Familie

Keimzelle der Gesellschaft in Gefahr

Eine Urlauberfamilie geht am bei stürmischen Regenwetter im hessischen Willingen spazieren.
Eine Urlauberfamilie geht am bei stürmischen Regenwetter im hessischen Willingen spazieren © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Von Winfried Dolderer · 03.01.2015
Der Sammelband "Familie - Auslaufmodell oder Garant unserer Zukunft?" bündelt eine Vielzahl alarmierender Diagnosen. Doch Therapievorschläge für die Zukunft der Familie bietet er kaum.
Es ist ein Fanfarenstoß, der dieses Buch eröffnet. Der Philosoph Gerd Achenbach rechnet ab. Mit dem ganzen "modernitätskonformen Drunter und Drüber" rasch wechselnder Verhältnisse, Beziehungen, Trennungen. Mit der "Selbstbezogenheit der Gegenwärtigen", der Borniertheit des modernen Menschen, seiner "Selbstauslieferung an Wunschvorstellungen".
"Soll ich mir etwa die Beziehungsabenteuer mit jeweils ausgetauschten Lebensabschnittspartnern als 'Familie heute' aufschwatzen lassen?"
Achenbach denkt gar nicht daran. Stattdessen hält er dem modernen Tohuwabohu ein Leitbild entgegen. Familie als Anerkennung unwiderruflich eingegangener Verbindlichkeit. Als Gegenentwurf zur individuellen Selbstverwirklichung also.
Familie ist das Band zwischen längst verstorbenen Vorfahren und ungeborenen Nachkommen. Ihr Fundament die Unmöglichkeit der freien Wahl. Der Einzelne hat sich in ihr zu bewähren, indem er wird, wie er sein muss, um den Ansprüchen der Familie zu genügen.
"Es ging und geht um Kontinuität, um Dauer, um Verlässlichkeit, Beständigkeit, Verbindlichkeit, es geht - ... für zeitgenössisch eingestimmte Ohren grässlich anzuhören – um Unverbrüchlichkeit."
Muss es unbedingt so sein? Auch unter den Autoren dieses Sammelbandes findet man verschiedene Meinungen.
Abschied von Tradition und Bindungen
Im islamischen Kulturkreis ist Achenbachs Leitbild weithin intakte Realität. Die deutsch-türkische Publizistin Seyran Ateş erinnert an die Schattenseiten: archaisch patriarchalische Strukturen, häusliche Gewalt und Unterdrückung. Darüber nicht zu diskutieren, hält sie für ein Modernitätsdefizits.
Der Abschied von Tradition und Bindungen lässt die Herausgeber voller Sorge fragen, ob Familie nun ein Auslaufmodell sei oder immer noch ein Garant für die Zukunft – was für die Mehrzahl der Autoren eigentlich keine Frage ist. Dass Familie eine Keimzelle der Gesellschaft sei, ist in ihren Beiträgen die meist strapazierte Metapher. Sie wird belegt mit aktuellen Umfragen, denen zufolge ein glückliches und stabiles Familienleben ganz oben auf der Wunschliste junger Menschen steht.
Indes klaffen Wunsch und Wirklichkeit oft auseinander. Mit Geburtenschwund und demografischem Wandel verabschiede sich Deutschland als Kulturvolk von dieser Erde, warnt der Ökonom Hans-Werner Sinn. Bertram Zitscher, Geschäftsführer des CDU-Wirtschaftsrates in Schleswig-Holstein, beklagt, dass eine Politik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Ein-Kind-Familie Vorschub leiste.
Der CDU-Politiker Philipp Mißfelder bedauert einen egoistischen Wandel der Gesellschaft mit dem Ziel völliger Beliebigkeit menschlicher Beziehungen, den er den Achtundsechzigern zur Last legt. Und der katholische Moraltheologie Eberhard Schockenhoff warnt davor, die "ehebezogene Familie" mit anderen Formen des Zusammenlebens auf eine Stufe zu stellen.
"Eine Gesellschaft, die nicht mehr gewillt wäre, Ehe und Familie als Grundeinheiten ihres sozialen Zusammenlebens gegenüber anderen Lebensformen in besonderer Weise zu fördern, würde ihre eigenen Kohäsionskräfte schwächen und zugleich ihren Mitgliedern notwendige Orientierungsvorgaben vorenthalten."
Nachhaltig und zukunftsfähig?
Über 600 Seiten, 41 Autoren und Herausgeber, 32 qualitativ wie inhaltlich sehr unterschiedliche Beiträge. Eine kunterbunte Mischung, zugleich Festschrift zum 75. Geburtstag des Rechtsanwalts und Mittelstandslobbyisten Brun-Hagen Hennerkes, der auch Vorsitzender der "Stiftung Familienunternehmen" ist.
Wie ein roter Faden zieht sich durch den Sammelband der nicht abwegige Zweifel, ob unser Gesellschaftsmodell, das auf individuellem Glücksstreben beruht, nachhaltig und zukunftsfähig sei.
Buchvover: "Familie - Auslaufmodell oder Garant unserer Zukunft?"
Buchvover: "Familie - Auslaufmodell oder Garant unserer Zukunft?"© Herder Verlag
Der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg verweist auf die Mahnungen des Bundesverfassungsgericht, dass die sozialen Sicherungssysteme Kinderlose nicht besser stellen dürften als Mütter und Väter, Mahnungen, die von der Politik beharrlich ignoriert würden.
Weshalb der Ökonom Sinn Kinderlose verpflichten möchte, den Anteil des Einkommens, den Familien für ihre Kinder ausgeben, in eine Privatrente zu investieren, andernfalls wäre die gesetzliche Solidarrente bald überfordert.
"Deutschlands demografische Zeitbombe tickt ... Die Babyboomer ahnen noch nicht, was ihnen blüht ... Das schöne Leben wird in etwa 15 Jahren jäh in Verzweiflung umschlagen, wenn alle Babyboomer gleichzeitig in die Rente gehen und von Kindern ernährt werden wollen, die es nicht gibt."
Alarmierende Diagnosen. An Therapievorschlägen findet sich außer schönen Worten und Appellen nicht viel.

George Augustin, Rainer Kirchdörfer (Hg): Familie
Auslaufmodell oder Garant unserer Zukunft?
Herder Verlag Freiburg, November 2014
304 Seiten, 20,00 Euro
rezensiert von Winfried Dolderer

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