Faire Blumen aus Kenia

Rosenlieferant für Europa

Eine kenianische Blumenfarm am Naivasha See.
Eine kenianische Blumenfarm am Naivasha See. © imago
Von Caspar Dohmen · 23.01.2017
Kenia ist der wichtigste Produzent von Schnittblumen in Afrika. An internationalen Festtagen liefert das Land Blumen in die halbe Welt. Einige Farmen produzieren Blumen für den fairen Handel. Was haben Mensch und Umwelt davon?
"Der faire Handel hat mein Leben verändert", sagt die 36-jährige Ether Wangari. Sie lebt in einem einfachen einstöckigen Haus am Naivasha See in Kenia, anderthalb Autostunden von der Hauptstadt Nairobi gelegen. An der gegenüberliegenden Uferseite streifen Löwen, stolzieren Giraffen und stampfen Elefanten durch die Savannenlandschaft. Auf der hiesigen Uferseite stehen unzählige Gewächshäuser und Siedlungen wie die, in der Ether Wangari lebt.
In ihrem Wohnraum stehen sechs Sessel um einen kleinen Tisch und auf einer Anrichte ein Fernseher, ein Radio und einige persönliche Dinge wie ein kleines Holzpferd. Ether Wangari hat hart gearbeitet für ihr Haus, und dass sie es geschafft hat, dürfte viel mit der Energie und Ausdauer zu tun haben, die sie ausstrahlt – aber es hängt auch mit etwas anderem zusammen: mit dem fairen Handel.
Wie viele andere in dieser Region hat Ether auf einer Blumenfarm Arbeit gefunden. 90.000 Menschen arbeiten auf den rund 170 Blumenfarmen in Kenia. 28 der Farmen produzieren Blumen für den fairen Handel. Kenia liefert mehr als jede zehnte Schnittblume in die EU, bei Rosen sind es sogar vier von zehn.

Fußballfeldgroße Gewächshäuser voll giftiger Chemikalien

Ether Wangari brach die Schule ab, als sie ein Kind bekam. Der Vater des Kindes ließ sie sitzen. Damals - Mitte der neunziger Jahre – blühte in Kenia gerade das Geschäft mit Rosen auf, die vor allem für die europäischen Verbraucher angepflanzt wurden und werden. Ausländische Geschäftsleute investierten in der Region nahe am Äquator, die klimatisch ideale Bedingungen für Blumen bietet.
Einer von ihnen ist Igal Elfezouaty, Texaner mit kenianischen Wurzeln. Der Unternehmer steht inmitten seines Betriebs, Panda Flowers. Hier gibt es mehrere fußballfeldgroße Gewächshäuser, in denen Arbeiter die Rosenstöcke kultivieren. Dabei werden Pestizide gespritzt, es wird aber auf besonders giftige Chemikalien verzichtet. Zudem müssen die Arbeiter Schutzkleidung bei der Spritzarbeit tragen und die Pflückerinnen dürfen für eine bestimmte Zeit die behandelten Gewächshäuser nicht betreten.
Rosen liegen am 17.04.2015 in Frankfurt am Main (Hessen) im Perishable-Center auf dem Flughafen in einem Karton, nachdem sie kurz zuvor aus Kenia eingetroffen sind.
Rosen aus Kenia in einem Karton am Flughafen in Frankfurt am Main. © picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Acht Wochen wachsen die Rosen, dann werden sie geschnitten, heruntergekühlt, verpackt und mit Kühl-Lastwagen zum Jomo Kenyatta Airport in Nairobi gebracht, von wo aus die Flieger nach Europa abheben. Igal Elfezouaty sagt: "Wir sind keine NGO. Wir sind ein gewinnorientiertes Unternehmen." Und: Durch Fair Trade erziele die Farm keine zusätzlichen Erlöse. "Die Wahrheit ist, dass es zunächst einmal kostet, fairen Handel zu betreiben."
Da seien die Kosten für die Zertifizierung der Farm, die Schutzkleidung, höhere Löhne und feste Arbeitsverträge für die Beschäftigten, sobald sie länger als drei Monate auf der Farm tätig sind. Aber auf Nachfrage fallen dem Unternehmer dann doch noch einige wirtschaftliche Vorteile ein, die sich für ihn aus dem fairen Handel ergeben:
"Ich benutze es als Managementinstrument. Wir haben jedes einzelne Label, nicht nur fairen Handel. Es ermöglicht ein konstantes Monitoring der Farm durch Dritte. Als der Besitzer einer Farm möchte ich stetig gewährleisten, dass die Motivation der Belegschaft auf dem höchsten Stand ist und das ständige Monitoring hilft mir sehr dabei."

