Fairer Handel mit braunen Bohnen

Von Andreas Boueke · 22.06.2010
Kaffee ist nach Zucker das wichtigste landwirtschaftliche Exportprodukt Guatemalas. Etwa 30 kleinbäuerliche Genossenschaften exportieren fair gehandelten Kaffee und einzelne von ihnen bemühen sich besonders um die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen.
Antonia Txox: "Kaffeepflanzen sind wie Kinder. Du musst sie jeden Tag pflegen, damit sie gesund aufwachsen. Außerdem musst du all die Dinge tun, die dir die technischen Berater erklären: für Schatten sorgen, bewässern, beschneiden. Das alles ist wichtig, denn der ganze Lohn ist nur für dich. Das ist viel besser, als auf einer Plantage zu arbeiten. Da machst du mit deiner Arbeit immer nur andere Leute reich."

Antonia Txox ["Tschósch"] ist eine kleine, zierliche Frau anfang fünfzig, die ihr pechschwarzes Haar zu einem Zopf geflochten trägt. Sie spricht Quiche, die Sprache eines großen Teils der Mayabevölkerung im Westen Guatemalas.

Eine Freundin von Antonia Txox übersetzt ins Spanische, die Landessprache Guatemalas.

"Ihr Mann ist gestorben, weil er zu viel Alkohol getrunken hat. Sie ist mit ihren sechs Kindern zurückgeblieben. Der Kleinste ist heute fünfzehn Jahre alt."

Antonia und ihre Familie wohnen drei Stunden Autofahrt von der Pazifikküste entfernt in einer Hütte aus morschem Holz in dem Hochlanddorf Pasac. Hier leben knapp tausend Menschen, alle aus dem Volk der Maya-Quiche. Antonia Txoxs jüngste Tochter, die 16-jährige Manuela, steht in ihrer Hütte vor einem einfachen Ofen aus Lehmsteinen. Sie rollt eine Masse gemahlener Maiskörnern zu Kugeln, die sie dann durch das Aufeinanderklatschen der Hände zu kleinen Fladen ausbreitet. Manuela trägt die hübsche Tracht der Mayafrauen dieser Region, einen blauschwarzen Rock mit bunten Streifen und eine gewobene Wollbluse mit farbenprächtigen Blütenmustern.

"Unser Leben wurde hart, als mein Vater starb. Wir hatten oft nichts anzuziehen und keine Medikamente. Wenn ich krank war, gab mir meine Mutter Tees und Kräuter. Wir hatten nicht genug zu essen und ich war sehr traurig."

Nach dem Tod ihres Mannes musste Antonia Txox ihre Kinder allein durchbringen. Aber sie meint, die Umstellung sei nicht so schwierig gewesen, weil sie schon zu der Zeit, als er noch lebte, selbst die meisten Aufgaben übernommen hat, um ihrer Familie Halt zu geben.

"Das Leben einer Frau an der Seite eines verantwortungslosen Mannes ist hart. Wegen des Alkohols gibt es nie Ruhe und die Mutter muss den Kindern alles geben, was sie brauchen. Der Vater kümmert sich um nichts."

Antonia Txox besitzt eine kleine Parzelle - weniger als zweitausend Quadratmeter Land. Dort baut sie Gemüse an, Mais und Bohnen, für den Eigenbedarf. Außerdem Kaffee, für den Verkauf. Morgens ziehen dichte Nebelschwaden durch die Region. Die Sonne scheint viel seltener auf die Kaffeepflanzen als in dem nur fünfzig Kilometer entfernten Küstengebiet. So reifen die Kirschen nur langsam heran. Die Bohnen entwickeln eine ausgezeichnete Konsistenz und ein intensives Aroma. Sobald Doña Antonia über ihren Kaffee spricht und über die Kooperative Nahuala, erscheint ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Der Kooperative hat sie sich vor einigen Jahren angeschlossen.

