Familienexperiment

Eine Woche ohne Plastikmüll

Ohne Plastikmüll: Lebensmittel werden in mitgebrachte Behälter gefüllt.
Ohne Plastikmüll geht es auch: Lebensmittel werden in mitgebrachte Behälter gefüllt. © Astrid Wulf
Von Astrid Wulf · 22.05.2018
Ob Joghurt, Gurken oder Müsli - Lebensmittel gibt es kaum noch ohne Plastikverpackung. Geht es denn nicht ohne den ganzen Plastikmüll? Das will Familie Krieg testen und hat eine Woche lang versucht, nur Lebensmittel ohne Verpackung zu kaufen.
Linus: "Käse, Salami, Plastikverpackungen."
Linus streckt sich, um in die hinterste Ecke des Kühlschranks zu kommen. Für den Start in die Woche ohne Plastikmüll will sich die Familie erst mal einen Überblick darüber verschaffen, wie die Dinge, die sie im Alltag so braucht, verpackt sind.
Yvonne: "Wir haben auch Joghurt im Plastikbecher, lose Gurken, Erdbeeren im Pappkarton, Heidelbeeren in der Plastikverpackung. Sehr plastiklastig."
Linus Mutter Yvonne Krieg packt Reis, Putzmittel und Einwegflaschen auf den Tisch – alles in Plastik verpackt. Sie schätzt, dass die Familie in der Woche locker drei gelbe Säcke voll macht. Der Bund für Umwelt und Naturschutz BUND geht davon aus, dass nur rund ein Drittel davon zu neuen Plastikprodukten recycelt werde, der Rest lande zum Beispiel in Baustoffen oder werde verbrannt. Yvonne Krieg ärgert sich über die schlechte Umweltbilanz von Plastik.
"Wir haben auch schon mal darüber gesprochen, dass wir ein schlechtes Gewissen haben, wenn wir fertig geschnibbelten Salat in der Plastikverpackung kaufen, wo dann auch jedes Mal die Gabel dabei ist, die wir gar nicht benötigen – einfach nur, damit es schnell geht."
Sie konnte den 13-jährigen Linus und seine 12-jährige Schwester Lilly schnell vom Experiment begeistern. Auch, wenn das bedeutet, dass sich der eine oder andere womöglich etwas einschränken muss in dieser Woche – jeder hat ja so seine eigenen Laster.

Gibt es Ketchup nur in der Plastikflasche?

Lilly: "Bei mir ist es Ketchup. Ich glaube, den gibt es nur in Plastikverpackungen."
Yvonne: "Den gibt es auch im Glas. Aber den Ketchup, den du am liebsten isst, gibt es – glaube ich – nur in der Plastikverpackung."
Eine Woche ohne Plastikmüll – Vater Gregor Krieg ist skeptisch, ob das klappt.
"Wenn man eine Batterie oder eine ganz kleine Sache kaufen möchte – es ist eine Riesenverpackung drumherum. Was gar keinen Sinn macht – nur, damit es in den Kaufhäusern besser durch den Scanner gezogen werden kann."
Alles eine Frage der Planung, denkt Yvonne Krieg und sondiert die Einkaufsmöglichkeiten. Für unverpacktes Bio-Obst und Gemüse wäre der Wochenmarkt im Ort eine naheliegende Option – der Freitagvormittag ist für die berufstätigen Eltern allerdings eher unpraktisch. Am liebsten würde Yvonne Krieg beim Supermarkt zwei Straßen weiter einkaufen.

"Ich würde gerne wissen, ob ich, wenn ich Wurst und Fleisch und Käse kaufen will an der Frischetheke, ob ich mit meiner Tupperdose vorbeikommen könnte, ob sie mir das da reinverpacken. Aus hygienischen Gründen ist das nicht erlaubt? Also – da machen Sie auch keine Ausnahme? Alles klar, dann weiß ich erstmal Bescheid. Danke!"
Die gesetzlichen Vorschriften sind streng – es gibt allerdings Sondergenehmigungen. Yvonne Krieg hat sich mit Linus auf den Weg nach Lübeck gemacht. Hier im Landwege-Bioladen gibt es Wurst und Käse unverpackt, wenn man Gefäße selber dabei hat.
Yvonne: "Ich hätte gern 100 Gramm von dem Bouche de Chevre, bitte."
Familie Krieg will eine Woche ohne Plastikverpackungen auskommen und sichtet zunächst das, was sich alles angesammelt hat.
Familie Krieg will eine Woche ohne Plastikverpackungen auskommen und sichtet zunächst das, was sich alles angesammelt hat.© Astrid Wulf
Verkäuferin: "Dann stellen Sie einmal ihre Dose auf den Tresen auf dieses blaue Tablett."

