UNESCO-Gipfel zum europäischen Kulturerbe

Gehört afrikanische Kunst nach Afrika?

Eine Besucherin des Grassi Museums für Völkerkunde in Leipzig betrachtet am eine sogenannte Minkisi-Skulptur aus der umfangreichen Sammlung afrikanischer Schnitzfiguren mit geheimnisvollen Kräften
Umstritten: afrikanische Kunst in deutschen Museen. © picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Von Jürgen König · 18.06.2018
In Berlin findet der UNESCO-Gipfel zum europäischen Kulturerbe statt – aber ein Teil dieses Kulturerbes stammt aus kolonialen Zeiten. Die Forderungen von afrikanischen Politikern nach Rückgabe dieser Kulturgüter werden immer lauter.
Im November hielt der französische Staatspräsident Emmanuel Macron im westafrikanischen Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, eine bemerkenswerte Rede. Er wolle die Grundlagen für neue freundschaftliche und dauerhafte Beziehungen zwischen Frankreich und dessen ehemaligen Kolonien schaffen, so Macron, und ein wichtiges Handlungsfeld sei dabei die Kultur.
"In diesem Bereich kann ich nicht akzeptieren, dass sich ein Großteil des kulturellen Erbes mehrerer afrikanischer Länder in Frankreich befindet. Es gibt dafür historische Erklärungen. Aber es gibt dafür keine gültigen, dauerhaften und uneingeschränkten Rechtfertigungen mehr. Das Erbe Afrikas kann nicht nur in Privatsammlungen und Museen Europas aufbewahrt werden", sagte Emmanuel Macron.

Auch afrikanische Politiker melden sich zu Wort

Noch nie hat sich ein französischer Präsident so eindeutig geäußert. Und – zunächst zögerlich, dann aber immer eindringlicher – meldeten sich afrikanische Politiker zu Wort, zuletzt im Rahmen einer UNESCO-Konferenz in Paris.
Der Präsident Benins etwa, Patrice Talon: "Die Restitution von Kulturgütern ist – ganz abgesehen von der historischen, politischen, soziologischen und philosophischen Bedeutung dieser Güter – ein sehr gutes Mittel, um die Armut in Benin zu bekämpfen. Mit ihnen können wir Stellen schaffen und damit Reichtum; die sozioökonomische Entwicklung wird verbessert, die Zusammenarbeit gefördert."
Benin zählt zu den ärmsten Ländern der Erde. Das frühere Königreich Dahomey wurde 1805 im Auftrag Napoleons französische Kolonie, bis 1960 blieb es Bestandteil der Föderation Französisch-Westafrika. Seit Jahren arbeite man daran, die touristische Infrastruktur zu verbessern, betont der Präsident. Mehrere Museen seien gebaut worden, "nach neuesten Standards", allein: ein Nationalmuseum würde noch fehlen.

Kulturgüter erzählen Geschichte

"Indem wir unsere Kulturgüter zurückbekämen, könnten wir unsere Geschichte rehabilitieren und sie der Welt erzählen. Wir könnten die Heldenepen unserer Könige wieder lebendig werden lassen, die Relikte, die in unseren Seehäfen gefunden wurden, die für die Geschichte der Sklaverei und damit unseres Volkes so wichtig waren. Wir könnten den ganzen Reichtum der Kunst und unseres kulturellen Erbes zeigen. Aber solche Ambitionen, das kann man sich vorstellen, verlangen auf allen Seiten guten Willen und mutiges Handeln – im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit", meint Patrice Talon.
Von vielen afrikanischen Kulturpolitikern ist zu hören, die Diskussionen mit europäischen Politikern oder Kulturinstitutionen über die Rückgabe jener Kunstgüter, die – zum Beispiel – von französischen Kolonialoffizieren, Soldaten oder Geschäftsleuten nach Frankreich gebracht wurden, würden seit Jahren immer nach dem gleichen Muster verlaufen.

Rechtlich, technisch und vom Personal her – keine Probleme

Der Kulturminister Senegals, Abdou Latif Coulibaly: "Immer wenn diese Fragen aufkommen, werden drei Einwände gebracht, die ich allesamt haltlos finde. Juristisch sei es kompliziert, heißt es. Ich sage: Rechtsprechung ist nichts anderes als die Kodifizierung des politischen Willens – was historisch begründet ist, kann durch einen heutigen, anderen politischen Willen neu festgelegt werden. Zweites Problem: die Technik. Ist Afrika darauf vorbereitet, die Kunstwerke wieder aufzunehmen? Ich sage: wo waren die Werke, bevor sie nach Europa kamen? Wenn wir in der Lage waren, sie bis zur Kolonialzeit zu hüten, warum sollen wir dazu heute nicht mehr fähig sein? Zumal auch wir inzwischen über Museen mit neuester Technologie verfügen!"
Der dritte Haupteinwand, so der senegalesische Kulturminister Abdou Latif Coulibaly, gelte dem Personal: "Werden die Afrikaner den nötigen konservatorischen Sachverstand haben? Auch diese Frage kommt immer, meine Antwort ist: ja. Denn in ganz Afrika werden seit Jahrzehnten und mit Erfolg zum Beispiel all jene Kunstwerke bewahrt und gezeigt, die die Kolonialherren hier gesammelt und nicht mitgenommen haben."

Was folgt auf den politischen Willen?

Afrikanische Kunst gehört nach Afrika – diese Überzeugung wird auf dem afrikanischen Kontinent immer deutlicher formuliert. In Frankreich macht sich seit Emmanuel Macrons Vorstoß unter Kulturpolitikern wie unter Museumsleuten eine gewisse Unruhe breit. Kulturministerin Francoise Nyssen sprach immer wieder von "großen juristischen Problemen". Doch Macron gibt sich entschlossen: eine Kommission soll bis zum November Verfahrenswege aufzeigen. Vielleicht wird – dem Gedanken des senegalesischen Kulturministers folgend – der "politische Wille" in Frankreich tatsächlich "neu kodifiziert".
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