Exklusiv-Interview mit Carles Puigdemont

"Wir hören euren Vorschlag, wenn ihr unseren hört"

Der abgesetzte Präsident Kataloniens, Puigdemont, in Brüssel.
Abgesetzter Präsident Puigdemont: Bereit zu Gesprächen in Brüssel. © imago stock&people
Carles Puigdemont, abgesetzter Ministerpräsident, im Gespräch mit Burkhard Birke · 25.11.2017
Er wollte die Unabhängigkeit Kataloniens und wurde abgesetzt und angeklagt. Carles Puigdemont ging nach Brüssel. Dort stehe er bereit, mit dem Chef der spanischen Zentralregierung zu sprechen, sagte er Deutschandfunk Kultur-Reporter Burkhard Birke.
"Ich bin bereit, in Brüssel mit Mariano Rajoy zu sprechen" – diesen Satz aus dem Exklusiv-Interview von Deutschlandfunk-Reporter Burkhard Birke mit Carles Puigdemont haben viele spanischen Medien aufgegriffen.
Seit mehr als drei Wochen hält sich der abgesetzte katalanische Regierungschef in Belgien auf. Puigdemont und vier weitere Mitglieder seiner entmachteten Regierung, die derzeit ebenfalls in Belgien leben, sollen nach dem Wunsch von Spaniens Justiz und Ministerpräsident Rajoy ausgeliefert werden. Sie werden wie die bereits inhaftierten Mitglieder der katalanischen Regierung in Spanien wegen Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung im Zuge der einseitigen Unabhängigkeits-Demarche strafrechtlich verfolgt.

Lösung jenseits der Unabhängigkeit

Puigdemont betrachtet sich aber noch immer als legitimen Präsidenten Kataloniens. Er stellt in Frage, dass er ein faires Verfahren bekommt, ist aber bereit sich der Verantwortung zu stellen.
Mit Blick auf die Wahlen am 21.12. fordert Puigdemont das Ergebnis müsse respektiert werden, auch wenn die Separatisten die Mehrheit bekommen, wie einige Umfragen nahelegen.

Carles Puigdemont, geboren 1962 in Amer/Spanien, ist ein katalanischer Politiker. 2011 wurde er Bürgermeister der Stadt Girona, 2016 Präsident der katalanischen Autonomieregierung. Im Zuge des Verfassungskonflikts um die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens wurden Puigdemont und die von ihm geführte Regierung am 27. Oktober 2017 von der spanischen Regierung des Amtes enthoben. Puigdemont begab sich daraufhin nach Brüssel. Die spanische Justiz beantragte per Europäischem Haftbefehl eine Auslieferung Puigdemonts nach Spanien, das Verfahren ist derzeit bei den belgischen Behörden anhängig.

Die Katalonienkrise sei ein politisches Problem und müsse politisch und nicht juristisch gelöst werden, signalisierte Puigdemont seine Bereitschaft, mit Spanien eine Lösung jenseits der Unabhängigkeit zu finden.

Das Interview in voller Länge
Heute mit Carles Puigdemont, dem abgesetzten Regierungschef Kataloniens - am Mikrofon begrüßt Sie Burkhard Birke.
Carles Puigdemont hält sich zurzeit in Brüssel auf, wo ich ihn an bis zuletzt geheim gehaltenem Ort getroffen habe. Gegen ihn und vier seiner ebenfalls in Belgien weilenden Ex-Minister läuft wegen der einseitig betrieben Unabhängigkeitsdemarche ein Auslieferungsverfahren Spaniens wegen des Vorwurfs der Rebellion, des Aufruhrs und der Veruntreuung öffentlicher Gelder. Carles Puigdemont wirkte relativ entspannt und vor allem entschlossen. Hören Sie nun wesentliche Auszüge aus dem Interview, das Mitte der Woche aufgezeichnet wurde.
Birke: Katalonien genießt einen ziemlich hohen Grad an Autonomie, Katalanisch als Sprache wird anerkannt, ist Unterrichtssprache in Schulen und Universitäten.
