Europäischer Autorengipfel in Berlin

Ich fühle mich als Europäer, weil ...

Ein großes Bronzedenkmal der "Europa auf dem Stier mit Erdkugel und Taube" steht im Hafen der kretischen Stadt Agios Nikolaos.
"Wenn ich über Europa ein Buch schreiben müsste, hieße es: 'Europa und der liebestolle Stier'", sagt Dana Grigorcea (Schweiz / Rumänien). © picture alliance / dpa / Waltraud Grubitzsch
21.06.2018
Warum fühlen Sie sich als Europäer? Und wie hieße ein Buch, das Sie über Europa schreiben? Das fragen wir die 20 Autorinnen und Autoren, die sich heute auf dem Blauen Sofa in Berlin treffen. Unter ihnen sind Terézia Mora, Guy Helminger und Janne Teller.

Ich fühle mich als Europäer, weil ...

Geert Buelens, Flandern:
"Ich bin in Europa geboren, ich begann mit dem Studium als die Berliner Mauer fiel, ich teilte mir eine Wohnung mit Finnen in Berkeley und fühlte mich nie europäischer. Mein Sinn für Geschichte ist von beiden Weltkriegen und der (De-) Kolonialisierung geprägt, für mich stellt der Rheinische Kapitalismus ein Schatz dar, Brüssel wird immer meine Hauptstadt sein."
Das blaue Sofa
Die Autorinnen und Autoren werden in Berlin in fünf Salons auf insgesamt fünf Blauen Sofas Platz nehmen. © Deutschlandradio / Bettina Fürst-Fastré

Beim Europäischen Autorengipfel werden 20 Autorinnen und Autoren im Turnus von jeweils 30 Minuten auf insgesamt fünf Blauen Sofas in fünf Salons der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz sprechen. Gesprächspartner sind zehn Moderatorinnen und Moderatoren von ZDF, Deutschlandfunk Kultur und 3sat. Alle Lesungen hören Sie am Sonntag, 24.6., von 0:05 bis 4 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur. Wenn Sie am Autorengipfel teilnehmen möchten, können Sie sich hier als Gast anmelden. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir nur über ein begrenztes Platzkontingent verfügen.