Im Unverpacktladen herrschen strenge Hygieneregeln

Nach jedem Kunden müssen das Tablett und die Greifzange gereinigt werden. Das kostet Zeit und damit Geld. Auch die Sondergenehmigung war der Marktleiterin zufolge richtig teuer. Klaus Lorenzen, Chef der Lübecker Landwege-Läden verspricht jedoch, dass die Kunden für den Service nicht draufzahlen.
"Das ist für uns ein Posten, der jenseits dessen stattfindet und wir auch sehen: Da müssen wir ja auch Lösungen schaffen. Wenn wir nicht, wer dann."
Linus packt noch eine Gurke in den Einkaufskorb. In vielen anderen Supermärkten wird ausgerechnet Bioobst- und Gemüse plastikverpackt verkauft, damit sie als Bio gekennzeichnet werden und nicht mit den konventionell hergestellten Waren vertauscht werden können. Dem deutschen Handelsverband zufolge arbeitet man an Alternativen, an Laser-Logos für Süßkartoffeln zum Beispiel.
Im Lübecker Unverpacktladen hängen unter anderem Nudeln, Linsen und Müsli in großen Glasspendern an Wänden. In den Regalen stehen Gläser mit Gewürzen, Trockenfrüchten und – sehr zu Linus Freude – Süßigkeiten:
Yvonne: "Weiße Schoki Himbeer-Thymian?"
Linus: "Mmh."
Yvonne: "Klingt auch nach meinem Geschmack. Jetzt musst du es aus dem Glas rausoperieren."
Im hinteren Bereich des Ladens befüllt Yvonne Krieg eine mitgebrachte Plastikflasche mit biologisch abbaubarem Weichspüler. Auch bei den Fertigmischungen für Linsenbratlinge und Falafelbällchen greift sie zu. An der Kasse wird gewogen – und abgerechnet.
Marktleiterin: "Dann kommt ihr auf 9 Euro 61."
Yvonne: "Gut, kann ich das mit Karte zahlen?"

37 Kilogramm Plastikmüll pro Jahr

Unverpackt-Läden gibt es mittlerweile in vielen größeren Städten. Die Preise sind etwas höher als im Discounter. Ein halbes Kilo Müsli kostet knapp drei, Nudeln zwei Euro. Allerdings gibt es hier alles in Bio-Qualität. Yvonne Krieg findet das Konzept und das Angebot gut:
"Wenn man hierherkommt, so wie ich, und schon überlegt hat, was mache ich mir nachher zu Essen, diese Linsenbratlinge und Falafelmix – dass man das unverpackt kaufen kann, finde ich superklasse."
Nach Angaben des BUND kommt jeder Deutsche im Schnitt auf 37 Kilogramm Plastikmüll im Jahr, damit liegen wir EU-weit vorne. Mit dem Unverpacktladen will Wiebke Euler eine Möglichkeit schaffen, umweltfreundlicher einzukaufen. Sie versucht, auch hinter den Kulissen Plastikmüll zu vermeiden, das geht allerdings nicht immer, sagt sie. Viele Waren bekommt sie in 25 Kilo-Säcken aus Plastik.
"Das sind alles recyclebare Materialen, keine Verbundstoffe, das ist ja oft auch eine Problematik, weil es dann einfach verbrannt werden muss, weil keine andere Möglichkeit da ist, da sind schon die Lieferanten in der Verantwortung und machen es so, dass das immer möglich ist."
Auch ToGo-Becher und Tetrapaks bestehen aus diesen Verbundstoffen und sind für viele Verbraucher besonders schlecht als Plastikmüll erkennbar. Was sich anfühlt und aussieht wie Pappe, besteht nach Angaben des BUND nämlich bis zu einem Drittel aus Kunststoff – und dieser Materialmix ist besonders schlecht zu recyceln. Mehrwegflaschen und wiederverwendbare Kaffeebecher seien hier die besten Alternativen.
Am Sonntagabend ist das Experiment überstanden. Beim Abendbrot stehen unter anderem der unverpackte Käse, Milch in Mehrwegflaschen, Linsenbratlinge und Ananas auf dem Tisch. Die Familie ist sich einig: Die Woche war anstrengender als gedacht. Gerade auf dem Land würden sich die Kriegs mehr Möglichkeiten wünschen, vor allem Obst und Gemüse plastikfrei und in Bioqualität einkaufen zu können. Der Markt findet nur einmal die Woche statt, die Auswahl in Hofläden ist übersichtlich – Unverpacktläden oder größere Biomärkte gibt es nur in den umliegenden Städten.

Manche Artikel gibt es nicht ohne Verpackung

"Da sind einfach die Wege zu weit, das macht ja keinen Sinn. Ich verzichte der Umwelt zuliebe auf Plastik und fahre dann 50 Kilometer nach Lübeck und Hamburg, um mir meine unverpackten Lebensmittel zu holen."
Mit rund 40 Euro zusätzlichen Spritkosten hat die plastikfreie Woche zu Buche geschlagen. Für die Einkäufe selbst hat die Familie nicht viel mehr ausgegeben als normalerweise, schätzt Yvonne Krieg – vermutlich, weil sie bewusst und weniger eingekauft hat. Dabei sind die Kriegs immer wieder an ihre Grenzen gestoßen. An plastikverpacktem Toilettenpapier kam sie nicht vorbei, die Lieblingschips gibt es auch nur aus der Plastiktüte. Auch spontane Hungerattacken ließen schon mal alle guten Vorsätze vergessen. Die Familie will dranbleiben und in Zukunft zumindest weniger Plastikmüll produzieren, sagt Gregor Krieg.
"Dass man nicht nur kleine Mengen kauft, sondern gleich – wenn es haltbare Dinge sind, größere Mengen und das dann zuhause weiterverpackt. Dass man gar nicht so viel Verpackungsmüll hat."
Trotz der Schwierigkeiten ist die Familie ganz zufrieden mit sich. In der Abseite, wo sich bis zu drei gelbe Säcke pro Woche ansammeln, hängt nur ein Sack – und der ist gerade mal halbvoll.
"Also diese Woche sieht der Verpackungsmüll schon ein bisschen entspannter aus. Es ist schon was in dem Sack gelandet, aber es ist längst nicht so viel wie sonst."
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