Carles Puigdemont, für Deutsche ist schwer nachzuvollziehen, weshalb Sie und Ihre Regierung die Unabhängigkeit um jeden Preis wollen, vor allem da Katalonien kein unterdrücktes Land ist?
Puigdemont: Tatsächlich haben wir nicht die Autonomie, wie sie auf dem Papier steht und es ist auch nicht richtig, dass das Katalanische respektiert wird. Ganz im Gegenteil.
Die Realität beweist, dass wir kein dezentralisierter Staat sind. Das System ist keineswegs vergleichbar mit Föderalismus etwa wie in Deutschland. Der Verfassungsgerichtshof hat unsere Kompetenzen praktisch auf null zurückgestutzt. Wir haben keine Autonomie über unsere Finanzen. Wir dürfen nicht unsere eigenen Kompetenzbereiche entwickeln, Katalanisch darf weder im Senat noch im Europäischen Parlament gesprochen werden. Außerdem wird Katalanisch von den spanischen Parteien ernsthaft in Frage gestellt, die nicht wollen, dass unser Modell mit Katalanisch als Unterrichtssprache Bestand hat.
Also, weshalb die Unabhängigkeit? Weil der einzige Weg, um weiterhin Katalane zu sein, über die Gründung eines eigenen Staates führt.
Birke: Könnten Sie sich eine Lösung vorstellen, die nicht über den Weg einer einseitig erklärten Unabhängigkeit führt, sondern den Status Kataloniens innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens Spaniens verbessert?
Puigdemont: Wir haben immer gesagt, dass die Unabhängigkeit nicht die einzige Alternative ist. Sie ist aber unser Vorschlag, den wir immer verteidigen werden.
Ich habe Ministerpräsident Rajoy gefragt: Haben Sie einen Vorschlag für die Lösung des schwerwiegenden Problems zwischen Katalonien und Spanien?
Er hat mir wörtlich geantwortet: Der Status quo.
Der funktioniert aber nicht! Man muss doch anerkennen, dass es ein Problem gibt, um Lösungen zu finden. Was Sie anregen, haben wir bereits getan. 2005, 2006 haben wir mit dem spanischen Staat einen für uns teuren Pakt geschlossen – ganz im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten.
Wir haben das Gesetz im katalanischen Parlament verabschiedet, das gleiche Autonomiegesetz wurde im spanischen Parlament verabschiedet und zur Abstimmung gebracht: Und es wurde in einem völlig verfassungskonformen, einvernehmlich beschlossenen Referendum angenommen.
Und was ist passiert? Herr Rajoy hat Unterschriften für eine Verfassungsklage gesammelt und das Verfassungsgericht, das aus 12 von den politischen Parteien bestimmten Richtern besteht, hat in einem sehr umstrittenen Urteil gegen das per Referendum gebilligte Autonomiestatut entschieden.
Birke: Vor etwas mehr als drei Wochen sind Sie nach Brüssel gekommen. Sind Sie enttäuscht über die Reaktion der internationalen Gemeinschaft, der EU, speziell auch Deutschlands auf ihre Forderungen nach Unabhängigkeit oder gehört zu werden?
Puigdemont: Zunächst einmal habe ich keine Regierung der Welt gebeten, die Unabhängigkeit Kataloniens anzuerkennen. Deshalb kann ich auch nicht enttäuscht sein, weil ich als Präsident keine formale Anerkennung verlangt habe.
Birke: Sie wollten aber gehört werden?
Puigdemont: Darüber wollte ich gerade sprechen: Denn zweitens kann man nicht behaupten, es gäbe kein Interesse der Bürger Europas an dem, was sich in Katalonien abspielt. Ich glaube, die haben nie so viel Interesse gezeigt wie jetzt. Ich glaube: Europa wird von den Bürgern gemacht und nicht von den Bürokraten oder den Regierungen. Entweder ist Europa bei den Bürgern oder es verliert seine Existenzberechtigung. Das muss man beachten. Drittens bin ich enttäuscht über die kritiklose Haltung gegenüber Spanien wegen des Machtmissbrauchs und der Verletzung von Grundrechten. Das widerspricht der europäischen Menschenrechtscharta. Das heißt, anders als im Fall Polens oder Ungarns wird toleriert, dass die europäischen Regeln verletzt werden.