"Mein Mann hatte das Feld brachliegen lassen. Es gab hier nichts als Gras und Unkraut. Erst nach seinem Tod habe ich erfahren, dass es im Dorf eine Organisation gibt, eine Kaffeekooperative, die Ausbildungsseminare durchführt. So habe ich gelernt, dass diese Parzelle meine Lebensgrundlage sein kann. Der Vorstand hat mir sein Vertrauen geschenkt und mir einen Mikrokredit gegeben. Von da an hat sich mein Leben deutlich verbessert."

Die Kooperative Nahuala mit ihren 116 beteiligten Familien ist der Motor der Gemeindeentwicklung des Ortes Pasac. Seit ihrer Gründung vor bald 50 Jahren haben die Mitglieder immer bessere Preise für ihren Kaffee bekommen als die anderen Kleinbauern der Region. Die müssen an die lokalen Zwischenhändler verkaufen.

Juan Choc, der Vorsitzende der Genossenschaft, sitzt in einem kleinen, spartanisch ausgestatteten Büro neben der Lagerhalle. Die Erntesaison ist seit Wochen vorbei. In der großen Halle liegen noch ein paar leere Säcke neben schmutzigen Plastiktonnen. Man kann sich gut vorstellen, dass sie noch vor Kurzem bis zum Rand mit Kaffeekirschen gefüllt waren. Juan Choc meint, der faire Handel habe dazu beigetragen, dass sein Dorf die Preiskrise im Kaffeehandel vor rund zehn Jahren unbeschadet durchgestanden hat und die extreme Armut überwinden konnte.

"Der gerechte Handel war während der Krise eine wichtige Alternative. Im gerechten Handel ist der Preis festgeschrieben. Auch wenn der Weltmarktpreis deutlich fällt, zahlt der gerechte Handel immer denselben Preis."

Die Popularität des gerechten Handels nimmt weltweit zu. Heute möchten selbst multinationale Kaffeekonzerne mit fair gehandeltem Kaffee ihr Image aufpolieren. Einige haben Zwischenhändler ausgeschaltet, um den Produzenten deutlich bessere Preise zahlen zu können.

Ähnlich funktioniert das Prinzip des fair gehandelten Kaffees mit dem TransFair-Gütesiegel. TransFair-Produkte werden heute in den meisten deutschen Supermarktketten angeboten. So haben die Konsumenten die Möglichkeit, die Lebensbedingungen einiger Kleinbauern und ihrer Familien zu verbessern. Doch global gesehen machen die Anbieter von fair gehandeltem Kaffee mit ihrem Absatz noch immer nur einen sehr geringen Anteil des Gesamtmarktes aus. Der Entwicklungssoziologe Georg Krämer beschäftigt sich seit langer Zeit mit diesem Thema.

"Das machen die Deutschen seit 1970 mit dem mageren Ergebnis, dass wir heute zwei bis drei Prozent des deutschen Kaffeemarktes entweder fair oder bio haben. Etwa zwei Prozent kann man vermuten, sind fairer Kaffee am gesamten deutschen Kaffeemarkt."

Bei dieser niedrigen Menge kann der faire Handel die Lebensbedingungen eines Großteils der Tagelöhner in Ländern wie Guatemala nicht beeinflussen. Um auch die Situation der Arbeiter auf den großen Kaffeeplantagen zu verbessern, müsste sich nicht nur das Kaufverhalten der Konsumenten ändern, sondern auch die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Anbauländer.

Doña Antonia interessiert sich nicht besonders für Politik. Zeitungen kann sie nicht lesen und die Radionachrichten auf Spanisch versteht sie nicht. Normalerweise verbringt sie tagsüber viel Zeit auf ihrem Feld, oder in dem Garten vor ihrer Hütte, in dem sie kleine Kaffeepflanzen aufzieht.

