Familiensaga

Ein ägyptisches Sittenbild

Massenprotest auf dem Tahrir-Platz in Kairo am 2. Februar 2011
Mourad erklärt die Massenproteste auf dem Tahrir-Platz als Ergebnis von ägyptischer Geschichte. © picture alliance / dpa / Foto: Jacob Ehrbahn
Von Dina Netz · 07.11.2014
Eine Großfamilie, drei Generationen und ein dunkles Familiengeheimnis: In seinem Roman spannt der Autor Ahmed Mourad den Bogen durch die vergangenen fünf Jahrzehnte ägyptischer Geschichte. Eine fiktive Familiensaga, die gleichzeitig illustriert, warum dieses Land aus den Krisen nicht herauskommt.
Literatur aus Krisengebieten hat oft eine kurze Halbwertzeit: Wenn ein Buch erscheint, das aktuelle Ereignisse aufnimmt, sind diese Ereignisse selbst oft schon überholt. Insofern ist es erst einmal verwunderlich, dass der Lenos Verlag gerade einen Roman herausgebracht hat, der im Original in Ägypten schon 2010 in den Buchläden lag: In Ahmed Mourads "Diamantenstaub" herrscht tatsächlich noch Husni Mubarak - und das Buch endet, als sich mehr und mehr junge Menschen zu Demonstrationen auf dem Kairoer Tahrir-Platz zusammenfinden.
Trotzdem ist Ahmed Mourads Roman überhaupt nicht historisch. Er ist viel mehr als eine Momentaufnahme: Anhand dreier Generationen spannt er den Bogen durch die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und erklärt aus der Geschichte Ägyptens heraus, warum dieses Land aus den Krisen nicht herauskommt – und diese Analyse ist mindestens bis 2014 gültig.
Die Handlung setzt 1954 mit dem Großvater ein, Hanafi al-Sahâr, der schon all die Probleme mit Armut und Korruption (und die reichen Familien) kennt, mit denen noch sein Enkel zu kämpfen haben wird. Der Roman springt dann ins Jahr 2008: Sohn und Enkel von Hanafi teilen eine Wohnung in Kairo. Der Vater Hussain sitzt im Rollstuhl und beobachtet durch ein Fernglas die Umgebung. Sohn Taha arbeitet als Pharmavertreter und macht Nachtdienste in einer Apotheke. In Rückblenden wird erzählt, dass Tahas Mutter sie verlassen hat – eine Kränkung, die beide nie verwunden haben. Vater und Sohn al-Sahâr führen also ein ziemlich zurückgezogenes Leben.
Ein dunkles Familiengeheimnis
Eines Abends jedoch wird Hussain ermordet, Taha niedergeschlagen. Taha kann mit dem Tod seines Vaters nicht seinen Frieden machen. Als die Ermittlungen eingestellt werden, forscht er auf eigene Faust nach, entdeckt ein dunkles Familiengeheimnis, das Jahrzehnte zurückreicht. Seine Recherchen bringen ihn in Konflikt mit mächtigen Männern, die ihn für ihre Machtspiele instrumentalisieren.
"Thriller aus Ägypten" hat der Verlag Ahmed Mourads Roman im Untertitel genannt, was einerseits stimmt, andererseits ein wenig verkürzt ist. Denn eigentlich zeichnet Mourad ein (Un-)Sittenbild seines Landes, in dem seit Jahrzehnten Gewalt und Gier regieren. "Diamantenstaub" ist aber nicht bloß ein düsterer Politthriller und eine hintergründige Reflexion über Moral. Die Absurdität des ägyptischen Alltags, in dem Jeder seine Haut zu retten sucht, gebiert auch allerlei amüsante Szenen. Ahmed Mourad schafft zusätzlich Komik durch scharfzüngige Dialoge und witzige Beschreibungen. Über Tahas Freund Jassir, einen passionierten Kaffeetrinker, heißt es: "Man hätte sich leichter einen Kaugummi aus dem Schamhaar entfernen als ihn vom Kaffee abbringen können."
Ahmed Mourad hat Film studiert und als Fotograf gearbeitet, und das merkt man seinem Roman an: Die Situationen sind plastisch beschrieben, man hat die Szene sofort vor Augen.
Der Schluss ist ziemlich hollywoodesk und unwahrscheinlich. Aber wenn die politische Lage schon aussichtslos ist – wo anders als in der Literatur wäre ein bisschen Hoffnung erlaubt?

Ahmed Mourad: Diamantenstaub
Aus dem Arabischen von Christine Battermann
Lenos Verlag, Basel 2014
408 Seiten, 22,50 Euro

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