Von den europäischen Institutionen muss verlangt werden, dass sie diese Kritiklosigkeit gegenüber einer Regierung aufgeben, die die Demokratie und die Wirtschaft gefährdet und nicht zu Verhandlungen bereit ist.
Zu guter Letzt wäre es interessant, von der EU und den Regierungen, die Herrn Rajoy ihren bedingungslosen und vorbehaltlosen Rückhalt gegeben haben, zu erfahren, ob sie das Wahlergebnis des 21. Dezember anerkennen werden, wenn wir, die Separatisten, gewinnen? Werden sie das Ergebnis akzeptieren, wenn die Entmachtung nach Artikel 155 abgestraft wird und Herr Rajoy verliert?
Es wird interessant sein, die Antwort von Frau Merkel und all der anderen zu hören, die Herrn Rajoy ohne jede Kritik unterstützt haben und ein Problem verkannt haben, das Millionen von Europäern betrifft. Als Bürger Europas sollten wir doch zumindest angehört werden, auch wenn man sich des Problems nicht annimmt, denn das, was sich hier abspielt, ist real – das ist keine Fiktion.
Birke: Geben Sie denn zu, dass Sie sich mit Ihrem Unabhängigkeitsprojekt, mit dem Gesetz und dem Referendum vom 1. Oktober außerhalb des legalen Rahmens bewegt haben?
Puigdemont: Eigentlich nicht – denn wir sind zu den Wahlen am 27. September 2015 angetreten und haben immer noch ein Mandat der Bürger, das der spanische Staat mit diesem Staatstreich an sich gerissen hat. Die Bürger haben damals für das gestimmt, was wir umgesetzt haben.
Zweitens erkennt die spanische Verfassung internationale Verträge an. Diese internationalen Verträge erkennen ausdrücklich das Selbstbestimmungsrecht der Völker an. Niemand kann leugnen, dass Katalonien nicht nur ein Volk, sondern eine Nation ist mit einer langen Tradition in der europäischen Geschichte. Deshalb haben wir ein Recht auf Selbstbestimmung.
Sehr oft haben wir versucht dieses Recht in Einklang mit dem spanischen Staat auszuüben. Wir haben verlangt, dass uns das verfassungsmäßige Recht übertragen wird, nicht bindende Volksabstimmungen abzuhalten, was die Verfassung vorsieht. Das wurde abgelehnt. Wir wollten einen neuen Finanzpakt, das wurde abgelehnt. Wir wollten über ein einvernehmliches Referendum verhandeln: Die Antwort lautete nein! Welche andere Wahl hatten wir denn, außer uns auf die internationalen Verträge zu berufen, die das Königreich Spanien unterschrieben hat und von seiner Verfassung anerkannt werden?
Birke: Was aber nicht in der Verfassung verankert ist, die diese einseitige Unabhängigkeitsdemarche verbietet.
Puigdemont: Die Verfassung verbietet keine einseitige Demarche. Die Verfassung ermöglicht, dass Bürger befragt werden. Die Verfassung besagt, dass das Königreich Spanien sich internationalen Verträgen unterwirft. Und es ist international bekannt, dass bei Interessenkonflikten zwischen nationalem und internationalem Recht der internationale Vertrag Vorrang hat!
Da liegt der Verfassungskonflikt. Das ist eine Frage, die auch von der EU diskutiert werden sollte. Denn es ist doch ein Widerspruch, dass ich wegen einer Wahl mit der historisch größten Wahlbeteiligung, die mich zum Präsidenten gemacht hat, ins Gefängnis wandern könnte. Das ist ein Konflikt, der nicht auf juristischen Weg, sondern über einen politischen Konsens gelöst werden sollte.
Birke: Gefängnis ist ein Stichwort. Carles Puigdemont, die Tatsache, dass Sie und einige Regierungsmitglieder nach Brüssel – einige sagen geflohen – andere gekommen sind und der andere Teil der Regierung in Spanien jetzt im Gefängnis sitzt – war diese Taktik abgesprochen? Sehen Sie sich als abgesetzter Präsident als Präsident im Exil an, der von hier Wahlkampf machen kann und die anderen sind die Märtyrer im Gefängnis?