"Fair Trade hat unser Leben verändert"

Für die Arbeiter hätten sich die Arbeitsbedingungen auf der Farm dramatisch verändert. Kenias Blumenfarmer standen oft in der Kritik, wegen der Ausbeutung von Mensch und Natur. Ungehemmt entnahmen sie Wasser aus dem See für die Bewässerung der Blumen und verseuchten Böden und See mit hochgiftigen Pestiziden. Mit den Arbeitern sprangen die Farmer nach Gutdünken um. Anfangs auch auf der Pandafarm. Ether Wangari hat es als junge Frau erlebt. Sie sagt:
"Ich arbeite hier seit 1998. Wir hatten keine Jobsicherheit. Du konntest heute beschäftigt und morgen gefeuert werden. Wir arbeiteten die ganze Woche, von Montag bis Sonntag und dann wieder von Montag bis Sonntag. Die meisten unserer Kinder konnten keine weiterführende Schule besuchen, weil der Lohn sehr gering war. Aber 2003 – als wir vom fairen Handel zertifiziert wurden – veränderte sich unser Leben."
Auf der Farm wurde eine Arbeitervertretung eingerichtet, wie es das Fair-Trade-System vorschreibt, ein sogenannter Joint Body oder kurz JB, wie sie hier alle sagen.
"Die Aufgabe des JB ist es, eine Brücke zwischen den Arbeitern und dem Management zu bilden. Ich war die erste Vorsitzende. Ich wurde von den Arbeitern demokratisch gewählt, 2003, als wir Fair Trade zertifiziert wurden. Ich hatte die Möglichkeit das Management zu treffen und das Management konnte meine Führungsqualitäten sehen. Ich habe Führungsfähigkeit in mir."
Die alleinerziehende Mutter besuchte Abendkurse, lernte Englisch, bekam Trainingseinheiten auf der Farm und wurde befördert. "Ich wurde zur Vorarbeiterin befördert. Ich hatte 15 Arbeiter zu führen. Dann wurde ich befördert zur Oberaufseherin. Heute beaufsichtige ich die Aufseher, nicht mehr die Arbeiter."

Endlich genügend Geld für ein neues Geburtshaus

Ether steht vor einem großen Gebäude, welches den Arbeitern selbst gehört. In einem der Räume findet eine Gesundheitsschulung statt. Auf dem Tisch liegen eine Babypuppe und medizinisches Gerät. Zwei Dutzend Frauen und Männer lauschen dem Sozialarbeiter und sprechen ihm nach.
In einem anderen Raum steht eine Maismühle. Hier produzieren die Arbeiter für sich selbst günstiges und sauberes Maismehl. Ist das Geld knapp, können sie anschreiben lassen. Keine Mutter müsse sich bei der Arbeit darum sorgen, dass sie ihre Kinder hungrig zu Hause zurückgelassen habe, sagt Ether. Die Farmarbeiter haben selbst jemanden eingestellt, der das Grundnahrungsmittel mahlt und verkauft. Neben dem Gebäude steht ein Hühnerstall mit einigen hundert Tieren – das bedeutet Eier und Fleisch für den Eigenverbrauch. All diese Projekte haben die Arbeiter aus der Fair-Trade-Prämie bezahlt.
Den Aufpreis zahlen die Importeure der Rosen, einige Cent je Bund Rosen. Von manchen Projekten profitieren sogar Menschen in der gesamten Region. Denn die Arbeiter aus sechs Fair Trade-zertifizierten Blumenfarmen haben Geld zusammengelegt und damit das neue Geburtshaus der örtlichen Klinik zur Hälfte finanziert.
"Das hatte eine große Wirkung", sagt Ruth, die seit zehn Jahren hier als Hebamme arbeitet. "Es gab rund 300 Geburten pro Monat, die Zahl hat sich verdoppelt. Mütter kommen von weit her, aus einem Umkreis von hundert Kilometer, einige sogar aus Nairobi. Die Geburt ist hier günstig und die Klinik ist auf alles vorbereitet, kann beispielsweise auch Kaiser-schnitte durchführen."
Auch Frühgeborene sind hier bestens aufgehoben. Zwei räkeln sich in den beiden Brutkästen im Nebenraum, zwei andere werden gerade von ihren Müttern gestillt. In dem neuen Geburtshaus wurde die Säuglingssterblichkeit halbiert.

