Familienimperium mit Raucherwaren

26.07.2007
Im Ersten Weltkrieg begann der Siegeszug der Zigarette und damit auch der Aufstieg der Familie Reemtsma, die zu einem der größten Zigarettenhersteller Deutschlands wird. Der Historiker Erik Lindner erzählt die Firmen- und Familiengeschichte betont nüchtern sachlich. Was reichlich Stoff für einen Wirtschaftskrimi abgegeben hätte, kommt hier trocken und dröge daher.
Heute kaum noch vorstellbar: es gab Zeiten, da war die Zigarette Ausdruck von Lebensart und Gesinnung. Der Raucher entschied sich bewusst für eine spezielle Marke. Für Orient- oder Virginiatabak, für die eine oder andere Weltanschauung. Der SA-Mann rauchte "Alarm", "Trommler" oder "Neue Front", der Nachkriegsdeutsche "Fox", Collie" oder "Red Rock", der Orientliebhaber "Abdulla" oder "Salem". Kurz vor dem Zusammenbruch von DDR und Sowjetunion standen "West" und "Davidoff" stellvertretend für die luxuriösen Verheißungen des kapitalistischen Systems.

Begonnen allerdings hat der Siegeszug der Zigarette erst in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges. Zuvor waren Zigarre und Pfeifentabak bevorzugte Rauchwaren. In den 20er Jahren dann machte die Zigarette in Deutschland Karriere. Eine Milliarde Zigaretten wurden 1928 monatlich verkauft. Zwei Jahrzehnte zuvor hatten ebenso viele noch für das ganze Jahr gereicht.

Die Zigarette als Markenartikel verband sich nun vor allem mit dem Namen Reemtsma. Die Geschichte dieser deutschen Unternehmerfamilie ist in einem Buch des Historikers Erik Lindner nachzulesen: "Die Reemtsmas". Lindner, langjähriger Leiter des Unternehmensarchivs der Axel Springer AG, hat sie akribisch recherchiert und auf knapp sechshundert Seiten ausgebreitet.

Er beginnt mit der Familien- und Firmengeschichte um 1910, als Bernard Reemtsma, der zuvor hauptsächlich einen Kolonialwarenhandel geführt hatte, sich auf Zigarettenproduktion konzentrierte. Seine drei Söhne Hermann, Alwin und Philipp traten in die väterliche Firma ein. Philipp F. Reemtsma wurde derjenige, der federführend unter den Brüdern, den Erfolg des Familienunternehmens begründete und es bis zu seinem Tod 1959 verkörperte. Er ist als herausragender Geschäftsmann und Marktstratege gezeichnet, als Patriarch und Pragmatiker, der sich sozial engagierte, den von den Nazis verfemten Künstler Barlach unterstützte und zugleich Hermann Göring üppige Spenden zukommen ließ.

Philipp F. Reemtsma baute seine Firma innerhalb kürzester Zeit zur Weltmarke aus. Maschinelle Produktion, ein neuartiges Vertriebsnetz, innovative Werbung brachten ihm Wettbewerbsvorteile ein. Von den Nazis anfangs als Hersteller von "Konzernzigaretten" attackiert, wusste sich Reemtsma letztlich erfolgreich durch das Dritte Reich zu lavieren und begann nach Zweitem Weltkrieg, Internierung und Gerichtsverfahren, erneut mit dem Aufbau einer marktbeherrschenden Position. Bruder Alwin, diskreditiert durch seine SS-Mitgliedschaft, wurde abgefunden.

Anfang 1957 produzierte Reemtsma dann täglich knapp 100 Millionen Zigaretten. Amerikanisch angehauchte Namen auf deutschen Zigaretten verschwanden wieder, "Ernte 23" kam.

Erik Lindner konzentriert sich auf die drei Brüder Hermann, Philipp F. und Alwin, familien- und firmenintern immer Eins, Zwei, Drei genannt. Von ihren Angehörigen erfährt man wenig, einzige Ausnahme ist der Sohn Philipps, Jan Philipp Reemtsma, der maßgebliche Firmenanteile in den 80er Jahren an Tschibo verkaufte und sich als Wissenschaftler und Mäzen einen Namen gemacht hat.

Eine ausführlichere Biographie seines Vaters, der - im Ersten Weltkrieg zweimal verwundet - sein Leben als "Kampf um Kampf" begriff, wäre interessant gewesen. Doch in Lindners Studie, die sich über lange Strecken liest wie eine Mischung aus Geschäftsbericht und Firmengeschichte, bleiben Einblicke in emotionale Beziehungen und Entwicklungen der Reemtsmas weitgehend ausgeblendet. Das mag daran liegen, dass der Autor Persönlichkeitsrechte nicht verletzen möchte. Kinder und Verwandte der drei Gründungs-Brüder leben noch und haben am Zustandkommen des Buches mitgewirkt. Klatsch und Tratsch also bleiben in diesem Buch außen vor, der Autor ist in seinen Schilderungen um größte Sachlichkeit bemüht.

Lobenswert zum einen ist das, bedauerlich zum anderen. Denn Lindners Studie liest sich mitunter mühsam und trocken. Der Stoff aber hat das Zeug zu einem Wirtschaftskrimi, hält geballtes Material für gleich mehrere hochinteressante psychoanalytische Fallgeschichten bereit, könnte beispielhaft eine deutsche Kulturgeschichte von der Weimarer Zeit bis in die 90er Jahre abgeben.

"Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie" ist ein seriöses, leicht dröges Werk geworden, das tiefer gehende Fragen nicht stellt. Als hätte es der Autor für die Herren geschrieben, die mit steifem Kragen und im Cut sich auf dem Umschlagphoto in Positur gebracht haben.

Rezensiert von Carsten Hueck

Erik Lindner: "Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie"
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007
592 Seiten, 25,00 EUR