Puigdemont: Wir waren uns einig, dass ein Teil der Regierung außer Landes gehen sollte, in Sicherheit vor dem spanischen Staat, der uns einsperren wollte. Wir wollten die Legitimität und Autorität einer demokratisch gewählten Regierung aufrechterhalten, die illegaler Weise durch einen Staatsstreich abgesetzt wurde.
Wir werden unseren Anspruch nicht aufgeben. Außerdem kämpfen wir für die Inhaftierten am besten, indem wir in der Hauptstadt Europas für unsere Rechte kämpfen, um der Welt die Umstände zu zeigen.
Es hat sich so ergeben, dass mehr Regierungsmitglieder als ursprünglich geplant jetzt inhaftiert und nicht in Belgien sind. Es war aber geplant, ein Bein draußen zu haben, um handlungsfähig zu bleiben. Wofür?
Der spanische Staat hat seine Gesetze, seine Verfassung missachtet.
Meine Absetzung ist ein Beispiel dafür, die Aussetzung der Legislaturperiode ein anderes. Wo steht in spanischen Gesetzen geschrieben, dass die spanische Regierung das Recht hat, ein Wahlergebnis zu eliminieren?
Weder im Gesetz noch in der Verfassung steht das!
Birke: Im Artikel 155 der spanischen Verfassung!
Puigdemont: Nein, das stimmt nicht. Der Artikel 155 erlaubt es der Regierung, Maßnahmen zu ergreifen, wenn die Regierung einer Autonomieregion nicht ihre Aufgaben wahrgenommen hat. Das hat nichts damit zu tun, dass man das Mandat der Wahlen vom 27. September 2015 beendet, bei denen die Katalanen mit einer Wahlbeteiligung von 75 Prozent ein Parlament und eine Regierung gewählt haben.
Wer gibt Herrn Rajoy die Autorität, dieses Mandat per Dekret zu annullieren? Das spanische Recht sieht das nicht vor. Ich bitte darum, dass das Verfassungsgericht das überprüft. Weshalb wurde die Eingabe der katalanischen Regierung abgelehnt? Wir sind der Auffassung, die spanische Regierung bewegt sich außerhalb des Verfassungsrahmens.
Das Grundgesetz, in dem das Autonomiestatut definiert ist, besagt, dass ich nur dann nicht mehr Präsident bin, wenn ich ein Misstrauensvotum verliere, zurücktrete, sterbe, meine Amtsgeschäfte nicht mehr führen kann oder rechtskräftig verurteilt bin. Keiner dieser Tatbestände trifft zu.
Ich wurde illegaler Weise abgesetzt und bekomme keine Gelegenheit, mich vor dem Verfassungsgericht zu verteidigen, weil es die Eingabe der katalanischen Regierung nicht angenommen hat.
Birke: Glauben Sie, dass sich jetzt, nachdem Generalstaatsanwalt Maza leider – oder vielleicht, um ironisch zu sein, aus Ihrer Sicht glücklicherweise – gestorben ist, etwas beim Prozess gegen die inhaftierten Mitglieder der Regierung ändert?
Puigdemont: Nein – ich kann mich nicht über den Tod eines Menschen freuen, selbst wenn wir politisch sehr unterschiedlicher Auffassung sind. Deshalb freue ich mich nicht über den Tod irgendeines Menschen, zumal wenn er so tragisch und überraschend eintritt. Ich weiß nicht, wie der neue Generalstaatsanwalt agieren wird. Ich will nur darauf hinweisen, dass der Generalstaatsanwalt in Spanien direkt von der Regierung gewählt wird und damit direkt den Anweisungen von Herrn Rajoy untersteht. Ich möchte auch daran erinnern, dass Generalstaatsanwalt Maza der erste war, dem vom spanischen Parlament das Vertrauen entzogen worden war. Das sage ich mit Blick auf diejenigen, die auf der Einhaltung der Spielregeln beharren. Wir hatten einen Generalstaatsanwalt, dem vom spanischen Parlament das Vertrauen entzogen worden war.