Die Arbeitsbedingungen unterscheiden sich enorm

Wer mit einem Kleinbus am Naivasha See entlang fährt, kommt zur Buffalo Mall, dem ersten modernen Einkaufszentrum. Angeschlossen ist eine Filiale der Kaffeehauskette Java House. Auf der Terrasse stehen große Holztische und rote Sonnenschirme. Innen ist das Kaffeehaus voll, auf der Terrasse ist es leer. Hier wartet Wesley Siele. Er war Personalchef bei Finleys, einer der großen Blumenfarmen Kenias. Seit zehn Jahren arbeitet er bei dem Verband der landwirtschaftlichen Unternehmer. Zu diesem gehören auch 79 kenianische Blumenfarmen.
"Wir arbeiten mit beiden Firmen zusammen," sagt er, "mit den fair Handelnden und den anderen. Es gibt einen großen Unterschied zwischen beiden. Ein Teil davon sind die Sozialleistungen, welche die Beschäftigten erhalten. In den meisten Fällen denken die Unternehmer, je weniger sie zahlen desto besser."
In den vergangenen Jahren kam es auch am Naivasha See regelmäßig zu wilden Streiks auf den Blumenfarmen. Bei Twiga Roses legten im Sommer 2015 hunderte Arbeiter Schere, Schaufel und Spritze nieder. Ihr Frust war gewaltig: miese Löhne, miserable Wohnverhältnisse und mangelhafter Schutz gegen Krankheiten. Sicherheitskräfte griffen ein, es gab Schlägereien. Twiga feuerte kurz darauf tausend Arbeiter. Siele schenkt sich Kaffee nach. Er sagt, es gebe Druck vom Markt, die Bedingungen für Mensch und Umwelt zu verbessern:
"Der Markt neigt dazu, auf die Blumen mit dem Mikroskop zu schauen, auf jeden kleinen Fehler. Bei den anderen schauen sie nicht hin. Wenn Du die Zustände auf einer Farm, besonders bei Gemüsefarmern anschaust, schneiden sie schlechter ab als beispielsweise die Blumenfarmer."

Morgens stehen die Jobsuchenden Schlange

Währenddessen herrscht in der Packhalle des Blumenbetriebs Panda Flowers Hochbetrieb. An Dutzenden Tischen stehen Arbeiterinnen und prüfen rote und gelbe Rosen. Die Größe des Kopfes und der Blütenstand sind vorgeschrieben. Flink gehen die Rosen durch die Hände der Arbeiterinnen, die sie auf richtige Länge bringen, jeweils zehn bündeln und mit dem Fair-Trade-Etikett versehen. Jeder Handgriff sitzt. Die 25jährige Margaret arbeitet seit fünf Jahren hier. Wie fast alle ihrer rund 900 Kollegen hat sie auf der Suche nach Arbeit ihre Heimatregion im Süden Kenias verlassen. Gut 90 Euro verdient sie hier im Monat.
Reicht das für den Lebensunterhalt? "Das hängt davon ab, wofür Du dein Geld ausgibst. Je mehr Geld du verdienst, desto mehr gibst Du aus. Aber mir reicht es." Seit fünf Jahren legt sie sogar Geld zurück. Und sie bildet sich weiter, macht ihren Schulabschluss nach, weil sie später gerne ein eigenes Geschäft aufmachen will. "Ich bin eine Schülerin. Ich arbeite und nach der Arbeit gehe ich in eine Teilzeitschule. Einen Job zu finden, das ist nicht einfach, es ist ein Privileg."
Die Jobkonkurrenz in Kenia sei angesichts des rasanten Bevölkerungswachstums sehr groß, sagt der texanische Rosenunternehmer Igal Elfezouaty – obwohl die Wirtschaft in Kenia zurzeit wächst. "Wenn Du zum Haupteingang kommst warten dort jeden Morgen über 200 Menschen, die Arbeit suchen. Die Arbeitslosenrate liege bei 40 bis 50 Prozent. Sie brauchen einen Job, wie sollen sie sonst ihre Sachen kaufen. Wir bringt man eine Wirtschaft ans Laufen? Man schafft Arbeitsplätze. Wenn sie nach Europa kommen und fragen, warum ist es bei uns nicht so wie hier? Warum haben wir nicht diese Standards? Ich sage dann, dass Problem ist die hohe Arbeitslosigkeit. Es findet sich immer jemand, der bereit ist, für weniger zu arbeiten. Notwendig wäre die umgekehrte Situation, ein Überangebot an Arbeit."

Fair Trade ist längst Teil des Welthandels

Einst gestartet als Alternative zum herkömmlichen Welthandel, gehört der größte Teil des fairen Handels heute zum gewöhnlichen Wirtschaftssystem. Er ersetzt nicht die Schaffung gerechter Regeln für die Weltwirtschaft, sondern hilft nur Einzelnen besser zurecht zu kommen.
Ether Wangari, die Arbeiterin auf einer Fair-Trade-Blumenfarm in Kenia, gehört zu ihnen. Ihr Kind hat sie allein groß gezogen, die Tochter konnte dank eines Stipendiums sogar studieren. Heute betreibt sie ein Kosmetikstudio in der Hauptstadt Nairobi. Ether wird bald den Kredit für ihr Haus auf dem Hügel mit dem schönen Blick auf den Naivasha See abbezahlt haben. Dann will sie einen weiteren Kredit aufnehmen und zwei Kühe kaufen.
"Ich werde eine Arbeitsmöglichkeit schaffen für jemanden, weil ich jemanden dafür bezahlen werde, dass er auf meine Kühe aufpasst und wenn ich abends von der Arbeit nach Hause komme, schaue ich, ob alles gut läuft."
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