Zaza Burchuladze, Georgien:
"Bis gestern fühlte ich mich wie ein Georgier, heute fühle ich mich wie ein Europäer ... schwer zu sagen, wie ich mich morgen fühlen werde. Es ist eine lange Reise."
Hélia Correia, Portugal:
"Ich fühle mich als Europäerin, weil ich das Gedächtnis habe, das mich tröstet, weil hier die menschliche Würde ihren Anfang hatte, weil es hier die Griechen gab mit ihrem Kult des Schönen und des Gerechten. Und ich fühle mich als Europäerin, weil ich wie alle Europäer gefährdet bin. Die Gefahr intensiviert die Identität."
Jacques De Decker, Föderation Wallonie-Brüssel:
"Ich fühle mich als Europäer, weil ich über einen europäischen Pass verfüge, ein unschätzbarer Zauberschlüssel, Türöffner in einen Raum historischer Vielschichtigkeit."
Radka Denemarková, Tschechische Republik:
"Ich fühle mich als Europäerin, weil ich aus Prag und Europa stamme. Der tschechische Staat ist erst vor einem Jahrhundert entstanden, im Jahre 1918. Prag war eine Stadt dreier Nationalitäten, eine polemische Stadt. Viele könnten in den unterschiedlichen Kontexten den Satz von Hannah Arendt wiederholen: 'Unsere Identität wechselt so häufig, dass keiner herausfinden kann, wer wir eigentlich sind.' Die Entwicklung von Europa ist für mich auch ein notwendiges Labor der Humanität. Sie zwingt uns, an die anderen zu denken."
Dana Grigorcea beim Bachmann-Preis in Klagenfurth.
Dana Grigorcea beim Bachmann-Preis in Klagenfurth.© picture alliance / dpa / APA / Gert Eggenberger
Dana Grigorcea, Schweiz, Rumänien:
"Ich fühle mich als Europäerin, weil ich mich mit den Werten der französischen Revolution stark identifiziere."
Sabine Gruber, Italien / Österreich:
"Ich fühle mich als Europäerin, weil ich italienische Staatsbürgerin deutscher Muttersprache bin. Ich bin weder Deutsche, noch Österreicherin und genaugenommen bin ich auch keine Italienerin."
Hugo Hamilton, Porträt
Hugo Hamilton© dpa/picture alliance/Uwe Zucchi
Hugo Hamilton, Irland:
"Ich fühle mich als Europäer, weil ich zu zwei Teilen Europas gehöre – Irland und Deutschland. Ich wurde in Irland geboren, habe eine deutsche Mutter, bin von Geburt an mit drei europäischen Sprachen aufgewachsen und gleite aalgleich durch Grenzen."
Guy Helminger, Luxemburg:
"Ich fühle mich als Europäer, weil ... die Zeile kann ich nicht vervollständigen, weil Europa nichts mit Gefühlen zu tun hat. Entweder beziehe ich mich auf die Geographie, dann muss ich sagen, ich bin Europäer, weil ich einen Luxemburger Pass habe. Oder ich beziehe mich auf die Idee 'Europa', dann kann ich sagen, ich bin Europäer, weil ich an diese Idee glaube. Gefühle sind in diesem Zusammenhang fehl am Platz."
Portrait of Hedi Kaddour 29/10/15 PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY Copyright: OscarxMOLLONA/Leemage MOL0011 Portrait of Hedi 29 10 15 PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY Copyright OscarxMOLLONA Leemage MOL0011
Hedi Kaddour © imago stock&people
Hédi Kaddour, Frankreich / Tunesien:
"Ich fühle mich als Europäer, weil ich mich von Riga, über Frankfurt, Genf und Lissabon bis nach Thessaloniki meinen Gesprächspartnern ebenbürtig fühle (außer ich gerate an einen frommen und rückschrittlichen Reaktionär, der mich an 'Tartuffe' oder der Betrüger erinnert)."
Laurynas Katkus fühlt sich litauisch und russisch beeinflusst: "Nachbarn und keine Todfeinde".
Laurynas Katkus© imago/gezett
Laurynas Katkus, Litauen:
"Es ist im Grunde keine Sache des Gefühls, weil ich ganz einfach ein Europäer bin (wenn man es präziser geschachtelt haben möchte – ein Litauer, ein Balte, ein Ostmitteleuropäer). In diesem Zeitpunkt meines Lebens könnte ich, auch wenn ich wollte und mich bemühte, kein anderer mehr werden. Doch das Gefühl der Zusammengehörigkeit von dem Ganzen erfasst mich auch, bei ganz unterschiedlichen Anlässen: zum Beispiel, wenn ich in Brandenburg, wo ich jetzt bin, durch die kleinen Dörfer, zwischen den Kiefernwäldern zerstreut, wandere und mich an die kindliche Bewunderung für die Häuser aus rotem Ziegelstein erinnere. Oder wenn ich an einen Verwandten denke, der in ganz ähnlichen Wäldern zehn Jahre als Partisan gegen Stalin kämpfte. Oder wenn wir mit den Künstlerkollegen in der urigen Dorfkneipe, die nur freitags aufhat, sitzen und sie mir über die Bohemiens von ihren Städten und Ländern erzählen."
Maja Lunde, Norwegen:
