Evolution im Zeitraffer

19.06.2009
Buntbarsche gehören zu den Organismen, die Evolution im Zeitraffer vollbringen. Hunderte von Arten haben sich in kurzer Zeit entwickelt. Im Hörbuch "Algenraspler, Schneckenknacker, Schuppenfresser" erklärt Axel Meyer, Professor für Evolutionsbiologie an der Universität Konstanz, die Mechanismen und Wege der Evolution anhand dieser Tierart.
"Mit über 3000 Arten sind die Buntbarsche eine der artenreichsten Gruppen aller Tiere - vielleicht die artenreichste. Es gibt noch ein paar verdammte Frösche, die auch sehr artenreich sind, aber die vergessen wir jetzt mal. Und dieser evolutionäre Erfolg - wenn man evolutionären Erfolg dadurch definiert, dass man sagt, viele Arten gehören zu einer Gruppe - haben die Buntbarsche eben so evolutionär erfolgreich gemacht, und werfen Fragen auf, warum die Buntbarsche so evolutionär erfolgreich sind."

Das Geheimnis der Buntbarsche - es ist das Geheimnis der Evolution selbst. Die Tiere, die ursprünglich nur im Meerwasser lebten, passten sich ans Süßwasser an und formten im tropischen Afrika Hunderte von Arten aus - in einem einzigen See. Das ist evolutionäre Dynamik! Einer, der sein Leben mit der Erforschung dieser Tiere verbringt, ist Axel Meyer, Professor für Evolutionsbiologie an der Universität Konstanz. In einem neuen Hörbuch erzählt er von den Fischen, ihrer spannenden Erforschung und vom Wesen der Evolution:

"Wenn man sich Evolution vorstellt, denken viele Leute, dass es eine Geschichte der Vergangenheit ist, als ob es heute keine Evolution gibt, als ob die Evolution gerade in dieser Generation, wo der Homo sapiens auf diesem Planet lebt, aus irgendwelchen Gründen aufhören sollte. Das ist natürlich nicht der Fall, ganz im Gegenteil - Homo sapiens trägt dazu bei, durch die Veränderung der Umwelt und die dadurch resultierende Veränderung der Selektionsdrücke, dass sich die Evolution wahrscheinlich noch sehr viel verschnellert."

Das Hörbuch spannt einen weiten Bogen - vom Auftauchen der ersten Bakterien bis zu heutigen Forschungsfragen. Axel Meyer erzählt verständlich, ohne die Dinge zu vereinfachen. Immer wieder entkräftet er populäre Mythen - zum Beispiel die Personifizierung der Evolution als quasi-göttliche Hand, die das Geschehen der Natur planvoll und weise lenkt:

"Mir stehen da immer die Nackenhaare hoch, wenn ich in Tierfilmen höre, 'der Gepard, der perfekte Jäger' oder 'die Schwalbe, die perfekte Fliegerin' und so weiter. Erstmal ist Perfektion oder Optimalität ganz schwer zu definieren und zu messen. Das ist ein Problem. Aber es ist da natürlich auch das Problem, dass Evolution viel opportunistischer ist: Sie will nicht den perfekten Organismus machen, sondern es überleben einfach einige Organismen besser als andere in einer Generation, haben mehr Nachfahren - und das war‘s."

Worin nun besteht das Geheimnis der Buntbarsche, die so erfolgreich in einem See Hunderte von Arten ausbilden können? Eigentlich verrät es schon der Titel des Hörbuchs: "Algenraspler, Schneckenknacker, Schuppenfresser" - es ist die Futterspezialisierung.

"Mir fällt gerade noch ein tolles Beispiel ein für eine extreme Spezialisierung: Die Weibchen legen Eier ab und nehmen sie dann in ihr Maul und beschützen dann die Eier und auch die Jungfische für einige Wochen - die Weibchen rufen sie sogar zurück und sie schwimmen in das Maul des Weibchens zurück, wenn Gefahr droht. Es gibt eine bestimmte Gruppe von Pädophagen, also Kinderessern, die sich darauf spezialisiert haben, das Maul des Weibchens ins Maul zu nehmen und dann zu versuchen, die Eier oder die Jungen aus dem Maul des Weibchens herauszusaugen."

So brachte die Erforschung der Buntbarsche Licht in die Frage der Artbildung. Ein Motor der Evolution ist die Ökologie: Ein abwechslungsreicher Lebensraum bot den Fischen zahllose Möglichkeiten, zu fressen und gefressen zu werden. Die entstehenden Arten gestalteten den Lebensraum weiter aus - und trieben so die Evolution voran. Doch die tropische Artenvielfalt ist heute vielerorts dem Untergang geweiht; auch davon erzählt Axel Meyer. Im Viktoriasee, wo er forscht, wütet der Nilbarsch, den britische Soldaten in den 50er-Jahren dort aussetzten. Mangels Kühlschränken räuchern die Anrainer den Fisch und roden dafür Wälder. Der Boden erodiert und schwemmt in den See. Überdüngung und Algenwachstum bringen die Natur vollends aus dem Takt:

"Die Kombination von dem Einführen des riesigen Nilbarsches mit den daraus resultierenden ökologischen Konsequenzen hat dazu geführt, dass wahrscheinlich die Hälfte der ursprünglich vorhandenen 500 Arten des Viktoriasees ausgestorben sind - ein ökologisches Desaster, wie es kaum noch schlimmer sein kann."

Deutlich hört man dem Audiowerk an: Es entstand als Interview - aber die Fragen sind herausgeschnitten. Das klingt ungewohnt, entfaltet jedoch seinen eigenen Sog: Als säße er mitten im Zimmer, breitet Axel Meyer seinen immensen Wissensfundus aus. Ihm zu lauschen ist eine Freude. Ein Lob an Autor Klaus Sander, der das Gespräch aufbereitete. Zum Hörbuch gibt es ein kleines Booklet mit wunderschönen Fischfotografien. Es ist die Mischung aus liebevoller Produktion, intimer Erzählsituation und großer, evolutionärer Perspektive, die dieses Hörbuch so spannend und besonders macht.

Besprochen von Susanne Billig

Klaus Sander, Axel Meyer: Algenraspler, Schneckenknacker, Schuppenfresser
Axel Meyer über den evolutionären Erfolg der Buntbarsche
supposé Verlag, Berlin 2009
79 Minuten, 18 Euro