Birke: Seit mehr als drei Wochen halten Sie sich in Belgien auf. Am 4. Dezember sind Sie erneut vor Gericht geladen. Die belgische Staatsanwaltschaft hat Ihre und die Auslieferung Ihrer Minister nach Spanien gefordert. Welche Möglichkeiten bleiben Ihnen, wenn der Richter die Auslieferung anordnet?
Puigdemont: Wir haben noch die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen und danach vors Berufungsgericht zu gehen. Wir haben also noch Möglichkeiten, unsere Rechte zu verteidigen. Und die werden wir auch wahrnehmen. Zum Glück befinden wir uns in einem Land, das uns die Möglichkeit gibt, diese Rechte auszuüben.
In Spanien ist das nicht der Fall. Ich möchte daran erinnern, dass der Generalstaatsanwalt an einem Montag Anzeige wegen Rebellion erstattet hat. Darauf stehen 30 Jahre Haft in Spanien. Am Dienstag berichtete die Presse schon, dass wir am Donnerstag um 9 Uhr vor Gericht erscheinen müssten.
Mittwoch war Feiertag. Unsere Anwälte hatten keine Zeit, eine 120-seitige Anklageschrift zu lesen. Sie konnten die Rechte der Verteidigung nicht wahrnehmen. Die Richterin hat eine Verschiebung um eine Woche nicht hingenommen. Da konnten wir unsere Rechte nicht verteidigen. Unabhängig davon, wie das Verfahren hier in Belgien ausgeht, habe ich das Gefühl, dass ich hier meine Rechte verteidigen kann. Gleichzeitig kann ich auch die Rechte der Inhaftierten verteidigen, indem ich auf Verfahren in Spanien hinweise, die keineswegs Unabhängigkeit und den Respekt der Rechte der Verteidigung garantieren.
Birke: Wenn der Richter Sie am Ende des Verfahrens ausliefert, werden Sie dann um politisches Asyl ersuchen?
Puigdemont: Ich werde sicher kein politisches Asyl in Belgien beantragen. Daran habe ich keine Zweifel gelassen. Zu keinem Zeitpunkt habe ich mich außerhalb des rechtlichen Rahmens bewegt. Ich war nie ein Flüchtiger trotz der Fake News, die die spanische Presse unisono verbreitet. Ich bin völlig legal nach Brüssel gekommen, als es keine Anzeige gab. Und als ich erfuhr, dass die spanische Regierung meine Auslieferung fordert, habe ich mich vom ersten Augenblick an den belgischen Behörden gestellt. Zu keinem Zeitpunkt habe ich mich versteckt, war ich flüchtig, bin ich der Justiz ausgewichen. Ich habe den Kopf hingehalten und werde Verantwortung übernehmen. Ich will doch nicht davonlaufen.
Birke: Das heißt, Sie würden auch in Gefängnis gehen?
Puigdemont: Ich habe keine Alternative. Ich möchte doch kein Flüchtiger sein, aber ich will meine Rechte verteidigen. Wenn ich allerdings ins Gefängnis muss, nachdem ich – stellen Sie sich mal vor – Wahlen gewonnen habe und zum Präsidenten der Generalität bestellt worden bin, frage ich mich, ob wir wirklich von Demokratie in Spanien sprechen können. Wenn der Umstand, dass du zum Präsidenten gewählt wurdest, dich direkt ins Gefängnis bringt?
Diese Frage richtet sich auch an die Verantwortungsträger in Europa, die Herrn Rajoy unterstützen.
Birke: Die Umfragen für die Wahl am 21.12. prognostizieren praktisch das gleiche Ergebnis wie 2015: eine knappe Mehrheit der Parlamentssitze für die Separatisten, aber keine absolute Mehrheit der Stimmen. Wir kehren also auf Punkt Null zurück. Wie lässt sich das Problem am Ende lösen?
Puigdemont: Schwierige Frage für Herrn Rajoy und auch für Frau Merkel, nachdem alles gebilligt wurde, was Herr Rajoy unternommen hat, um die Unabhängigkeitsbewegung zu besiegen, indem er Leute ins Gefängnis steckt, ins Exil schickt, Leute schlägt. Wenn dann also das Wahlergebnis wieder das gleiche ist, dann haben Sie verloren, Herr Rajoy, dann haben Sie ein Problem, weil Sie alles versucht haben, und Sie haben nicht nur das Problem nicht gelöst, sondern Sie haben es verschlimmert.
