ich mal, klaren Kopf wiedergetroffen und haben uns alle mal tief in die Augen geschaut und überlegt, ob wir das wirklich wollen, keiner hat ne Vorstellung davon gehabt, was uns erwartet, was auf uns zukommt, und ja, dann haben wir gesagt: Dann machen wir das!"
Der Bundesligaverein HSV ist nun eine AG, und die rund 80.000 Mitglieder sind irgendwie auch ausgegliedert. Sie sollen nur noch zuschauen und jubeln – wenn es denn einen Grund gibt. Verfehlte Einkaufspolitik oder falsche Trainerentscheidungen sind zwar ärgerlich, aber Tamara Dwenger und ihren Mitstreitern ging es um etwas ganz was anderes. Man wollte sich einbringen und gehört werden.
Tamara Dwenger: "Mitgestalten ist zum Beispiel, wenn man mal ins Stadion guckt, kann man ja sehen, zumindestens war es bis zu meiner Zeit noch so, dass diese roten Sitze oben in den Ecken sind. Da fragt man sich natürlich, warum hat ein Verein, dessen farben blau-weiß-schwarz sind, rote Ecken, ja, das hing damit zusammen, dass Bernd Hoffmann damals die Idee hatte, so`n Smartiesitzverfahren wie in Düsseldorf das der Fall ist, weil wenn das Stadion nicht voll ist, dass es voller aussieht. Das ist zum Beispiel etwas, wo damals die Abteilung Fördernde Mitglieder aufbegehrt hat und hat gesagt. So ne Scheiße wollen wir hier nicht haben!"
Nils Kuntze Braack: "Jaa, Dauerkarte hab ich noch, aber ich weiß, dass viele Mitglieder von uns, hier von Falke, die gehen eben nicht mehr hin."
Nils Kuntze-Braack, Obmann vom HFC Falke, der mit seiner Abspaltung vom HSV bundesweit für Aufsehen gesorgt hat, vor allem auch unter Fans.
Nils Kuntze Braack: "Neun Fanclubs, die auf die ganze Bundesrepublik verteilt sind, der südlichste ist in Garmisch-Partenkirchen, der hat sich aber auch aus dem Fanclub, HSV-Fanclub rekrutiert, und da sind wir auch mächtig stolz drauf, weil es kommen zu jedem Spiel Leute aus verschiedensten Richtungen Deutschlands, ob es aus dem Sauerland ist, aus Düsseldorf, aus Hannover, aus Leipzig oder halt eben aus München, und das macht uns wahnsinnig stolz."
Für einen Bezirksligisten dürfte das einmalig sein. Nicht einmalig sind dagegen Abspaltungen von großen Vereinen: Der AFC Wimbledon gebar sich aus dem FC Wimbledon, auch der FC United of Manchester und Austria Salzburg sind Gründungen von Mitgliedern, die von der ausufernden Kommerzialisierung die Nase voll hatten, aber dennoch den Fußball lieben.
Und mit dem HSV? War`s das, endgültig?
Tamara Dwenger: "Nein, man kann mit nem Verein, zu dem man jahrelang hingegangen ist, nicht abschließen, jeder einzelne, der hierher kommt und ne Verbindung zum HSV hat, muss so sein eigenes Trauma so`n bisschen bewältigen, und jeder geht damit anders um, für mich persönlich ist es so, wenn der HSV alles über nem Abstiegsplatz ist, dann nehme ich das einfach zur Kenntnis, und sobald die wieder unten drin stehen, habe ich einfach mal die Sorge, dass es runter gehen könnte, aber da geht`s gar nicht so sehr um den Verein, sondern die Leute, die ich kenne, die da noch hingehen. Weil ich weiß, was es für die bedeutet, und das ist eher der Respekt dann, Leute, Freunde, mit denen man jahrelang sehr sehr viel Zeit verbracht hat, und die dann einfach, ja, man weiß, wie die leiden."
Leidenschaft für den Fußball, ja, aber für den HSV? Wenn ich mir die Tabelle anschaue, wird mir schlecht. Macht einfach keinen Spaß mehr. Aber wenn ich mich lossage, gibt`s Phantomschmerzen.
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