Extremismus-Skandal

Was der Bundeswehr fehlt

Soldaten der Bundeswehr, die von Auslandseinsätzen zurückgekommen sind, nehmen am 06.09.2016 an einem Rückkehrer-Appell auf dem Marktplatz in Storkow (Brandenburg) teil.
Appell bei der Bundeswehr © dpa / picture alliance / Patrickl Pleul
Von Thomas Wiegold · 06.05.2017
Der Skandal um den terrorverdächtigen und rechtsextrem gesinnten Bundeswehrsoldat Franco A. wirft viele Fragen auf. Es gäbe ein wesentliches Versäumnis der Führungskräfte im Heer, kommentiert Thomas Wiegold: positive Vorbilder für die Offiziere zu entwickeln.
Keine zwei Wochen ist es her, da schien die Bundeswehr doch auf dem richtigen Weg. Nach Jahrzehnten von Abbau und Truppenreduzierungen soll die Truppe wieder wachsen, eine stetige Erhöhung des Verteidigungshaushalts ist geplant, neues Material wurde bestellt – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise und einer Rückkehr zu Landes- und Bündnisverteidigung.
Seit einer Woche ist alles anders. Ein Oberleutnant und falscher Syrien-Flüchtling unter Terrorverdacht, Vorgesetzte, die beim Thema Rechtsextremismus entweder wegschauen oder schlicht die Brisanz nicht erkennen, Klagen über Schikanen, entwürdigende Rituale oder sexuelle Belästigung, die irgendwo im Apparat stecken bleiben. Und als Folge eine Verteidigungsministerin, die ihrem eigenen Laden Haltungsprobleme und Führungsschwäche vorwirft. Wo die Bundeswehr zuvor deshalb als Trümmer-Truppe verspottet wurde, weil ihre Hubschrauber, Flugzeuge und Panzer mehr kaputt als einsatzfähig waren, steht dieses schlechte Bild jetzt für die ganzen Streitkräfte.

Eignung von Franco A. als Berufssoldat wurde nicht hinterfragt

Das ist bitter für die überwiegende Zahl der Soldaten, die sich für den Dienst in einer demokratischen Armee entschieden haben und versuchen, aus einem bürokratisierten Mangelapparat das Beste herauszuholen. Denn es ist es ja nicht so, dass die Bundeswehr nur noch ein rechtsextremer Haufen wäre, in dem die Merkmale eines demokratischen Gemeinwesens nicht gälten. Oder wo der tägliche Dienstbetrieb nur noch aus Beleidigung der Untergebenen bestünde.
Einen Vorfall wie den um den Oberleutnant Franco A. und seine möglichen Komplizen mit der offensichtlich zielgerichteten kriminellen Energie wird letztendlich kein System verhindern können. Aber seine Karriere als Berufssoldat, so zeigen die bekannt gewordenen Akten, schien seinen Vorgesetzten wichtiger als die Frage, ob jemand mit offenkundig rassistischer und nationalistisch überhöhter Gesinnung überhaupt als Berufssoldat in der Bundeswehr gewünscht ist. Das ist das eigentliche Alarmsignal.

Vorbild vieler Soldaten: der unerbittliche Kämpfer

Dass in seiner früheren Kaserne stilisierte Zeichnungen von Wehrmachtssoldaten in einem Aufenthaltsraum gefunden wurden, hat vermutlich mit dem Fall des Oberleutnants wenig zu tun. Außer dass es sich um das gleiche Bataillon handelt. Aber auch hier schauten Vorgesetzte weg, nahmen es als Teil der Kampftruppen-Folklore hin.
Die Wehrmacht des NS-Regimes, daran hat die Verteidigungsministerin nur erinnert, ist nicht Teil der Tradition der Bundeswehr. Das ist nicht ihre neue Erkenntnis, sondern geltende Regelung seit einem Erlass von 1982. 35 Jahre danach, gut 60 Jahre nach Gründung der Bundeswehr ist das immer noch nicht in der Truppe angekommen – oder schon wieder vergessen worden.
Dabei steht für viele Soldaten nicht die Verherrlichung der Angriffsarmee des NS-Regimes im Mittelpunkt. Sondern das, was für sie soldatische Werte symbolisiert: Der Kämpfer, der auch unter widrigsten Umständen durchhält.
Das muss einem Zivilisten nicht gefallen, noch nicht einmal verständlich sein. Doch dass junge Männer, von denen ein Staat höchsten Einsatz auch des eigenen Lebens erwartet, sich solche Symbole und Vorbilder suchen – das ist kaum verwunderlich.

Von der Leyens Vorwürfe sind nicht besonders clever

Und da ist dann die Frage an die ganzen Generale, die Offiziere, aber auch an die Politiker, die die Bundeswehr in den vergangenen Jahrzehnten geführt haben: Habt ihr diesen jungen Männern – in den Kampftruppen sind es weiterhin überwiegend Männer – keine anderen Vorbilder zeigen können? Wo sind die, pardon, Helden, nach denen es diese Männer verlangt? Gab es nichts anderes als die Angriffskriege der Wehrmacht in der deutschen Militärgeschichte? Wer da eine Lücke lässt, muss ich nicht wundern, wenn sie auf irgendeine Weise gefüllt wird. Und daran dürften auch noch so viele Wochenstunden politische Bildung wenig ändern – weil es auch um emotionale Bindung geht.
Die Ministerin reagiert, bislang, vor allem auf die Weise, die einer Verwaltungschefin zur Verfügung steht: Verschärfung von Vorschriften, Überprüfung früherer Entscheidungen, selbst der Vorwurf des Dienstvergehens bei einem Zwei-Sterne-General steht im Raum. Und zugleich wirft Ursula von der Leyen ihrer Truppe pauschal Haltungsprobleme und Führungsschwäche vor. Das ist nicht besonders clever. Denn die vielen Soldaten, die eben nicht am rechten Rand oder jenseits davon unterwegs sind, genau die braucht sie, um mit der derzeitigen katastrophalen Situation umgehen zu können. Im Moment hat sie aber auch die Wohlmeinenden eher zu ihren Gegnern gemacht.
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