Was ist die Lösung? Sich hinzusetzen und über Politik zu reden. Schluss mit der Polizei, mit den Staatsanwälten und Richtern, Schluss mit Inhaftierungen! Weshalb stecken Sie die Energie, die Sie dazu verwenden, uns zu verfolgen, nicht in den Dialog und sprechen über ein politisches Problem? Was hindert die spanische Regierung daran, anzuerkennen, dass es sich hier um ein politisches Problem handelt und wir deshalb politische Lösungen brauchen. Das muss am 22. Dezember passieren, wenn die Ergebnisse wieder die gleichen sind. Was wäre das für eine Niederlage für Spanien!
Birke: Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hat Ihnen den Dialog im Parlament, mit den Regionalpräsidenten angeboten. Sie hatten zudem Gelegenheit, die Position Kataloniens zu einem entscheidenden Moment im Senat zu verteidigen.
Weshalb haben Sie diese Angebote zum Dialog nicht akzeptiert?
Puigdemont: Das ist umgekehrt. Ich habe Herrn Rajoy unzählige Gesprächsangebote unterbreitet und er hat wörtlich zu mir gesagt: Ich kann und will nicht. Das hat er mir ins Gesicht gesagt. Und es ist nicht richtig, dass ich im Senat die Position Kataloniens verteidigen sollte, sondern die Position zum Artikel 155 - nicht zu einem politischen Vorschlag für Katalonien. Drittens: Ich habe doch kein Problem mit den Präsidenten der anderen Autonomieregionen. Mit denen muss ich doch nicht sprechen, sondern ich will und muss mit dem Ministerpräsidenten sprechen und zwar bilateral, denn das Problem Kataloniens existiert in keiner anderen Autonomieregion Spaniens.
Birke: Würden Sie ein Angebot zu einem Gespräch mit Mariano Rajoy hier in Brüssel akzeptieren?
Puigdemont: Ohne jeden Zweifel. Ohne jeden Zweifel. Ich habe das immer wieder vorgeschlagen. Ich glaube, es muss ein solches Gespräch geben. Wir brauchen Treffen, Dialog, weil doch jeder gesehen hat, dass das, was sich in Katalonien abspielt, nichts mit dem zu tun hat, was in Kastilien, La Mancha oder in der Rioja stattfindet. Das Problem ist ganz anderen politischen Charakters und bedarf anderer Lösungen. Ich glaube, die Wahlergebnisse von 2015 und die nächsten sollten zumindest dazu führen, dass man Katalonien zuhört. Das ist das Mindeste, dass man uns zuhört. Das verlange ich, aber Herr Rajoy hat mir deutlich gesagt: Darüber will ich nicht sprechen. Also, was ist das denn für eine Verhandlung? Den Artikel 155, also die Entmachtung zu akzeptieren, das ist doch keine Verhandlung.
Seien wir ehrlich: Zwischen Katalonien und Spanien existiert ein sehr großes Problem. Wir verstehen uns nicht. Wir wollen uns jedoch besser verstehen.
Unser Vorschlag lautet: Wir wollen unabhängig sein. Wir sind bereit, den Vorschlag des spanischen Staates zu hören. Der kann doch aber nicht das Beharren auf dem Status Quo sein – das ist doch Teil des Problems heute.
Ist der spanische Staat in der Lage, ein politisches Projekt für Katalonien zu entwerfen? Ja oder nein? Wir Katalanen haben ein Projekt. Wenn Spanien eins hat, wollen wir es sehen, denn wir sind bereit zuzuhören.
Birke: Wenn dieses Projekt einen Finanzstatuts so ähnlich wie der des Baskenlandes und zusätzliche Rechte zum Erhalt der katalanischen Kultur und Sprache beinhaltete, würden Sie das akzeptieren und in Spanien bleiben, sollten Sie erneut Regierungschef werden?