"Der Kleinkredit der Kooperative war meine Rettung. Die Banken hier würden einer Frau wie mir nie einen Kredit geben. Es gibt auch Leute im Dorf, die Geld verleihen, aber die nehmen hohe Zinsen. Denen musst du zehn Prozent zahlen - im Monat. Der Genossenschaft habe ich zwanzig Prozent im Jahr bezahlt. Das war nicht so schlimm. Außerdem habe ich einen Spaten, eine Harke und anderes Werkzeug geschenkt bekommen. Heute habe ich keine Schulden mehr."

Die Mitglieder der Kooperative werden einmal im Jahr zu einer Generalversammlung zusammengerufen. Das Treffen findet in der Lagerhalle statt. Die Campesinos kommen zusammen, um Finanzpläne zu diskutieren, über Verteilungsquoten zu entscheiden und neue Produktionsmethoden kennenzulernen.

Sobald die erste Pause beginnt, holt sich Antonia Txox ein süßes Brot und eine Tasse Kaffee. Sie setzt sich im Hof vor der Halle neben zwei Freundinnen auf einen alten Steinblock, um Neuigkeiten aus dem Dorf auszutauschen.

Noch vor wenigen Jahren waren ausschließlich Männer als formale Mitglieder in der Kooperative Nahuala organisiert. Frauen hatten nicht die Freiheit, an den Sitzungen des Vorstands oder der Generalversammlung teilzunehmen. An den Entscheidungsprozessen waren sie sowieso nicht beteiligt.

Antonia: "Es war selbstverständlich, dass die Frau in der Küche blieb, dass sie die Kleider wäscht und das Essen macht. Der Mann hat ihr verboten, auf die Straße zu gehen und mit anderen Frauen zu reden. An den Versammlungen hat immer nur der Mann teilgenommen. 'Das ist nichts für dich', hat er gesagt. 'Ich habe dir das Haus gebaut, damit du hier deine Ruhe hast.' Unsere Großväter haben ihre Frauen noch geschlagen, damit sie nicht aus dem Haus gehen.
Gott sei Dank ändert sich das jetzt. Viele Männer haben erkannt, dass sie den Frauen mehr Freiheit geben müssen. Nur so kann sich eine Gemeinde entwickeln."

Noch vor wenigen Jahren wurde der Beitrag, den die Frauen mit ihrer Feldarbeit geleistet haben, von den männlichen Genossenschaftlern weitgehend ignoriert. Doch mit der Zeit hat sich das verändert. Die Sozialarbeiterin Irma Barera bemüht sich darum, diesen Prozess zu beschleunigen. Sie ist eine junge Frau mit Universitätsausbildung, engen Hosen und einer modischen Lederjacke. Auf den ersten Blick erscheint sie in dem Dorf Pasac ein wenig fehl am Platz. Als Frauenreferentin der Föderation guatemaltekischer Kaffeekooperativen, FECEG ist ihr eigentlicher Arbeitsplatz ein Büro im Zentrum der Stadt Quetzaltenango, drei Stunden Autofahrt von Pasac entfernt.

Der letzte Teil des Wegs führt über eine enge Piste voller Schlaglöcher, die ab und zu in Gemeinschaftsarbeit von den Genossenschaftsmitgliedern ausgebessert wird. Durch ihre Arbeit für die Föderation hat Irma Barera das erste Mal in ihrem Leben Einblick in die Lebensumstände der Frauen auf dem Land bekommen.

"Der Machismo war hier allgegenwärtig. Die Frauen haben gearbeitet, aber nur die Männer wurden für den Kaffee bezahlt. Heute fördern wir den 'café feminino'. Das ist ein großer Schritt. Immer mehr Frauen beteiligen sich an den Kaffeeprojekten der Kooperativen."