"Ich fühle mich als Europäerin, weil ich all das Alte mag, was wir haben. Ich ziehe Altes Neuem vor. Ich schätze die europäischen Städte, große wie kleine, welche lange vor den Autos gebaut wurden, und gerade deshalb sind die Städte für Menschen da, nicht für Autos. Ich werde es nie müde, in europäischen Städten zu Fuß unterwegs zu sein."
Pierre Mejlak, Malta:
"Ich fühle mich als Europäer, weil Europa sich wie zu Hause anfühlt. Ich wurde in Malta geboren, arbeite in Belgien, studiere in Großbritannien, meine Frau ist aus Estland, und meine Kinder sind ... ganz einfach Europäer."
Die Autorin Terezia Mora
Terezia Mora © dpa
Terézia Mora, Deutschland / Ungarn:
"Ich fühle mich als Europäerin, weil ich meine kulturelle Verwurzelung in Mitteleuropa in allem, was ich tue, sehen kann. Ich denke nicht, dass das ein besseres Erde wäre als jedes andere, aber es ist nun einmal meins, und allein schon zu wissen, worum es sich dabei handelt, empfinde ich als eine Bereicherung. Außerdem fühle ich mich, seitdem ich EU-Bürgerin bin, viel wohler in meiner Haut, als nur als Staatsbürgerin eines einzigen Landes. Es ist gut, nicht allein zu sein. Es ist gut zu wissen, dass man etwas mit anderen gemein hat."
Claire North, Großbritannien:
"Ich fühle mich als Europäer, weil ... eure Luft ist unsere Luft, unsere Meere sind eure Meere. Unsere Finanzkrisen sind eure Finanzkrisen, eure Geschichten sind unsere Geschichten. Unsere Geschichte ist das gleiche Bild, auf unterschiedliche Weise gemalt; unsere Wege gehen in die gleiche Zukunft; wie auch immer wir dorthin gelangen. Die Menschheit ist eine globale, universelle Idee; aber wir können sie nur gemeinsam umsetzen. Ich möchte mit den Meinen zusammenarbeiten, um etwas zu schaffen, das über die historischen Grenzen unserer Vergangenheit hinausgeht; ich bin Europäerin."
Tomasz Różycki, Polen:
"Ich fühle mich als Europäer, weil ich in Mitteleuropa geboren bin, mein Schicksal und die Schicksale meiner Familie sind damit verbunden. So wie einst meine Familie, habe ich hier einige wichtige Dinge erlebt, die bewirken, dass ich mich mit diesem Teil der Welt identifiziere (Solidarność, Fall der Berliner Mauer, Zerfall der UdSSR). Die Kultur, das Erbe und die Zukunft Europas sind ebenfalls zu mir gehörig, ich sehe darin einen Teil von mir. Meine Kinder sind in Europa geboren und seit Polen ein Teil der Europäischen Union ist, bleibt unsere Zugehörigkeit zu dieser Kulturgemeinschaft – so hoffe ich – unumkehrbar."
Sjón, Island:
"Am Rande des geographischen Europa geboren, habe ich früh gelernt, dass die isländische Kultur dort ihren Ursprung hat. Das Beste, was Europa zu bieten hat, kam aus al-Andaluz und südlicheren und östlicheren Kulturen. Definiert man sich als Europäer, erkennt man seinen vielschichtigen Ursprung an, und versöhnt sich mit seinem unstetigen Selbstbild, welches nicht immer das Schönste ist."
Die dänische Schriftstellerin Janne Teller
Janne Teller © dpa / picture alliance / Marc Tirl
Janne Teller, Dänemark:
"Ich fühle mich als Europäerin, weil ich in Europa geboren und aufgewachsen bin - weil die Geschichte und die Kultur des Kontinents ein integrierter Teil meines Denkens und meiner Lebenshaltung sind. Weil ich an die philosophischen Ideale des Nachkriegs-Europas anknüpfe: 'Alle Menschen sind gleichwertig' und 'Tu anderen nur an, was du auch möchtest, dass sie dir antun'. Und weil ich gemischte Ahnen habe – Österreichisch-Deutsch-Italienisch-Dänisch – fühle ich mich weitaus europäischer als das ausschließlich Dänische, das meine Nationalität und mein Ausweis bezeugen."
Hans Maarten van den Brink, Niederlande
"Ich fühle mich als Europäer, weil ich Flüsse liebe und das Wasser sich nicht von nationalen, sprachlichen oder religiösen Grenzen aufhalten lässt, sondern immer wieder Neues in sich aufnimmt und weiter fließt. Europa war schon immer multikulturell."
Svetlana Žuchová, Slowakei:
"Die Frage ist eher, ob ich mich als Europäerin fühle. Und die Antwort hängt von dem Kontext ab. Als ich mit 25 zum ersten Mal in den USA war, habe ich mich dort sehr europäisch gefühlt, weil ich einen anderen Haarschnitt hatte, als die meisten Amerikanerinnen in meinem Alter, weil ich andere Schuhe getragen, oder weil ich - damals – geraucht habe. In dem Teil Europas, der als Westeuropa bezeichnet wird, fühle ich mich allerding viel weniger europäisch. Wenn ich tatsächlich in Europa bin, wird es gar nicht mehr so eindeutig, ob ich dazu gehöre."

Wenn Sie über Europa ein Buch schreiben müssten, wie hieße es?

Geert Buelens, Flandern:
"Ich habe schon ein Buch über Europa geschrieben. Es nennt sich 'Europa, Europa!' (und handelt von den europäischen Dichtern des Ersten Weltkriegs). Das Ausrufezeichen ist kein nebensächliches Detail."
Zaza Burchuladze, Georgien:
"Ich habe bereits ein Buch über Europa geschrieben: meinen letzten Roman 'Touristenfrühstück'."
Hélia Correia, Portugal:
"Mein Buch über Europa hieße: Die Verschwendung"
Jacques De Decker, Föderation Wallonie-Brüssel:
"Eine Idee für ein Buch über Europa kommt mir gleich in den Sinn, aber morgen würde eine andere sie schon überflügeln. Ich würde dieses Buch provisorisch 'Das Rettungsboot' nennen."
Radka Denemarková, Tschechische Republik:
"Mein Buch über Europa hieße: Europa. Ein Beitrag zur Geschichte der Hoffnung."
Dana Grigorcea, Schweiz / Rumänien:
"Wenn ich über Europa ein Buch schreiben müsste, hieße es: 'Europa und der liebestolle Stier'."
Sabine Gruber, Italien / Österreich:
"Mein Roman 'Stillbach oder Die Sehnsucht' ist ein Buch über Europa, über die fatalen Folgen des Nationalismus, über brüchige Identitäten, über Heimatlosigkeit als Chance."
Hugo Hamilton, Irland
"Jedes Buch über Europa ist ein Buch mannigfaltiger Blickwinkel, voller Widersprüche und Unterschiede. In genau diesem Durcheinander und inmitten dieser Stimmenvielfalt entdecken wir Europa. Hinter all meinen Büchern steht die Idee, diese multiple Identität und dieses Durcheinander zu verstehen."
Guy Helminger, Luxemburg:
"Mein Buch über Europa hieße: Das Janusgesicht."
Hédi Kaddour, Frankreich / Tunesien:
"Mein Buch über Europa hieße 'Krieg und Frieden' (aber den Titel gibt es schon). Oder 'Unzeitgemäße Betrachtungen' (auch der Titel ist schon vergeben). Oder aber 'Die Philosophie der Aufklärung' von Cassirer, der schon vor langer Zeit geschrieben wurde. Europa existiert nur durch und dank der Aufklärung und der Vernunft (im Gegensatz zur Leidenschaft und zum Glauben, die zu Spaltungen führen)."
Laurynas Katkus, Litauen:
"Wenn ich über Europa ein Buch schreiben müsste, würde ich vielleicht einfach den Titel von Mircea Cartarescu klauen: 'Europa hat die Form meines Gehirns'."
Maja Lunde, Norwegen
"Europa ist zu Hause, hierher zu kommen bedeutet immer heimzukehren, sodass ich glaube, es mein Buch über Europa müsste genauso heißen: 'Heim'."
Pierre Mejlak, Malta:
"Mein Buch über Europa hieße: 'Mein Interrail-Sommer der Liebe'."
Terézia Mora, Deutschland / Ungarn:
"Ich bin schlecht in Titeln. Tatsache ist, dass mir das Lied 'Vorrei vivere in un paese normale' (Ich wünschte in einem normalen Land zu leben) von Arpioni jedes Mal einfällt, wenn ich an Europa denke. Also würde ich ein Buch über Europa vermutlich: 'In einem normalen Land' nennen."
Claire North, Großbritannien:
"Wenn ich ein Buch über Europa schreiben müssten, hieße es 'Au revoir, meine Schöne'."
Tomasz Różycki, Polen:
"Ich habe schon ein Buch über Europa geschrieben. Es heißt 'Tomi. Notizen vom Ort des Aufenthalts' (polnischer Originaltitel: "Tomi. Notatki z miejsca").
Sjón, Island:
"Wenn ich über Europa ein Buch schreiben müsste, hieße es: 'Ekkó-pa / Echo-pa'."
Janne Teller, Dänemark:
"Ich habe bereits einen Roman über Europa geschrieben – mit dem Titel: 'Europa, Alles was dir fehlt'.
Hans Maarten van den Brink, Niederlande:
"Mein Buch über Europa wäre ein persönliches Buch sein, also wahrscheinlich hieße es 'Rheinland'. Es würde unter anderem von der Geschichte meiner Familie handeln und hoffentlich würde es in viele Sprachen übersetzt. Mehr als eine Sprache beherrschen finde ich übrigens wesentlich für die europäische Kultur."
Svetlana Žuchová, Slowakei:
"Mein Buch über Europa hieße: 'Work in Progress'."
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