Puigdemont: Eine interessante Frage, aber stellen Sie sich vor, das haben wir schon vorgeschlagen. Der frühere Präsident Mas, der verurteilt wurde, keine politischen Ämter zu bekleiden und eine 5,5 Millionen Euro Geldstrafe zu zahlen, weil er eine nicht bindende Volksabstimmung abgehalten hatte, hat genau das Mariano Rajoy vorgeschlagen. Sie haben nein gesagt.
Wir haben 2006 ein neues Statut vorgeschlagen, das wurde zusammengestutzt. Das steht heute nicht mehr zur Debatte. Wenn der spanische Staat diesen Vorschlag unterbreitet, garantiere ich, dass wir uns das alles anhören. Aber es liegt nichts auf dem Tisch. Sie haben nicht den Mut, etwas vorzuschlagen, was über vage Andeutungen hinausgeht etwa wie, wir werden eine Verfassungsreform machen, die unmöglich ist, weil im spanischen Parlament die Rechte der Minderheiten wie die Kataloniens nicht so garantiert werden, dass sie entscheidend bei einer Verfassungsreform eingreifen könnten.
Ich wiederhole: Haben Sie einen Vorschlag? Sie haben bestimmt welche, aber Sie haben keinen einzigen präsentiert. Es ist doch schon verdächtig, dass in all den Jahren der Unabhängigkeitsbewegung die spanische Regierung nicht in der Lage war, auch nur einen konkreten Vorschlag für eine politische Lösung für Katalonien zu unterbreiten, die akzeptabel wäre.
Deshalb haben wir gesagt: Wir hören euren Vorschlag, wenn ihr unseren hört!
Und vielleicht kommen wir auf der Basis gegenseitiger Anerkennung voran und finden womöglich einen Punkt in der Mitte, der uns beide überzeugt.
Birke: Wie wollen Sie die Bevölkerung Kataloniens aussöhnen, denn es gibt viele, die nach Unabhängigkeit streben, aber ein fast ebenso großer Teil der Bevölkerung möchte bei Spanien bleiben? Sie sind Präsident – d.h. Sie waren Präsident Kataloniens – betrachten Sie sich eigentlich immer noch als Präsident?
Puigdemont: Natürlich betrachte ich mich noch als Präsident, weil derjenige, der mich abgesetzt hat, nicht die Autorität dafür hat. Ich bin von einem demokratischen Parlament gewählt worden, das Bürger demokratisch gewählt haben.
Es ist allerdings interessant darüber nachzudenken, was sich in Katalonien abspielt. Ich frage mich, hat der spanische König abgedankt als König aller Katalanen? Denn er hat nicht zu den separatistischen Untertanen gesprochen. Er hat sie ausdrücklich ausgeschlossen. Die demokratische Spaltung dürfen wir nicht dramatisieren. Das gibt es in allen Gesellschaften. Gelegentlich verstehen sich die Regierungen, es gibt Debatten über Staatsformen, darüber ob man in der EU bleiben soll oder nicht. Es gibt Debatten über die Einwanderungspolitik, über Migranten. Zu behaupten, dass das die Gesellschaft spaltet, hieße die Dinge zu sehr zu dramatisieren. Schließlich sind wir demokratisch reife Gesellschaften. Wir sind bereit, sämtliche Debatten zu führen. Und das bedeutet nicht, dass wir alle die gleiche Meinung haben müssen. Es ist normal, dass es Katalanen gibt, die die Unabhängigkeit wollen und andere nicht. Worüber aber ist sich die riesige Mehrheit einig? Darüber,
dass wir über unsere Zukunft abstimmen wollen.
Birke: Seit dem 1. Oktober, dem laut Verfassungsgericht illegalen Referendum, spürt man eine Polarisierung in Katalonien. 2655 Unternehmen haben ihren Hauptsitz aus Katalonien ausgelagert, die Wirtschaft ganz Spaniens wird in Folge der Krise statt um 2,6 nur noch um 2,3 Prozent wachsen. Carles Puigdemont, fühlen Sie sich nicht schuldig, dass das mit solcher Vehemenz durchgeführte Unabhängigkeitsprojekt dieses Dilemma verursacht hat?