Seit drei Jahren wird die Produktion der Frauen der Kooperative Nahuala als eigene Marke vertrieben, als "café feminino". Sie bekommen einen Aufpreis von zwei US-Dollar pro hundert Pfund getrockneter Kaffeebohnen. Das ist zwar nur ein Bonus von etwa einem Prozent, aber zudem gibt es viele zusätzliche Fortbildungsangebote zu Themen wie Schädlingsbekämpfung und Buchhaltung, aber auch Gesundheitsvorsorge, Kindererziehung und die Stärkung der Rolle der Frau innerhalb der Dorfgemein-schaft. Irma Barera ist sich sicher, dass die Initiative "café feminino" das Selbstvertrauen vieler Frauen gestärkt hat.

"Die meisten Frauen sind noch immer sehr schüchtern. Sie reden nicht mit Menschen, die sie nicht gut kennen. Deshalb arbeite ich neben der landwirtschaftlichen Ausbildung auch daran, dass sie sich mehr an den Entscheidungsprozessen beteiligen. Denn von sich aus sprechen viele fast überhaupt nicht."

Die Kooperative Nahuala vertreibt ihren Kaffee vorwiegend über Handelspartner in den USA und Europa, die sich den Prinzipien eines gerechten Welthandels verschrieben haben. So kann die Kooperative mit einem festen Abnahmepreis rechnen, der meist deutlich über dem Preis liegt, den die lokalen Zwischenhändlern zahlen. Der "café feminino" wird bisher nur in den USA vertrieben. Das soll sich ändern. Anfang diesen Jahres war Juan Choc, der Vorsitzende der Kooperative Nahuala, auf der BioFach-Messe in Nürnberg.

"Wir haben Kontakt zu einigen Firmen aufgenommen und sind auf großes Interesse gestoßen. Der 'café feminino' der Kooperative Nahuala soll auch auf dem europäischen Markt angeboten werden. Nach der letzten Ernte haben wir den Kaffee für 205 Dollar an den gerechten Handel verkauft. Auf dem lokalen Markt oder an der New Yorker Börse wurden maximal 130 bis 135 Dollar gezahlt."

Für die Genossenschaftler ergeben sich aus ihrer Beteiligung am gerechten Handel konkrete Vorteile. Aber sie müssen auch einiges leisten. Eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg ist die Verwendung umweltschonender Anbaumethoden.

Unbesorgt greift Antonia Txox in ein großes Becken, in dem organischer Dünger für die Kaffeefelder der Kooperative Nahuala hergestellt wird. Mit beiden Händen hebt sie einen Haufen schwarzer Erde heraus, in dem sich mindestens 30 agile Regenwürmer tummeln. "Uy, das kitzelt...", kichert sie, während sie den Kompost stolz vorzeigt. Das Becken aus Beton ist mit organischem Abfall vom Markt und aus den Haushalten der Nachbarn der Umgebung gefüllt. Der Müll wird mit dem Fruchtfleisch der geernteten Kaffeekirschen vermengt. Diese Masse muss feucht gehalten werden, sodass sich Tausende Regenwürmer schnell reproduzieren. Innerhalb weniger Wochen verdauen die glitschigen Tierchen den Abfall. Es entsteht eine nährstoffreiche Erde, die auf den Kaffeefeldern verteilt wird. So kann der Einsatz von Chemikalien auf ein Minimum reduziert werden.

Antonia Txox macht sich keine Sorgen wegen der Gefahren durch den Einsatz von Chemikalien. Sie könnte es sich auch gar nicht leisten, ihr minimales Kapital für den Kauf von Pestiziden auszugeben. Umso stolzer ist sie auf ihre organische Kaffeeproduktion.

"Wir selbst trinken ausschließlich Kaffee, den ganzen Tag lang immer nur Kaffee. Milch oder Hafersuppe ist uns zu teuer."

Sie gießt sich eine große Tasse voll mit einer leicht bräunlich gefärbten Flüssigkeit. In Deutschland würde man das wohl nicht Kaffee, sondern "Zuckerwasser mit etwas Kaffeegeschmack" nennen.

"Mir schmeckt das. Ein guter Geschmack, weil er organisch ist, nicht chemisch. Kaffee und Zucker. Sonst nichts."