Ex-Jet-Sänger Nic Cester

Melancholischer Blick zurück, euphorischer Blick voraus

Nic Cester, im Hintergrund ein Gemälde
Nic Cester: "Ich bin wieder zur Schule gegangen. Das war das erste, was ich in Berlin getan habe." © Marc Wilkinson
Von Marcel Anders · 08.11.2017
Der Hit "Are You Gonna Be My Girl" hat Nic Cester reich und berühmt gemacht. 14 Jahre später spricht der Sänger im Rückblick von der "verrücktesten und exzessivsten Zeit" seines Lebens. Er hat sie überlebt – und nun ein starkes Solo-Debüt veröffentlicht.
"Wir wussten, was wir taten, und wir haben jede Minute genossen. Wir waren verrückt und dumm – aber in erster Linie jung. Also fast noch Kinder. Und ich würde es sofort wieder tun. Denn wir waren die beste Party-Band der Welt – mit monumentalen Besäufnissen. Da konnte keine Band mithalten."

"Ich fühlte mich wie Dorian Gray"

Das meint Nic Cester, wie er es sagt: voller Stolz und ohne Reue. Als wäre Stehvermögen das Wichtigste im Rock´n´Roll. Die Ironie an seiner Reaktion: Eigentlich ist der gebürtige Australier längst woanders, hat das Feiern und die Band aufgegeben und fünf Jahre gar keine Musik gemacht.
"Während meiner Zeit bei Jet habe ich mich musikalisch, intellektuell und emotional kaum weiterentwickelt. Deshalb musste ich da raus – weil ich mich verändern wollte. Ich fühlte mich gefangen in diesem Kreis aus touren, streiten, trinken und Drogen nehmen. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich zehn Jahre lang 16 gewesen. Ich fühlte mich wie Dorian Gray."

Die Konsequenz: Nach sieben Jahren, drei Alben und 6,5 Millionen verkaufter Tonträger erklärte Nic Cester seinen Ausstieg. Er reiste durch Asien, Nordafrika und den Nahen Osten, lebte in Berlin und holte nach, was er verpasst zu haben glaubte.

In Berlin wieder auf die Schulbank

"Ich bin wieder zur Schule gegangen. Das war das erste, was ich in Berlin getan habe. Also neu anzufangen. Ich habe in einem Klassenzimmer gesessen und drei Monate lang Deutsch gelernt. Anschließend Italienisch. Was eine ziemliche Umstellung war. Aber eine, die mir gefallen hat. Ich war glücklich, etwas Neues und Interessantes zu machen. Etwas, das mich herausfordert."
Mit derselben Einstellung ist er seine neue Musik angegangen. Ein Höfner-Bass und ein billiger Drumcomputer, die er in Berlin gefunden hat, ließen ihn mit Einflüssen experimentieren, die bei Jet geradezu undenkbar waren. Wie 60s Psychedelia, Funk, Soul und opulenter Orchesterpop. Ein Spektrum, das sich zwischen Paolo Nutini und Paul Weller bewegt, und Altmeister wie Otis Redding und Ennio Morricone zitiert.

"Ich bin sehr wählerisch, was Musik betrifft. Mein Lieblingssänger ist zum Beispiel Dean Martin. Nicht, dass man mir das anhören würde, aber ich mag unterschiedliche Sachen: Klassik, Soul, Jazz. Ich habe nie in Genres gedacht, Kategorien waren für mich immer irrelevant. Schließlich sind alle Arten von Musik miteinander verbunden. Und wenn man sich intensiv damit befasst, erkennt man das auch."

Nachwuchs im Januar

Mittlerweile lebt Cester in der Nähe von Mailand, hat eine italienische Band, spielt gelegentlich Konzerte und wird im Januar erstmals Vater. Ein neues Leben, das auch Einzug in seine Texte gehalten hat, und sich in einem melancholischen Blick zurück und einem euphorischen Blick nach vorne äußert. Denn selbst, wenn er solo nicht so erfolgreich sein sollte, wie mit Jet: Nic Cester ist glücklich mit sich und der Welt. Dafür hat er lange gebraucht und mutige Entscheidungen getroffen. Beides – das zeigt "Sugar Rush" – hat sich gelohnt.
"Ich habe noch nie so viele Songs geschrieben – und noch nie so hart gearbeitet. Ich bin jeden Tag ins Studio, habe alles Mögliche probiert und jede Sekunde genossen. Deshalb ist da noch ein weiteres Album nur mit Balladen, das im Grunde schon fertig ist. Es wird ganz anderes als dieses."