"Exodus" und "Jesus Cries" an der Volksbühne

Schmerzen und Schreie

Rouven Stöhr als "Jesus 3" probt am an einem Holzkreuz eine Szene aus dem Stück "Exodus" in der Volksbühne in Berlin; Aufnahme vom 24.3. 2016
Rouven Stöhr als "Jesus 3" probt am an einem Holzkreuz eine Szene aus dem Stück "Exodus" in der Volksbühne in Berlin. © picture alliance / dpa / Gregor Fischer
Von Michael Laages · 26.03.2016
Die Volksbühne zeigt Christoph Schlingensiefs Schmerz-Gesang aus dem Jahr 2008 in dem Stück "Exodus". Brigitte Maria Mayer bringt in "Jesus Cries" heutige Protestbewegungen in Kontakt mit Bibelszenen.
Gerade hat er die tödliche Diagnose erhalten.
Schlingensief: "Am Samstag beginnt ein neues Leben für Sie, hat er gesagt, und dieses neue Leben wird ganz anders sein als das Leben jetzt. Und Sie müssen wissen, dass Sie jeden Tag so leben müssen, als wäre es der letzte. Es ist alles so unbegreiflich!"
Selber hat Christoph Schlingensief bekanntlich das eigene Leiden konsequent ausgestellt. In einem ganzen Buch über die Krebserkrankung und eben auch in "Kirche der Angst vor dem Fremden in mir", dem – so nannte er das – "Fluxus-Oratorium", das 2008 bei der Ruhrtriennale in Duisburg uraufgeführt wurde.
Auch wer nicht dabei war damals, wird heute mitgenommen vom alptraumheften Wechselbad zwischen Schmerz-Gesang bis in die Peinlichkeit hinein im Gegenüber mit strengster Kunstbehauptung; so hat dieser Künstler dem eigenen Verschwinden Sinn und Bedeutung abgezwungen. Die Dokumentation der Uraufführung ist ein Ereignis; das Theater, das Schlingensief mitprägte, wird sie noch öfter zeigen.

Wenn Jesus heute gefoltert würde

Brigitte Maria Mayer erzählt derweil von der Passion dieser Tage:
"Ich bin der Aufstand, ich bin die Wut, ich bin der Hass – ich bin der Sohn Gottes. Ich bin Jesus von Nazareth! / Ach Du bist das, der Sohn einer Hure! / Ja das bin ich ich. Ich bin der Sohn. Und ich werde dieses Haus zerstören, dass es niemand wieder aufbauen kann."
Kaiphas, dem Hohepriester der Macht, tritt hier der Aufrührer entgegen; und Mayer kontert die nicht kontinuierlich erzählten Stationen der Passionsgeschichte von Anfang an mit Bildern von den Aufständen der Epoche: mit brennenden Barrikaden im Kampf um den Gezi-Park in Istanbul vor drei Jahren sowie von den studentischen Protesten, die ebenfalls 2013, zur Zeit des ‘Federations Cup’ im Jahr vor der Fußballweltmeisterschaft, Brasilien erschütterten – Jesus, wie Mayer ihn zeigen will, stünde an der Seite solcher Demonstranten und ließe sich mit ihnen den Kopf blutig schlagen. Geschichte werden lassen.
Deshalb heißt der Film auch nicht "Jesus Christ", sondern "Jesus Cries" – dieser Jesus weint und schreit; wenn er gefoltert wird in den kalten Kellern der Mächtigen, wenn er allein am Kreuz hängt. Wenn er stirbt, verdunkelt sich der Mond komplett – um danach blutrot wieder aufzugehen. Sein sei die Rache, scheint dieser Gott zu sagen – während der tote Körper des Menschensohns in einem Kahn auf den See hinaus treibt und Judas sich im Wald erhängt.

Hass auf die letzte Sowjet-Generation

Erzählt wird die Fabel zwar eher finster, aber auch mit Bedacht, gerade da, wo sie naturgemäß recht blutig wird; aber für den Schrecken der Passion sind die Demo-Bilder dazwischen zuständig.
Pjotr Silajew hat zu Beginn die Passion auf alt-sowjetisch erzählt:
"Und wenn ich auch wandre im fin'stren Tal, so fürchtet ich doch kein Leid; den der Herr ist bei mir – sein Stern, fünfzackig, rot, leuchtet mir voran!"
Fürs Kräuterweiblein von früher liegt Erlösung noch immer im roten Stern – Silajew, gerade 30 geworden, arbeitet sich mit ausgeprägtem Hass ab an der letzten Sowjet-Generation; also an Leuten wie sich selbst, die keine Zeit hatten, den Übergang in die neue Zeit zu lernen. Darum sind die alten und knallharten Regeln noch immer gültig unter diesen entwurzelten jungen Leuten – gegen Juden, gegen jede Form von Norm-Abweichung, gegen den verweichlichten Westen richtet sich der Hass.
"Es gibt nur eine Möglichkeit – die völlige Zerstörung der westlichen Zivilisation!"
Als ‘Terrorkampagne’ firmiert der Abend, und in der Tat zeigt Silajews Text eine noch außen, aber auch nach innen schwer terrorisierte Gesellschaft. Einmal zerfällt Alexander Scheers Gesicht sozusagen in zwei Persönlichkeiten: Fedja, den Täter, und Kolja, das Opfer. Zu unterscheiden sind sie bald nicht mehr.
Das singende Krokodil aus einer altsowjetischen Fernsehserie und Döblins immer zuversichtlicher Franz Biberkopf, einarmig, aber auch mit Gitarre. Verpassen all der neurussischen Finsternis ein merkwürdig versönliches Finale. Und Gospodin Silajew selber ist auch alles andere als ein Finsterling – Hoffnung bleibt. Und das neue Russland steht auf der Tagesprdnung.‘DJ Stalingrad’ nennt er sich ja, und die lärmende Musik in Sebastian Klinks Inszenbierung könnte ihm gefallen haben. In einem Käfig rockt das Trio – und dieser markiert aufs Dramatischste das Lebens-Bild, das Silajew zeigt.
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