Europäisches Glockenzentrum in Kempten

Bevor das letzte Stündlein schlägt

Der Geschäftsführer des Europäischen Kompetenzzentrums für Glocken Michael Plitzner (l) und der wissenschaftliche Leiter der Einrichtung Andreas Rupp begutachten im Schalllabor den Klöppel einer Kirchenglocke
In Kempten werden Glocken auf Schäden untersucht. © dpa / Karl-Josef Hildenbrand
Von Sibylle Kölmel · 04.01.2018
Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr: Glocken tuen über Jahrzehnte hinweg klangvoll ihren Dienst. Doch das Schlagen des Klöppels hinterlässt Spuren im Material. Ob der Verschleiß bedrohliche Dimensionen annimmt, das erforscht das Glockenzentrum mit modernsten Mitteln.
Beim Läuten werden die teils schon sehr alten, historisch wertvollen und oft großen und schweren Glocken meist ziemlich beansprucht. Dadurch, wie sie schwingen, wie sie aufgehängt sind und auch durch den Klöppel. Der schlägt manchmal zu wuchtig oder anders ungünstig. Man versuche hier, die Klöppel-Form zu optimieren, sagt der Leiter des Forschungszentrums, Andreas Rupp:
"Und zu schauen, welche Form-Teile, ob dann die Kugel größer oder kleiner gemacht werden muss, ob dann der Vorschwung durch seine Bewegung und die entsprechende Verformung dann den Klöppel länger oder kürzer an der Glocke hält, das sind hochkomplexe Zusammenhänge und denen gehen wir zum Beispiel nach mit Simulationswerkzeugen, die man im Automobilbau in der Crash-Simulation einsetzt."

Wenn der Klöppel die Glocke küsst

Und: Mit verschiedenen Klangbildaufzeichnungen und sensorischen Messungen mit speziellen Messtechniken "helfen" die Wissenschaftler den Glocken, sich maximal zu entfalten. Sie "wecken" sozusagen ihren schönsten und vollsten und individuellsten Klang. Eine Frage dabei ist beispielsweise, wie die From des Klöppels den Klang beeinflusst:
"Der Klöppel berührt die Glocke im sogenannten Glockenkuss, für etwa eine halbe tausendstel Sekunde und in dieser halben tausendstel Sekunde passiert alles, was das Glockenklingen dann eben bedeutet, wie es sich darstellt. Und das heißt, wir müssen an dieser halben tausendstel Sekunde arbeiten was dort passiert, wenn die beiden sich berühren, dass das nicht zu hart ist, dann klatscht es, das es nicht zu weich ist, dann gibt es keine Erregung, dann ist es zu laut, dann wird es zu leise und die Glocke wird nicht in allen ihren Tönen angeregt, sondern das muss ein richtig wohldefinierter Kontakt sein, damit alle Töne der Glocke wohl erklingen können und auch kein Risiko entsteht, dass die Glocke zerschlagen wird."

Jede Glocke und ihr Klang sind einzig und einmalig. Mithilfe des "musikalischen Fingerabdrucks" beschreiben die Forscher den Zustand der Glocke: Wie geht es der Glocke in diesem Moment. Hat sie eventuell schon einen kleinen Riss? Ist sie vielleicht nicht besonders gut gegossen? Weisen eventuelle Schweißnähte Mängel auf? Ist die Glocke durch den Klöppel sehr stark ausgeschlagen? Um all das herauszufinden, schlagen die Glockensachverständige die Glocke mit einem Klöppel an, um sie zum Klingen und damit zum Schwingen anzuregen. Das, was dann über den Klang zu hören ist, spiegelt das Schwingverhalten der Glocke wieder, erklärt Michael Plitzner, Glockensachverständiger aus Kempten:
"Und im Schwingverhalten kann man dann charakteristische Spezifikationen analysieren, die eben Hinweise geben können auf Risse. Und weil eben diese feinen Klang-Spezifikationen dort uns die Möglichkeit geben, Risse zu identifizieren, kann man eben auch Risse, die vielleicht an der Außenoberfläche der Glocke noch gar nicht sichtbar sind, aber im Inneren der Glocke sich vielleicht schon ausbreiten, können wir solche Risse also schon identifizieren, ohne dass wir den Riss sehen können."
Kirchenglocken hängen im isolierten Schalllabor des Glockenforschungszentrums in Kempten 
Kirchenglocken hängen im isolierten Schalllabor des Glockenforschungszentrums in Kempten © dpa / Karl-Josef Hildenbrand

Ein musikalischer Fingerabdruck

Da Risse sich relativ schnell ausbreiten, können wiederholte Messungen ziemlich zuverlässig darstellen, dass der Klang der Glocke sich dadurch verändert. Bleibt das Schwingverhalten jedoch identisch, ist das ein Zeichen für die Intaktheit der Glocke.
Michael Plitzner: "Das nennt sich also musikalischer Finderabdruck, warum, weil eben diese Glocke auch aufgrund der Innschriften, dadurch dass es ein Handwerkstück ist, ist die nicht ganz rund, perfekt und eben, sondern hat immer auch irgendwo ne Macke, ne Kerbe, ne Delle oder irgendwas anderes – all das wirkt sich natürlich auf den Klang aus und dadurch ist der Klang jeder Glocke unverwechselbar."
Der Klang von Glocken kann verschiedene Gefühle auslösen. Man assoziiert Freude, Aufregung, Trauer. Und: vielleicht Heimat oder eine Art von Geborgenheit. Andreas Rupp beschreibt es so:
"Wir können unsere Ohren nicht schließen, das heißt, der Klang der Glocke erreicht uns, ob bewusst oder unbewusst, und für mich kann ich sagen, dieser Glockenklang ist etwas sehr Angenehmes, auch wie sie sagen Beruhigendes, was mich in irgendeiner Weise auch auf den Boden kommen lässt, was ganz schön ist. Ein Glockenklang wenn man in einer schönen Landschaft ist der irgendwo von weiter herkommt, das hat eine sehr, sehr friedliche Ausstrahlung, eine sehr beruhigende Ausstrahlung und ich denke, das ist auch etwas, was sich über unser Leben dann im Gehirn und im Gehör verdichtet und damit ist es ein Stück Heimat letztlich auch, ne kulturelle Heimat, die wir sehr unbewusst einfach verinnerlicht haben."
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