Puigdemont: Stellen Sie sich vor: Diese politische und wirtschaftliche Entwicklung ist erst nach der Gewalt durch den spanischen Staat eingetreten. In den Jahren, in denen die Separatisten regiert haben, wurden Rekorde bei Wachstum, Auslandsinvestitionen und Exporten erzielt. Auch die hochwertige Produktion hat sich enorm verbessert. Wir sind eine der dynamischsten Regionen Europas und das mitten im Unabhängigkeitsstreben. Wann dreht sich das Blatt? In dem Moment, wo der spanische Staat beschließt, die Demokratie zurückzudrehen, der Welt ein extrem schlechtes Bild des Misstrauens und der Gewaltanwendung vermittelt. Keinem Investor gefällt doch Gewalt! Deshalb ist der spanische Staat direkt verantwortlich - zumal er dann noch auf illegale Weise durch ein Dekret des Ministerrates die Firmenflucht beschleunigt – die Firmen müssen für die Verlagerung des Hauptsitzes nicht mehr die Zustimmung der Eigentümer einholen. Das muss man genau untersuchen.
Was haben diese Firmen – 2655 von unzähligen anderen - entschieden? Den Hauptsitz zu verlagern. Keine hat eine Produktionsstätte verlagert, weil die Voraussetzungen für erfolgreiches Wirtschaften in Katalonien besser sein werden als anderswo.
Der spanische Staat hat auch einen Wirtschaftskrieg entworfen, um den Willen der Mehrheit der Katalanen anzugreifen. Deshalb ist er direkt für die Situation verantwortlich. Die Rechnung für die negativen Auswirkungen wird nicht nur ganz Spanien, sondern Europa bezahlen. Ich bin überzeugt, dass sich viele Länder, dass sich die Nettozahler fragen werden, ob sie teilweise die Rechnung für die Haltung von Herrn Rajoy zahlen müssen.
Weshalb hatte Herr Rajoy so ein Interesse daran, die Wirtschaft einer Nettozahlerregion wie Katalonien zu schädigen, Europa zu zerreißen und Länder dafür zahlen zu lassen, die damit nichts zu tun haben - nur um die Unabhängigkeitsbewegung zu bekämpfen?
Die unverantwortliche Art und Weise, wie Herr Rajoy, seine Regierung und Verbündeten den Wirtschaftskrieg geführt haben, wird teuer werden.
Am Ende wird Katalonien gestärkt hervorgehen, weil wir solche Situationen schon erlebt haben.
Birke: Außerhalb der EU im Falle der Unabhängigkeit?
Puigdemont: Darauf komme ich gleich zu sprechen. Stellen sich aber mal vor, dass unsere Wirtschaft jedes Jahr den Abfluss von 16 Milliarden Euro zu verkraften hat, die aus unserer Wirtschaft an den Staat gehen und nicht zurückfließen. Das verkraften wir nun schon seit Jahren!
Außerhalb der Europäischen Union? Wir möchten in der EU bleiben. Es liegt aber auf der Hand, dass ein Referendum über die EU in unserem Land ein ernsthaftes Problem wäre. Weil sich das Europa der Bürger immer weiter von dem Europa der Eurokraten, der Vertreter der Regierungen entfernt.
Es liegt doch auf der Hand, dass sich niemand für ein Europa begeistern kann, das von Persönlichkeiten wie Herrn Juncker oder Herrn Tajani geführt wird.
Das schafft eine enorme Kluft unter den Bürgern in dem Europa, wie wir es wollen. Ich plädiere dafür, dass Europa von den Bürgern ständig überprüft wird.
Sind die Bürger überzeugt von einem Europa, das sich abwendet, wenn in ihrem Land die Menschenrechte verletzt werden, wenn ihnen nicht die Grundrechte der Charta garantiert werden, ein Europa , das erlaubt, dass Länder wie Spanien ihren Verpflichtungen für die Flüchtlinge nicht nachkommen, ist das das Europa, das wir wollen?
Es muss ständige Überprüfungen geben, ob den demokratischen Ansprüchen Genüge getan wird, ob frühere Versprechen noch eingehalten werden. Und womöglich entdeckt die Europäische Union, dass sie ein ernstes Problem hat.
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