Evolutionsmaschine Mensch

05.10.2013
Sei es durch die Verbreitung von Antibiotika, Reproduktionsmedizin oder Krebstherapien: Der Mensch nimmt massiven Einfluss auf den Gang der Evolution. Beispiele dafür finden sich in diesem faktenreichen Buch von Thomas Böhm.
Wir Menschen sind das Ergebnis einer biologischen Entwicklung. Wie keine andere Art hat der Homo sapiens der Evolution seinen Stempel aufgedrückt. Dabei wird jedoch oft vergessen, dass diese Entwicklung keineswegs beendet ist. Der Mensch manipuliert die Evolution und damit bis heute sich selbst.
Thomas Böhm betrachtet die biologische Evolution aus Sicht des Arztes. Er kritisiert die verbreitete "Unwissenschaftlichkeit" der Medizin, spekuliert viel und benutzt immer wieder Konjunktive und medizinisches Fachvokabular. In seinem faktenreichen Buch wechseln sich leicht verständliche Kapitel mit weniger verständlichen Passagen ab.
Als erstes Beispiel wählt Thomas Böhm Bakterien. Viele haben sich mit dem Menschen zusammengetan und sich an den Lebensraum Mensch angepasst. Doch der Mensch hat diesen Lebensraum immer wieder verändert. Der stärkste Eingriff geschah in den letzten Jahrzehnten durch die Verbreitung von Antibiotika. Viele krankmachende, aber auch ungefährliche Bakterien gerieten durch sie unter Druck, und die meisten wurden getötet. Evolutionsbiologisch betrachtet sind einige diese Bakterien Opfer der Selektion geworden. Andere haben sich angepasst. Jedes Antibiotikum, das verabreicht wird, nutzt oder schadet nicht nur dem Patienten; es verändert die biologische Evolution der Bakterien und kann harmlose Allerweltskeime zu Killern machen.

Mutation und Selektion im Zeitraffer
Auch bei der Krebstherapie sollte nach Ansicht des Autors die Evolutionsbiologie mehr Beachtung finden. Denn wenn Chemotherapie auf Krebszellen trifft, nimmt die Evolution der Zellen an Tempo auf. Mutation und Selektion wirken wie im Zeitraffer. Wenn es den Krebszellen durch Anpassung gelingt, die Giftstoffe zu zerlegen oder aus den Zellen zu pumpen, können sie überleben, und das bedeutet für den Krebspatienten Lebensgefahr.

Nicht nur Bakterien und Krebszellen, auch unser eigenes Erbgut hat sich in den letzten Jahrtausenden weiterentwickelt, nicht immer zu unserem Nutzen. So entstand die Krankheit Sichelzellanämie im Abwehrkampf der Blutzellen gegen Malaria-Erreger. Vor allem Menschen in den Malariagebieten Afrikas und Südeuropas sind von dieser Erbkrankheit betroffen. Ein anderes Ergebnis neuester Evolutionsprozesse ist die Laktose-Toleranz, die es vielen, aber nicht allen Menschen erlaubt, Milchzucker zu verdauen. Auch die helle Haut der Europäer ist ein Ergebnis von Evolutionsprozessen der letzten Jahrtausende.

Heute ist es vor allem die Medizin, die die Evolution des Menschen beeinflusst. Thomas Böhm erläutert das am Beispiel der Reproduktionsmedizin. Insbesondere genetische Veränderungen, die die Fruchtbarkeit beeinträchtigen, können durch Befruchtung im Reagenzglas verstärkt vererbt werden und sich in der Menschheit ausbreiten. Der Mensch ist für Thomas Böhm die größte "Evolutionsmaschine": Er ist Verursacher, Täter und Opfer zugleich. Die gezielte Zucht von "besseren" Menschen lehnt Thomas Böhm selbstverständlich ab, deshalb spielt auch die sogenannte Eugenik in seinem Buch keine Rolle. Hier fehlen Hintergrundinformationen. Und so reißt "die manipulierte Evolution" immer wieder neue spannende Themen an, lässt aber auch zahlreiche Fragen unbeantwortet.

Besprochen von Michael Lange

Thomas Böhm: Die manipulierte Evolution
Wie unsere Gesellschaft den genetischen Code verändert
Braumüller-Verlag, Wien 2013
336 Seiten, 22,90 Euro
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