Fahndung nach mutmaßlichen Terroristen

"Die dritte RAF-Generation ist komplett gescheitert"

Die letzte Seite des Schreibens, mit dem die Rote Armee Fraktion ihre Selbstauflösung bekanntgegeben hat.
Die letzte Seite des Schreibens, mit dem die Rote Armee Fraktion ihre Selbstauflösung bekanntgegeben hat. © dpa / picture alliance
Christian von Ditfurth im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 20.01.2016
Mutmaßliche RAF-Terroristen haben einen Geldtransporter überfallen, nun wird erneut nach ihnen gefahndet. Der Überfall sei kein politischer Akt gewesen, sagt der Historiker und Buchautor Christian von Ditfurth: Es gebe keine vierte Generation der RAF.
Der Historiker und Krimiautor Christian von Ditfurth teilt die Einschätzung, dass der jüngste Raubüberfall von drei mutmaßlichen Mitgliedern der Rote Armee Fraktion (RAF) auf einen Geldtransporter keinen politischen Hintergrund hat. Er halte die 1998 abgegebene Erklärung der RAF über deren Selbstauflösung für verbindlich, so von Ditfurth im Deutschlandradio Kultur. Diese Entscheidung sei aus der Diskussion in dieser Szene und der Einsicht des Scheiterns entstanden:
"Da ist nichts mehr. Es gibt auch keine vierte Generation. Es gibt diese dritte Generation. (...) Diese dritte Generation ist in der furchtbaren Lage, dass sie quasi nicht mehr vollenden konnten, was RAF für sie war, sondern dass sie komplett gescheitert sind."
"Die überlegene Moral ist weg"
Die drei mutmaßlichen Mitglieder der RAF seien jetzt dazu gezwungen, sich wie andere Kriminelle zu verhalten, äußerte von Ditfurth. Das habe auch Auswirkungen auf deren Selbstverständnis:
"Die Moral ist weg, die überlegene Moral, warum man das sogenannte 'Schweinesystem' bekämpfen muss. Alles das ist weg. Und es bleibt eigentlich nur noch: 'Wir brauchen Geld.'"
Bei seinen Recherchen für sein Buch "Ein Mörder kehrt heim" über RAF-Untergrundkämpfer sei er ebenfalls auf die Namen der jetzt wieder genannten Daniela Klette, Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub gestoßen, die nicht verurteilt worden seien. Seiner Ansicht nach führten sie ein "elendes Leben", weil sie jeden Tag mit ihrer Verhaftung rechnen müssten und gleichzeitig mit neuen Überfällen weitere Straftaten verübten:
"Das ist ein Elend. Sie haben kein Geld mehr, sie werden gejagt. Jetzt wird der Fahndungsdruck immer höher, die Bilder sind überall, die Leute werden auf sie aufmerksam, nachdem sie eine ganze Weile abgetaucht waren und sich eigentlich niemand mehr für sie interessierte."


Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Der Krimi heißt "Ein Mörder kehrt heim", und die Leiche darin heißt Georg und war zu Lebzeiten Terrorist und RAF-Untergrundkämpfer. Und die Frage, die sich stellt, lautet: Was wollte Georg in Berlin? Eine Bank überfallen, um die Altersversorgung aufzustocken? So weit die Fiktion – nun die Wirklichkeit: Aus einem Fluchtwagen nach Überfällen auf Geldtransporter wie 2015 in der Nähe von Bremen, aber auch in Duisburg wurden DNA-Spuren gefunden, die drei RAF-Terroristen der sogenannten "Dritten Generation" zugeordnet werden konnten. Ein terroristischer Akt war das nicht, sagen die Ermittler, sondern, und damit guten Morgen an den Berliner Krimiautor Christian von Ditfurth, Beschaffungskriminalität zur Finanzierung des Lebensunterhalts. Die haben Ihr Buch gelesen, oder?
Christian von Ditfuhrt: Nein, nein – also das weise ich natürlich, wie es so schön heißt, entschieden zurück. Vielleicht haben sie ihn ja gelesen – ich weiß jetzt nicht, welchen literarischen Geschmack die Leute haben. Nein, nein, aber ich meine, das Problem ist, dass die jetzt darauf angewiesen sind, sich wie Normal-Kriminelle zu verhalten. Das ist für ehemalige RAF-Mitglieder – die RAF gibt es ja nicht mehr, und das halte ich auch für richtig, dass das nach wie vor so ist.
Ich glaube auch nicht, dass die Leute, die jetzt diese Überfälle begehen, sich als RAF-Mitglieder verstehen, dass es also keinen politischen Hintergrund hat, und das bedeutet, man verhält sich halt wie ein normaler Bankräuber oder wie jemand, der halt Geldtransporter überfällt. Das ist Normalkriminalität. Da haben die Behörden, glaube ich, schon recht. Und für das Selbstverständnis von solchen Leuten ist das auch, glaube ich, sehr kritisch. Die Moral ist weg. Die überlegene Moral, warum man das sogenannte "Schweinesystem" bekämpfen muss, alles das ist weg, und es bleibt eigentlich nur noch "Wir brauchen Geld".
Überbleibsel der dritten Generation: "Das sind arme Schweine"
von Billerbeck: Nun hat sich, Sie haben es eben erwähnt, die RAF ja für aufgelöst erklärt 1998. Nun findet man DNA-Material von drei RAF-Terroristen der sogenannten dritten Generation. Gestern sind ja sogar die Namen genannt worden, Burkhard Garweg, Daniela Klette und Volker Staub. Phantombilder wurden angefertigt, weil man nur noch Fotos aus der Jugendzeit hatte, an die wir uns noch erinnern, wie die in jedem deutschen Postamt hingen. Was macht das mit Ihnen, was denken Sie da, was da passiert mit diesen Leuten?
von Ditfuhrt: Das ist jetzt, wenn ich mir das überlege – ich bin ja auf diese Namen auch gestoßen, als ich vor einigen Jahren für mein Buch recherchiert habe, als ich gesucht habe, welche Terroristen haben eigentlich, sagen wir mal, in der Freiheit überlebt und sind nicht verurteilt worden. Die meisten haben sie ja erwischt. Das ist ein elendes Leben, das diese Leute führen müssen. Jeden Tag rechnet man damit, dass man verhaftet wird. Gleichzeitig häuft man durch solche Überfälle weitere Gründe dafür an, oder man kann auch sagen, weitere Jahre im Knast an, wenn man erwischt wird. Es ist ein Elend. Sie haben kein Geld mehr, sie werden gejagt, sie müssen – jetzt wird der Fahndungsdruck immer höher, die Bilder sind überall. Die Leute werden auf sie aufmerksam, nachdem sie eine ganze Weile abgetaucht waren und sich eigentlich niemand mehr für sie interessierte.
Es ist eine ganz furchtbare Situation für diese Leute, und ich glaube auch, dass die moralische Probleme haben, weil das Projekt RAF ist ja kläglich gescheitert. Und die Frage ist jetzt für die, wir haben jetzt einen Haufen Leute umgebracht – ich weiß nicht, keiner weiß bisher, welche Anteile die drei auf der Flucht jetzt an diesen Taten der RAF hatten, bis auf Weiterstadt, also bis auf die Haftanstalt, das ist ein Sachschaden, nichts Großartiges im Vergleich zu den anderen Dingen, zu den Morden zum Beispiel. Aber das ist ein furchtbares Leben, kann ich nicht anders sagen. Das sind arme Schweine.
Gibt es noch Zugang zu ehemaligen Depots der RAF?
von Billerbeck: RAF-Kenner Wolfgang Kraushaar, der wurde gestern in der "Tagesschau" mit dem Satz zitiert, die drei hätten offenbar noch Zugang der Depots der RAF, die noch längst alle nicht gefunden worden seien, also auch zu Waffen. Geld lag da offensichtlich nicht mehr, oder die wissen nicht, dass man bei der Bundesbank noch immer D-Mark in Euro umtauschen kann. Herr Ditfurth, was wissen Sie über diese Depots?
von Ditfuhrt: Ich weiß überhaupt nichts außer dem, was das BKA –
von Billerbeck: Ich wollte Sie jetzt nicht ans BKA verraten, sondern von Ihren Recherchen ...
von Ditfuhrt: Ach so – nein, nein, man weiß ja – ich weiß jetzt nicht, woher Herr Kraushaar da seine Weisheit bezieht, aber was man weiß – ich habe ja auch damals sämtliche Akten der Stasi zu dem Thema durchgelesen, da gibt es ja doch einige Meter, die sich auch unter anderem mit solchen Dingen beschäftigen, wie man Guerillakrieg im Selbstverständnis in einem Land führt, wie man sich also dort Stützpunkte, Wohnungen, Unterschlupf und so weiter verschafft, Rückzugsgebiete verschafft und Ähnliches. Das ist – ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, welche Depots es noch gibt, ob es überhaupt noch welche gibt. Das ist eine reine Spekulation. Keine Ahnung.
Die erklärte Selbstauflösung der RAF ist "verbindlich"
von Billerbeck: Nun haben Sie es ja auch schon erwähnt, es klappt nicht immer mit den Überfällen, kann bekanntlich auch schief gehen. Nun haben wir, erinnern wir uns noch an 2008, 50 Jahre nach '68, da sind wir zugeschüttet worden mit Büchern, Filmen, Reportagen über die Vergangenheit der RAF. Gibt es denn noch eine Gegenwart, eine Zukunft, eine neue RAF-Generation, und werden wir also in Zukunft die RAF eher als Tragikomödie erleben?
von Ditfuhrt: Nein. Ich halte die Erklärung der RAF, dass sie aufgehört hat, halte ich für verbindlich. Ich halte sie auch nicht für einen Fake. Das ist so gewesen. Und das ist das Produkt einer Diskussion in dieser Szene, in der vollkommen klar geworden ist, auch wenn man ehemalige RAF-Mitglieder hört und liest, was die heute sagen, wo vollkommen klar geworden ist, dass dieses Projekt gescheitert ist. Da ist nichts mehr. Es gibt auch keine vierte Generation.
Es gibt diese dritte Generation, auch wenn es immer mal wieder verschwörungstheoretische Gerüchte gibt, die wären eine Erfindung der Geheimdienste oder von wem auch immer, es gibt diese dritte Generation. Diese dritte Generation ist in der furchtbaren Lage, dass sie quasi nicht mehr vollenden konnten, was RAF für sie war, sondern dass sie komplett gescheitert sind. Und, na ja, das ist für die Leute wirklich schlimm.
von Billerbeck: Der Krimiautor Christian von Ditfurth nach der Entdeckung von DNA-Spuren von RAF-Leuten nach Raubüberfällen zur Geldbeschaffung. Und das Ganze ist fast so wie in seinem Buch. Und wenn sie dessen Geschichte nachlesen wollen, hier noch mal der Titel: "Ein Mörder kehrt heim". Herr Ditfurth, herzlichen Dank!
von Ditfuhrt: Ich danke Ihnen. Tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema