Extreme alternative Fakten

Die Schwierigkeit, Holocaust-Leugner zu widerlegen

David Irving
Holocaustleugner David Irving musste sich im Februar 2006 vor einem Gericht in Wien verantworten – und wurde juristisch widerlegt. © imago/Granata Images
Von Tabea Grzeszyk · 09.08.2017
Der Holocaust sei ein "kommerzieller Werbeslogan", behauptete Holocaust-Leugner David Irving einmal und lieferte – scheinbar – jede Menge Fakten. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung und der Fake News stellt der Sisyphoskampf gegen Holocaust-Leugner eine echte Herausforderung dar.
Im Berliner Freiluftkino "Zukunft am Ostkreuz" läuft der Kinofilm "Verleugnung" von Mick Jackson. Die Inszenierung einer Gerichtsverhandlung gegen den Holocaustleugner David Irving wirkt auf beunruhigende Weise aktuell. Wahrheit und Lüge, Fakt und Fiktion, in seinen Verbalattacken gegen Deborah Lipstadt stellt der "Außenseiter" David Irving historische Tatsachen infrage.

Inszenierung als Stimme der Wahrheit

Mit provozierender Geste inszeniert Irving sich als Stimme einer Wahrheit, die vom medialen Mainstream und einer akademischen Historikerelite unterdrückt würde.
Doch David Irvings Lügen wurden vor Gericht widerlegt: Mit Fakten, die auch der deutsche Politikwissenschaftler Hajo Funke zusammengetragen hat. Er war als Gutachter der Verteidigung am Prozess beteiligt.
Anfangs wurde David Irving nicht nur in rechtsextremen Kreisen geschätzt, erklärt Hajo Funke:
"Er galt auch unter einigen Historikern als 'Trüffelschwein', der eben an Dokumente kam, an die sie nicht gekommen sind, weil er die ganze Szene der ehemaligen Größen des Nationalsozialismus, die überlebt haben, besucht hat.
Dann kam das eine Detail oder das andere, und das Entscheidende ist: Er hat es immer manipulativ interpretiert auf die These: Hitler ist toll, er ist ein großer Feldherr und er hat mit dem Holocaust selbst und mit der Judenvernichtung nichts zu tun."

Wiederholungstäter und renitenter Geschichtsverfälscher

Im Film wird deutlich, wie schwer es gewesen ist, zu beweisen, was doch alle Welt wusste: Dass es den Holocaust tatsächlich gegeben hat.
Gegen den Wiederholungstäter und renitenten Geschichtsverfälscher David Irving brauchte es vier Gutachter, um die historischen Tatsachen des Holocaust, die Existenz der Gaskammern in Auschwitz, die rechtsextremen Kontakte in Deutschland und Österreich und den manipulativen Gebrauch von Quellen juristisch wasserdicht zu belegen.

Digitalisierung: Sisyphos-Kampf gegen Fake News

Funktioniert "Aufklärung durch Fakten" noch immer? Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums gegen Antisemitismus in Berlin, schüttelt nachdenklich den Kopf.
"Das ist eine schwierige Frage, die Rezepte, die wir haben, sind ja schon seit vielen Jahren nicht nur in Deutschland entworfen und ausprobiert, sondern haben ja auch wirklich großartige Pädagogik und Überlegungen und großartige Kolleginnen und Kollegen hervorgebracht, die sich seit 20,30 Jahren mit diesem Thema beschäftigen, und der Vermittlung.
Ich denke, dass wir eigentlich sehr, sehr viel gemacht haben und uns dennoch der Frage stellen müssen, ob nicht durch das Internet eine neue Dimension geschaffen wurde, die eben 'Fake News' in einer Geschwindigkeit produziert und verbreitet, der eben diese braven pädagogischen und historischen Versuche nicht gewachsen sind."

Verschwörungstheorien auf dem Vormarsch

Im angeblich "postfaktischen Zeitalter" ist die Lage komplizierter geworden. Der Vertrauensverlust in etablierte Medien ist größer denn je, Verschwörungstheorien und Lügen werden von "besorgten Bürgern" bis weit in die Mittelschicht für möglich gehalten und in Windeseile über soziale Medien verbreitet.
Wie schon David Irving verstehen sich Anhänger der Pegida-Bewegung oder der nach rechts gerutschten "Alternative für Deutschland" als Sprecher gegen eine "vom Mainstream unterdrückten Wahrheit". Was tun? Der Publizist Micha Brumlik meldet sich zu Wort.
"Ich glaube, man sollte sich keinen falschen Relativismus aufreden lassen. Es geht bei der Frage nach der Holocaustleugnung und bei dem möglichen Einfluss der Medien sowieso nicht um Meinungen und Bewertungen.
Es geht um zutreffende oder falsche Tatsachenbehauptungen. Ich glaube, das kann man aus diesem Prozess lernen. Insofern war er ein Bilderbuch-Beispiel dafür, wie man mit 'Fake News' des angeblichen Historikers Irving gut umgegangen ist: Durch eine sehr systematische Prüfung der verschiedenen Thesen und einem Schluss, der mit einem Richterschluss sozusagen bekräftigt wurde, dass das, was er zum Holocaust sagte, nicht zutrifft."

Holocaust als "kommerzieller Werbeslogan"

David Irving selbst hat der Gerichtsprozess nicht verändert. Bei einem Auftritt in Budapest 2007 wiederholte er die Leugnung, zwei Jahre später bezeichnete er den Holocaust in einem Zeitungsinterview als "kommerziellen Werbeslogan".
Und dennoch, seinen Ruf als ernst zu nehmenden Historiker hat David Irving weitgehend eingebüßt.
Wenn man eines aus dem Gerichtsverfahren von 2000 lernen kann, dann vielleicht das: Im Kampf gegen "Fake News" hilft nur ein sehr langer Atem, um "alternativen Wahrheiten" den Resonanzboden zu nehmen.
Stefanie Schüler-Springorum ist überzeugt, dass dies unverzichtbar ist:
"Auch wenn es ein bisschen ein Kampf gegen Windmühlen ist, um diese Leute mit diesem geschlossenen Weltbild zu erreichen, ist es, was die Diffusion in die Gesellschaft angeht, natürlich wichtig.
Und ich denke je älter ich werde immer mehr: Man darf tatsächlich die simplen Werte der Aufklärung nicht so einfach postmodern relativeren.
Man muss erklären, woher sie historisch gekommen sind, aber ich denke, sie haben einen Wert in sich, den wir auch verteidigen sollten, da bin ich mir sehr sicher."
(gekürzte Online-Fassung: mw)
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